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Clodius, Christian August Heinrich: Entwurf einer systematischen Poetik nebst Collectaneen zu ihrer Ausführung. Zweiter Theil. Leipzig, 1804.

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uns über göttliche Dinge keinen Aufschluß geben, weil Gott p2c_490.002
in einem Lichte wohnt, dahin kein sinnliches Auge dringen p2c_490.003
kann, weil das ideale Prinzip der Welt in der Erscheinung p2c_490.004
als Erfahrungsobjekt nicht gefunden wird. Was die Vernunft p2c_490.005
betrifft, so offenbart sie uns zwar schon einen Aufruf p2c_490.006
zum höhern Leben im religiösen Gewissen. Der p2c_490.007
Tugendhafte, wenn er seinen Willen allein nach der Form p2c_490.008
der Gesetzlichkeit bestimmt, weiß, daß Gott sey, denn p2c_490.009
Gott, das gesetzliche Wesen, handelt durch ihn. Keinen p2c_490.010
andern Aufschluß giebt aber die Vernunft nicht. Die p2c_490.011
Vernunft kann also den religiösen Glauben, daß das p2c_490.012
gesetzliche Prinzip auch zugleich die Erscheinungswelt allmächtig p2c_490.013
lenke, nur postuliren. Will die menschliche Vernunft p2c_490.014
sich von der Wirksamkeit ihrer Willensbestimmung durch p2c_490.015
Gott in der Erfahrungswelt überzeugen, welches sie als p2c_490.016
receptives Vermögen erheischt, so bedarf sie dazu einer höhern p2c_490.017
Begeisterung, welche die sichtbaren Begebenheiten in p2c_490.018
einem idealen Lichte verklärt, und den Plan Gottes zeigt, p2c_490.019
nach welchem er die Schicksale des Menschengeschlechts nur p2c_490.020
darum anordnet, daß dasselbe zur Gemeinschaft mit ihm gelangen p2c_490.021
könne.

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§. 2.

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Vorausgesetzt, daß sich in der Erfahrung Traditionen p2c_490.024
und Urkunden fänden, welche auf die Würde p2c_490.025
einer göttlichen Offenbarung Anspruch machten, so fragt p2c_490.026
es sich, nach welchen Kriterien der Mensch die Aechtheit p2c_490.027
derselben zu beurtheilen habe.

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Zitationshilfe: Clodius, Christian August Heinrich: Entwurf einer systematischen Poetik nebst Collectaneen zu ihrer Ausführung. Zweiter Theil. Leipzig, 1804, S. 490. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/clodius_poetik02_1804/14>, abgerufen am 19.04.2024.