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Conradi, Hermann: Adam Mensch. Leipzig, [1889].

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XVIII.

Kurz nach drei Uhr, also nicht zu der üblichen
Besuchsstunde, ließ sich Adam bei Frau Lange
melden. --

Es war ihm während des Essens und besonders
während einer kurzen Promenade durch den Stadt-
park, den er von seinen Spaziergängen mit Emmy
her sehr lieb gewonnen hatte, unerträglich klar
geworden, daß das Verlobungsproject mit Lydia
eine wahnsinnig groteske Ungeheuerlichkeit bedeutete --
eine Ungeheuerlichkeit, die sich vielleicht heraufbeschwören,
vielleicht sogar unmittelbar in Scene setzen ließ,
die aber herauszufordern er heute nicht die min-
deste Stimmung und nicht den mindesten Muth
besaß. Dagegen fühlte er den Muth in sich,
wenigstens momentan, dagegen reizte es ihn wirklich
immer mehr, Frau Lange direkt zu bitten, ihm die
lumpigen tausend Mark zu leihen. Das war doch
in der That -- Adam sagte es sich immer wieder --
so etwas wie eine social-psychologische Studie, so
etwas wie ein social-ethisches Experiment. Er trat
eben als "Anwalt der Armuth" auf und klopfte an
die Pforten des Reichthums mit der Bitte um

XVIII.

Kurz nach drei Uhr, alſo nicht zu der üblichen
Beſuchsſtunde, ließ ſich Adam bei Frau Lange
melden. —

Es war ihm während des Eſſens und beſonders
während einer kurzen Promenade durch den Stadt-
park, den er von ſeinen Spaziergängen mit Emmy
her ſehr lieb gewonnen hatte, unerträglich klar
geworden, daß das Verlobungsproject mit Lydia
eine wahnſinnig groteske Ungeheuerlichkeit bedeutete —
eine Ungeheuerlichkeit, die ſich vielleicht heraufbeſchwören,
vielleicht ſogar unmittelbar in Scene ſetzen ließ,
die aber herauszufordern er heute nicht die min-
deſte Stimmung und nicht den mindeſten Muth
beſaß. Dagegen fühlte er den Muth in ſich,
wenigſtens momentan, dagegen reizte es ihn wirklich
immer mehr, Frau Lange direkt zu bitten, ihm die
lumpigen tauſend Mark zu leihen. Das war doch
in der That — Adam ſagte es ſich immer wieder —
ſo etwas wie eine ſocial-pſychologiſche Studie, ſo
etwas wie ein ſocial-ethiſches Experiment. Er trat
eben als „Anwalt der Armuth“ auf und klopfte an
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[[374]/0382] XVIII. Kurz nach drei Uhr, alſo nicht zu der üblichen Beſuchsſtunde, ließ ſich Adam bei Frau Lange melden. — Es war ihm während des Eſſens und beſonders während einer kurzen Promenade durch den Stadt- park, den er von ſeinen Spaziergängen mit Emmy her ſehr lieb gewonnen hatte, unerträglich klar geworden, daß das Verlobungsproject mit Lydia eine wahnſinnig groteske Ungeheuerlichkeit bedeutete — eine Ungeheuerlichkeit, die ſich vielleicht heraufbeſchwören, vielleicht ſogar unmittelbar in Scene ſetzen ließ, die aber herauszufordern er heute nicht die min- deſte Stimmung und nicht den mindeſten Muth beſaß. Dagegen fühlte er den Muth in ſich, wenigſtens momentan, dagegen reizte es ihn wirklich immer mehr, Frau Lange direkt zu bitten, ihm die lumpigen tauſend Mark zu leihen. Das war doch in der That — Adam ſagte es ſich immer wieder — ſo etwas wie eine ſocial-pſychologiſche Studie, ſo etwas wie ein ſocial-ethiſches Experiment. Er trat eben als „Anwalt der Armuth“ auf und klopfte an die Pforten des Reichthums mit der Bitte um

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Zitationshilfe: Conradi, Hermann: Adam Mensch. Leipzig, [1889], S. [374]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/conradi_adam_1889/382>, abgerufen am 16.04.2024.