Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Clodius, Christian August Heinrich: Entwurf einer systematischen Poetik nebst Collectaneen zu ihrer Ausführung. Zweiter Theil. Leipzig, 1804.

Bild:
<< vorherige Seite

p2c_512.001
, ist auch die höchste Wahrheit, die aller Realität erst p2c_512.002
Werth giebt. - Wenn es also die Hauptbegebenheit der p2c_512.003
Bibel ist, daß die Gottheit in der menschlichen Natur zum p2c_512.004
Selbstbewußtseyn kommen, daß der Sohn Gottes Mensch p2c_512.005
werden sollte, so müssen alle vorhergehenden Erzählungen p2c_512.006
im genausten Zusammenhange mit ihr stehen, wenn die Bibel p2c_512.007
als ein ideales Ganze betrachtet werden soll. Denn die p2c_512.008
heilige Weltgeschichte ist für die Reflexion als eine Organisation p2c_512.009
in der Zeit anzusehen, deren Theile alle harmonisch p2c_512.010
zusammen stimmen. Es mußte also ein Volk geben, dessen p2c_512.011
Traditionen bis zu dem Ursprung der Welt hinauf reichten, p2c_512.012
das durch alle Zustände, welche der Mensch zur Kultur zu p2c_512.013
durchgehen pflegt, durchgegangen war, so daß es füglich p2c_512.014
in dieser Rücksicht die ganze Menschheit repräsentiren p2c_512.015
konnte. Dieses Volk mußte von je her eine sich immer p2c_512.016
mehr entwickelnde reinere Vorstellung von der Gottheit gehabt p2c_512.017
haben, als andre Nazionen. Hierzu war anfangs die p2c_512.018
Einheit Gottes schon allein hinreichend. Denn das absolut p2c_512.019
gesetzliche Wesen, das alles nach seiner Form bestimmt, p2c_512.020
duldet keine andre Götter außer sich. Es mußte p2c_512.021
also dieses Volk mit vollem Grund sich für ein erwähltes p2c_512.022
Volk Gottes halten. Gott mußte demselben durch dazu p2c_512.023
berufene Männer sein Land angewiesen, seine religiöse und p2c_512.024
bürgerliche Verfassung organisirt haben. Es mußte eine p2c_512.025
wahre Theokratie statt gefunden haben, Gott mußte p2c_512.026
wie einheimisch bey dieser Nazion geworden, Wunder und p2c_512.027
Weissagungen mußten eng in das Leben derselben verflochten p2c_512.028
seyn. So schildert uns die Schrift das hebräische Volk.

p2c_512.001
, ist auch die höchste Wahrheit, die aller Realität erst p2c_512.002
Werth giebt. ─ Wenn es also die Hauptbegebenheit der p2c_512.003
Bibel ist, daß die Gottheit in der menschlichen Natur zum p2c_512.004
Selbstbewußtseyn kommen, daß der Sohn Gottes Mensch p2c_512.005
werden sollte, so müssen alle vorhergehenden Erzählungen p2c_512.006
im genausten Zusammenhange mit ihr stehen, wenn die Bibel p2c_512.007
als ein ideales Ganze betrachtet werden soll. Denn die p2c_512.008
heilige Weltgeschichte ist für die Reflexion als eine Organisation p2c_512.009
in der Zeit anzusehen, deren Theile alle harmonisch p2c_512.010
zusammen stimmen. Es mußte also ein Volk geben, dessen p2c_512.011
Traditionen bis zu dem Ursprung der Welt hinauf reichten, p2c_512.012
das durch alle Zustände, welche der Mensch zur Kultur zu p2c_512.013
durchgehen pflegt, durchgegangen war, so daß es füglich p2c_512.014
in dieser Rücksicht die ganze Menschheit repräsentiren p2c_512.015
konnte. Dieses Volk mußte von je her eine sich immer p2c_512.016
mehr entwickelnde reinere Vorstellung von der Gottheit gehabt p2c_512.017
haben, als andre Nazionen. Hierzu war anfangs die p2c_512.018
Einheit Gottes schon allein hinreichend. Denn das absolut p2c_512.019
gesetzliche Wesen, das alles nach seiner Form bestimmt, p2c_512.020
duldet keine andre Götter außer sich. Es mußte p2c_512.021
also dieses Volk mit vollem Grund sich für ein erwähltes p2c_512.022
Volk Gottes halten. Gott mußte demselben durch dazu p2c_512.023
berufene Männer sein Land angewiesen, seine religiöse und p2c_512.024
bürgerliche Verfassung organisirt haben. Es mußte eine p2c_512.025
wahre Theokratie statt gefunden haben, Gott mußte p2c_512.026
wie einheimisch bey dieser Nazion geworden, Wunder und p2c_512.027
Weissagungen mußten eng in das Leben derselben verflochten p2c_512.028
seyn. So schildert uns die Schrift das hebräische Volk.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0036" n="512"/><lb n="p2c_512.001"/>
, ist auch die höchste Wahrheit, die aller Realität erst <lb n="p2c_512.002"/>
Werth giebt. &#x2500; Wenn es also die Hauptbegebenheit der <lb n="p2c_512.003"/>
Bibel ist, daß die Gottheit in der menschlichen Natur zum <lb n="p2c_512.004"/>
Selbstbewußtseyn kommen, daß der Sohn Gottes Mensch <lb n="p2c_512.005"/>
werden sollte, so müssen alle vorhergehenden Erzählungen <lb n="p2c_512.006"/>
im genausten Zusammenhange mit ihr stehen, wenn die Bibel <lb n="p2c_512.007"/>
als ein ideales Ganze betrachtet werden soll. Denn die <lb n="p2c_512.008"/>
heilige Weltgeschichte ist für die Reflexion als eine Organisation <lb n="p2c_512.009"/>
in der Zeit anzusehen, deren Theile alle harmonisch <lb n="p2c_512.010"/>
zusammen stimmen. Es mußte also ein Volk geben, dessen <lb n="p2c_512.011"/>
Traditionen bis zu dem Ursprung der Welt hinauf reichten, <lb n="p2c_512.012"/>
das durch alle Zustände, welche der Mensch zur Kultur zu <lb n="p2c_512.013"/>
durchgehen pflegt, durchgegangen war, so daß es füglich <lb n="p2c_512.014"/>
in dieser Rücksicht die <hi rendition="#g">ganze Menschheit</hi> repräsentiren <lb n="p2c_512.015"/>
konnte. Dieses Volk mußte von je her eine sich immer <lb n="p2c_512.016"/>
mehr entwickelnde reinere Vorstellung von der Gottheit gehabt <lb n="p2c_512.017"/>
haben, als andre Nazionen. Hierzu war anfangs die <lb n="p2c_512.018"/> <hi rendition="#g">Einheit</hi> Gottes schon allein hinreichend. Denn das absolut <lb n="p2c_512.019"/> <hi rendition="#g">gesetzliche</hi> Wesen, das alles nach seiner Form bestimmt, <lb n="p2c_512.020"/>
duldet keine andre Götter außer sich. Es mußte <lb n="p2c_512.021"/>
also dieses Volk mit vollem Grund sich für ein erwähltes <lb n="p2c_512.022"/>
Volk Gottes halten. <hi rendition="#g">Gott</hi> mußte demselben durch dazu <lb n="p2c_512.023"/>
berufene Männer sein Land angewiesen, seine religiöse und <lb n="p2c_512.024"/>
bürgerliche Verfassung organisirt haben. Es mußte eine <lb n="p2c_512.025"/>
wahre <hi rendition="#g">Theokratie</hi> statt gefunden haben, Gott mußte <lb n="p2c_512.026"/>
wie einheimisch bey dieser Nazion geworden, Wunder und <lb n="p2c_512.027"/>
Weissagungen mußten eng in das Leben derselben verflochten <lb n="p2c_512.028"/>
seyn. So schildert uns die Schrift das hebräische Volk.
</p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[512/0036] p2c_512.001 , ist auch die höchste Wahrheit, die aller Realität erst p2c_512.002 Werth giebt. ─ Wenn es also die Hauptbegebenheit der p2c_512.003 Bibel ist, daß die Gottheit in der menschlichen Natur zum p2c_512.004 Selbstbewußtseyn kommen, daß der Sohn Gottes Mensch p2c_512.005 werden sollte, so müssen alle vorhergehenden Erzählungen p2c_512.006 im genausten Zusammenhange mit ihr stehen, wenn die Bibel p2c_512.007 als ein ideales Ganze betrachtet werden soll. Denn die p2c_512.008 heilige Weltgeschichte ist für die Reflexion als eine Organisation p2c_512.009 in der Zeit anzusehen, deren Theile alle harmonisch p2c_512.010 zusammen stimmen. Es mußte also ein Volk geben, dessen p2c_512.011 Traditionen bis zu dem Ursprung der Welt hinauf reichten, p2c_512.012 das durch alle Zustände, welche der Mensch zur Kultur zu p2c_512.013 durchgehen pflegt, durchgegangen war, so daß es füglich p2c_512.014 in dieser Rücksicht die ganze Menschheit repräsentiren p2c_512.015 konnte. Dieses Volk mußte von je her eine sich immer p2c_512.016 mehr entwickelnde reinere Vorstellung von der Gottheit gehabt p2c_512.017 haben, als andre Nazionen. Hierzu war anfangs die p2c_512.018 Einheit Gottes schon allein hinreichend. Denn das absolut p2c_512.019 gesetzliche Wesen, das alles nach seiner Form bestimmt, p2c_512.020 duldet keine andre Götter außer sich. Es mußte p2c_512.021 also dieses Volk mit vollem Grund sich für ein erwähltes p2c_512.022 Volk Gottes halten. Gott mußte demselben durch dazu p2c_512.023 berufene Männer sein Land angewiesen, seine religiöse und p2c_512.024 bürgerliche Verfassung organisirt haben. Es mußte eine p2c_512.025 wahre Theokratie statt gefunden haben, Gott mußte p2c_512.026 wie einheimisch bey dieser Nazion geworden, Wunder und p2c_512.027 Weissagungen mußten eng in das Leben derselben verflochten p2c_512.028 seyn. So schildert uns die Schrift das hebräische Volk.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Technische Universität Darmstadt, Universität Stuttgart: Bereitstellung der Scan-Digitalisate und der Texttranskription. (2015-09-30T09:54:39Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
TextGrid/DARIAH-DE: Langfristige Bereitstellung der TextGrid/DARIAH-DE-Repository-Ausgabe
Stefan Alscher: Bearbeitung der digitalen Edition - Annotation des Metaphernbegriffs
Hans-Werner Bartz: Bearbeitung der digitalen Edition - Tustep-Unterstützung
Michael Bender: Bearbeitung der digitalen Edition - Koordination, Konzeption (Korpusaufbau, Annotationsschema, Workflow, Publikationsformen), Annotation des Metaphernbegriffs, XML-Auszeichnung)
Leonie Blumenschein: Bearbeitung der digitalen Edition - XML-Auszeichnung
David Glück: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung, Annotation des Metaphernbegriffs, XSL+JavaScript
Constanze Hahn: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung
Philipp Hegel: Bearbeitung der digitalen Edition - XML/XSL/CSS-Unterstützung
Andrea Rapp: ePoetics-Projekt-Koordination

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: keine Angabe; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: wie Vorlage; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: nicht übernommen; Kustoden: nicht übernommen; langes s (ſ): wie Vorlage; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): wie Vorlage; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: nicht übernommen; u/v bzw. U/V: wie Vorlage; Vokale mit übergest. e: wie Vorlage; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: ja;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/clodius_poetik02_1804
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/clodius_poetik02_1804/36
Zitationshilfe: Clodius, Christian August Heinrich: Entwurf einer systematischen Poetik nebst Collectaneen zu ihrer Ausführung. Zweiter Theil. Leipzig, 1804, S. 512. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/clodius_poetik02_1804/36>, abgerufen am 16.04.2024.