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Clausewitz, Carl von: Vom Kriege. Bd. 3. Berlin, 1834.

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36. So ist es aber keineswegs. Theils fehlt es nie
an dem Kollektivhaß der beiden Parteien, der sich dann
in dem Einzelnen mehr oder weniger wirksam zeigt, so
daß er von der gehaßten und befeindeten Partei auch den
einzelnen Mann haßt und befeindet; theils entzündet sich
ein wirkliches Feindschaftsgefühl im Kampfe selbst mehr
oder weniger bei dem Einzelnen.

37. Ruhmbegierde, Ehrgeiz, Eigennutz und esprit
de corps
vertreten mit andern Gemüthskräften die Feind-
schaft wo diese nicht vorhanden ist.

38. Es wird also in einem Gefechte selten oder nie
der bloße Wille des Befehlshabers, der bloße vorgeschrie-
bene Zweck das einzige Motiv des Handelns in den Fech-
tenden, sondern es wird immer ein sehr merklicher Theil
der Gemüthskräfte wirksam sein.

39. Diese Wirksamkeit wird dadurch erhöht daß der
Kampf sich in der Region der Gefahr bewegt, wo alle
Gemüthskräfte mehr gelten.

40. Aber auch die Intelligenz welche den Kampf
leitet kann nie eine bloße Verstandeskraft und der Kampf
also nie Gegenstand bloßer Berechnung sein.

a) Weil er ein Stoß lebendiger physischer und mora-
lischer Kräfte gegen einander ist, die nur allgemeinen
Schätzungen aber keinen bestimmten Berechnungen
unterworfen werden können.
b) Weil die Gemüthskräfte welche ins Spiel treten
den Kampf zum Gegenstand einer Begeisterung und
dadurch eines höhern Urtheils machen können.

41. Der Kampf kann also ein Gegenstand des Ta-
lentes und des Genius sein im Gegensatz des berechnenden
Verstandes.

42. Die Gemüthskräfte und der Genius nun welche

36. So iſt es aber keineswegs. Theils fehlt es nie
an dem Kollektivhaß der beiden Parteien, der ſich dann
in dem Einzelnen mehr oder weniger wirkſam zeigt, ſo
daß er von der gehaßten und befeindeten Partei auch den
einzelnen Mann haßt und befeindet; theils entzuͤndet ſich
ein wirkliches Feindſchaftsgefuͤhl im Kampfe ſelbſt mehr
oder weniger bei dem Einzelnen.

37. Ruhmbegierde, Ehrgeiz, Eigennutz und ésprit
de corps
vertreten mit andern Gemuͤthskraͤften die Feind-
ſchaft wo dieſe nicht vorhanden iſt.

38. Es wird alſo in einem Gefechte ſelten oder nie
der bloße Wille des Befehlshabers, der bloße vorgeſchrie-
bene Zweck das einzige Motiv des Handelns in den Fech-
tenden, ſondern es wird immer ein ſehr merklicher Theil
der Gemuͤthskraͤfte wirkſam ſein.

39. Dieſe Wirkſamkeit wird dadurch erhoͤht daß der
Kampf ſich in der Region der Gefahr bewegt, wo alle
Gemuͤthskraͤfte mehr gelten.

40. Aber auch die Intelligenz welche den Kampf
leitet kann nie eine bloße Verſtandeskraft und der Kampf
alſo nie Gegenſtand bloßer Berechnung ſein.

a) Weil er ein Stoß lebendiger phyſiſcher und mora-
liſcher Kraͤfte gegen einander iſt, die nur allgemeinen
Schaͤtzungen aber keinen beſtimmten Berechnungen
unterworfen werden koͤnnen.
b) Weil die Gemuͤthskraͤfte welche ins Spiel treten
den Kampf zum Gegenſtand einer Begeiſterung und
dadurch eines hoͤhern Urtheils machen koͤnnen.

41. Der Kampf kann alſo ein Gegenſtand des Ta-
lentes und des Genius ſein im Gegenſatz des berechnenden
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[287/0301] 36. So iſt es aber keineswegs. Theils fehlt es nie an dem Kollektivhaß der beiden Parteien, der ſich dann in dem Einzelnen mehr oder weniger wirkſam zeigt, ſo daß er von der gehaßten und befeindeten Partei auch den einzelnen Mann haßt und befeindet; theils entzuͤndet ſich ein wirkliches Feindſchaftsgefuͤhl im Kampfe ſelbſt mehr oder weniger bei dem Einzelnen. 37. Ruhmbegierde, Ehrgeiz, Eigennutz und ésprit de corps vertreten mit andern Gemuͤthskraͤften die Feind- ſchaft wo dieſe nicht vorhanden iſt. 38. Es wird alſo in einem Gefechte ſelten oder nie der bloße Wille des Befehlshabers, der bloße vorgeſchrie- bene Zweck das einzige Motiv des Handelns in den Fech- tenden, ſondern es wird immer ein ſehr merklicher Theil der Gemuͤthskraͤfte wirkſam ſein. 39. Dieſe Wirkſamkeit wird dadurch erhoͤht daß der Kampf ſich in der Region der Gefahr bewegt, wo alle Gemuͤthskraͤfte mehr gelten. 40. Aber auch die Intelligenz welche den Kampf leitet kann nie eine bloße Verſtandeskraft und der Kampf alſo nie Gegenſtand bloßer Berechnung ſein. a) Weil er ein Stoß lebendiger phyſiſcher und mora- liſcher Kraͤfte gegen einander iſt, die nur allgemeinen Schaͤtzungen aber keinen beſtimmten Berechnungen unterworfen werden koͤnnen. b) Weil die Gemuͤthskraͤfte welche ins Spiel treten den Kampf zum Gegenſtand einer Begeiſterung und dadurch eines hoͤhern Urtheils machen koͤnnen. 41. Der Kampf kann alſo ein Gegenſtand des Ta- lentes und des Genius ſein im Gegenſatz des berechnenden Verſtandes. 42. Die Gemuͤthskraͤfte und der Genius nun welche

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Zitationshilfe: Clausewitz, Carl von: Vom Kriege. Bd. 3. Berlin, 1834, S. 287. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/clausewitz_krieg03_1834/301>, abgerufen am 28.03.2024.