Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Clausewitz, Carl von: Vom Kriege. Bd. 3. Berlin, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite

Linien überwältigt wurden, so muß man die Ursache in
dem durch politische Meinungen gespaltenen Zustande der
Vertheidiger und der fehlenden Einheit im Befehl suchen,
und doch ist Nichts ausgemachter als daß das Gelingen
des Feldzuges, d. h. das Vordringen durch die letzte Über-
schwemmungslinie, bis vor die Mauern von Amsterdam
auf einer so feinen Spitze ruhte daß man unmöglich dar-
aus eine Folgerung ziehen kann. Diese Spitze war das
unbewachte Harlemer Meer. Vermittelst desselben umging
der Herzog die Vertheidigungslinie und kam dem Posten
von Amselvoen in den Rücken. Hätten die Holländer auf
diesem Meer ein Paar Schiffe gehabt, so wäre der Her-
zog niemals bis vor Amsterdam gekommen; denn er war
au bout de son latin. Welchen Einfluß dies auf den
Friedensschluß gehabt hätte geht uns hier Nichts an, aber
es ist dadurch ausgemacht daß von einem Überwältigen
der letzten Überschwemmungslinie nicht weiter die Rede
sein konnte.

Der Winter ist freilich der natürliche Feind dieses
Vertheidigungsmittels, wie die Franzosen 1794 und 95 ge-
zeigt haben, aber es gehört ein strenger Winter dazu.

Wälder von geringer Zugänglichkeit haben wir gleich-
falls zu den Mitteln gezählt welche der Vertheidigung
einen kräftigen Beistand darbieten. Sind sie von geringer
Tiefe, so kann der Angreifende auf ein Paar nahe bei
einander liegenden Wegen durchdringen und die bessere Ge-
gend erreichen, denn die taktische Stärke der einzelnen
Punkte wird nicht groß sein, weil ein Wald niemals so
absolut undurchdringlich gedacht werden kann wie ein Fluß
oder Morast. -- Aber wenn, wie in Rußland und Polen,
ein bedeutender Landstrich fast überall mit Wald bedeckt
ist und die Kraft des Angreifenden ihn nicht darüber hin-

3*

Linien uͤberwaͤltigt wurden, ſo muß man die Urſache in
dem durch politiſche Meinungen geſpaltenen Zuſtande der
Vertheidiger und der fehlenden Einheit im Befehl ſuchen,
und doch iſt Nichts ausgemachter als daß das Gelingen
des Feldzuges, d. h. das Vordringen durch die letzte Über-
ſchwemmungslinie, bis vor die Mauern von Amſterdam
auf einer ſo feinen Spitze ruhte daß man unmoͤglich dar-
aus eine Folgerung ziehen kann. Dieſe Spitze war das
unbewachte Harlemer Meer. Vermittelſt deſſelben umging
der Herzog die Vertheidigungslinie und kam dem Poſten
von Amſelvoen in den Ruͤcken. Haͤtten die Hollaͤnder auf
dieſem Meer ein Paar Schiffe gehabt, ſo waͤre der Her-
zog niemals bis vor Amſterdam gekommen; denn er war
au bout de son latin. Welchen Einfluß dies auf den
Friedensſchluß gehabt haͤtte geht uns hier Nichts an, aber
es iſt dadurch ausgemacht daß von einem Überwaͤltigen
der letzten Überſchwemmungslinie nicht weiter die Rede
ſein konnte.

Der Winter iſt freilich der natuͤrliche Feind dieſes
Vertheidigungsmittels, wie die Franzoſen 1794 und 95 ge-
zeigt haben, aber es gehoͤrt ein ſtrenger Winter dazu.

Waͤlder von geringer Zugaͤnglichkeit haben wir gleich-
falls zu den Mitteln gezaͤhlt welche der Vertheidigung
einen kraͤftigen Beiſtand darbieten. Sind ſie von geringer
Tiefe, ſo kann der Angreifende auf ein Paar nahe bei
einander liegenden Wegen durchdringen und die beſſere Ge-
gend erreichen, denn die taktiſche Staͤrke der einzelnen
Punkte wird nicht groß ſein, weil ein Wald niemals ſo
abſolut undurchdringlich gedacht werden kann wie ein Fluß
oder Moraſt. — Aber wenn, wie in Rußland und Polen,
ein bedeutender Landſtrich faſt uͤberall mit Wald bedeckt
iſt und die Kraft des Angreifenden ihn nicht daruͤber hin-

3*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0049" n="35"/>
Linien u&#x0364;berwa&#x0364;ltigt wurden, &#x017F;o muß man die Ur&#x017F;ache in<lb/>
dem durch politi&#x017F;che Meinungen ge&#x017F;paltenen Zu&#x017F;tande der<lb/>
Vertheidiger und der fehlenden Einheit im Befehl &#x017F;uchen,<lb/>
und doch i&#x017F;t Nichts ausgemachter als daß das Gelingen<lb/>
des Feldzuges, d. h. das Vordringen durch die letzte Über-<lb/>
&#x017F;chwemmungslinie, bis vor die Mauern von Am&#x017F;terdam<lb/>
auf einer &#x017F;o feinen Spitze ruhte daß man unmo&#x0364;glich dar-<lb/>
aus eine Folgerung ziehen kann. Die&#x017F;e Spitze war das<lb/>
unbewachte Harlemer Meer. Vermittel&#x017F;t de&#x017F;&#x017F;elben umging<lb/>
der Herzog die Vertheidigungslinie und kam dem Po&#x017F;ten<lb/>
von Am&#x017F;elvoen in den Ru&#x0364;cken. Ha&#x0364;tten die Holla&#x0364;nder auf<lb/>
die&#x017F;em Meer ein Paar Schiffe gehabt, &#x017F;o wa&#x0364;re der Her-<lb/>
zog niemals bis vor Am&#x017F;terdam gekommen; denn er war<lb/><hi rendition="#aq">au bout de son latin.</hi> Welchen Einfluß dies auf den<lb/>
Friedens&#x017F;chluß gehabt ha&#x0364;tte geht uns hier Nichts an, aber<lb/>
es i&#x017F;t dadurch ausgemacht daß von einem Überwa&#x0364;ltigen<lb/>
der letzten Über&#x017F;chwemmungslinie nicht weiter die Rede<lb/>
&#x017F;ein konnte.</p><lb/>
          <p>Der Winter i&#x017F;t freilich der natu&#x0364;rliche Feind die&#x017F;es<lb/>
Vertheidigungsmittels, wie die Franzo&#x017F;en 1794 und 95 ge-<lb/>
zeigt haben, aber es geho&#x0364;rt ein <hi rendition="#g">&#x017F;trenger</hi> Winter dazu.</p><lb/>
          <p>Wa&#x0364;lder von geringer Zuga&#x0364;nglichkeit haben wir gleich-<lb/>
falls zu den Mitteln geza&#x0364;hlt welche der Vertheidigung<lb/>
einen kra&#x0364;ftigen Bei&#x017F;tand darbieten. Sind &#x017F;ie von geringer<lb/>
Tiefe, &#x017F;o kann der Angreifende auf ein Paar nahe bei<lb/>
einander liegenden Wegen durchdringen und die be&#x017F;&#x017F;ere Ge-<lb/>
gend erreichen, denn die takti&#x017F;che Sta&#x0364;rke der einzelnen<lb/>
Punkte wird nicht groß &#x017F;ein, weil ein Wald niemals &#x017F;o<lb/>
ab&#x017F;olut undurchdringlich gedacht werden kann wie ein Fluß<lb/>
oder Mora&#x017F;t. &#x2014; Aber wenn, wie in Rußland und Polen,<lb/>
ein bedeutender Land&#x017F;trich fa&#x017F;t u&#x0364;berall mit Wald bedeckt<lb/>
i&#x017F;t und die Kraft des Angreifenden ihn nicht daru&#x0364;ber hin-<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">3*</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[35/0049] Linien uͤberwaͤltigt wurden, ſo muß man die Urſache in dem durch politiſche Meinungen geſpaltenen Zuſtande der Vertheidiger und der fehlenden Einheit im Befehl ſuchen, und doch iſt Nichts ausgemachter als daß das Gelingen des Feldzuges, d. h. das Vordringen durch die letzte Über- ſchwemmungslinie, bis vor die Mauern von Amſterdam auf einer ſo feinen Spitze ruhte daß man unmoͤglich dar- aus eine Folgerung ziehen kann. Dieſe Spitze war das unbewachte Harlemer Meer. Vermittelſt deſſelben umging der Herzog die Vertheidigungslinie und kam dem Poſten von Amſelvoen in den Ruͤcken. Haͤtten die Hollaͤnder auf dieſem Meer ein Paar Schiffe gehabt, ſo waͤre der Her- zog niemals bis vor Amſterdam gekommen; denn er war au bout de son latin. Welchen Einfluß dies auf den Friedensſchluß gehabt haͤtte geht uns hier Nichts an, aber es iſt dadurch ausgemacht daß von einem Überwaͤltigen der letzten Überſchwemmungslinie nicht weiter die Rede ſein konnte. Der Winter iſt freilich der natuͤrliche Feind dieſes Vertheidigungsmittels, wie die Franzoſen 1794 und 95 ge- zeigt haben, aber es gehoͤrt ein ſtrenger Winter dazu. Waͤlder von geringer Zugaͤnglichkeit haben wir gleich- falls zu den Mitteln gezaͤhlt welche der Vertheidigung einen kraͤftigen Beiſtand darbieten. Sind ſie von geringer Tiefe, ſo kann der Angreifende auf ein Paar nahe bei einander liegenden Wegen durchdringen und die beſſere Ge- gend erreichen, denn die taktiſche Staͤrke der einzelnen Punkte wird nicht groß ſein, weil ein Wald niemals ſo abſolut undurchdringlich gedacht werden kann wie ein Fluß oder Moraſt. — Aber wenn, wie in Rußland und Polen, ein bedeutender Landſtrich faſt uͤberall mit Wald bedeckt iſt und die Kraft des Angreifenden ihn nicht daruͤber hin- 3*

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Clausewitz' "Vom Kriege" erschien zu Lebzeiten de… [mehr]

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/clausewitz_krieg03_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/clausewitz_krieg03_1834/49
Zitationshilfe: Clausewitz, Carl von: Vom Kriege. Bd. 3. Berlin, 1834, S. 35. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/clausewitz_krieg03_1834/49>, abgerufen am 19.04.2024.