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Conradi, Hermann: Adam Mensch. Leipzig, [1889].

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starken, runden Gefühlen, nach einer gewaltigen
Freude, einem erschütternden, entscheidenden Schmerze.
Alles in ihm war weit und verworren, Nichts eng,
klar umrissen. Und doch bebte er instinctiv vor
einem großen Erlebniß zurück. Er wußte nicht, in
welcher Gestalt er es sich vorstellen, erwarten sollte.
Aber er wußte auch zugleich, daß er bei dieser
nervösen Ueberreizung, bei dieser pathologischen Ab-
hängigkeit von seinem Organismus einem bedeuten-
den Schicksale kaum gewachsen sein würde. Rathlos
stand er vor sich, hülflos tastete er an sich herum,
und schneidend äußerte sich ihm die marternde Hoff-
nungslosigkeit seiner Generation. Seiner Genera-
tion --? Adam sagte sich sehr klar, daß es unter
seinen Altersgenossen verhältnißmäßig nur Wenige
gab, die seiner Art verwandt waren. Aber diese
Wenigen bedeuteten die ursprünglich geistig Bevor-
zugten. Ihre Kräfte fanden nur keine Sphäre, in
der sie sich zwanglos bethätigen konnten. Das
Sichabfinden, Sichanpassen, Sichhineinpressen oder
Sichhinaufschrauben ekelte ihn an, weil es ihn un-
natürlich dünkte. Ja! Er fühlte unheimlich deut-
lich, daß er krank, unglücklich war ... wie so
Mancher, mit dem ihn das Leben in seinen Stu-
dienjahren zusammengeführt hatte. Verschiedene
Mitglieder des Kreises, in welchem er damals eine Zeit
lang verkehrte, hatten sich abgewandt, wie er
nachher gehört, waren ein Stück zurückgegangen,
waren zu Kreuze gekrochen, arbeiteten in enger
Umgrenzung, mit müden Herzen. Die Schlechtesten

ſtarken, runden Gefühlen, nach einer gewaltigen
Freude, einem erſchütternden, entſcheidenden Schmerze.
Alles in ihm war weit und verworren, Nichts eng,
klar umriſſen. Und doch bebte er inſtinctiv vor
einem großen Erlebniß zurück. Er wußte nicht, in
welcher Geſtalt er es ſich vorſtellen, erwarten ſollte.
Aber er wußte auch zugleich, daß er bei dieſer
nervöſen Ueberreizung, bei dieſer pathologiſchen Ab-
hängigkeit von ſeinem Organismus einem bedeuten-
den Schickſale kaum gewachſen ſein würde. Rathlos
ſtand er vor ſich, hülflos taſtete er an ſich herum,
und ſchneidend äußerte ſich ihm die marternde Hoff-
nungsloſigkeit ſeiner Generation. Seiner Genera-
tion —? Adam ſagte ſich ſehr klar, daß es unter
ſeinen Altersgenoſſen verhältnißmäßig nur Wenige
gab, die ſeiner Art verwandt waren. Aber dieſe
Wenigen bedeuteten die urſprünglich geiſtig Bevor-
zugten. Ihre Kräfte fanden nur keine Sphäre, in
der ſie ſich zwanglos bethätigen konnten. Das
Sichabfinden, Sichanpaſſen, Sichhineinpreſſen oder
Sichhinaufſchrauben ekelte ihn an, weil es ihn un-
natürlich dünkte. Ja! Er fühlte unheimlich deut-
lich, daß er krank, unglücklich war ... wie ſo
Mancher, mit dem ihn das Leben in ſeinen Stu-
dienjahren zuſammengeführt hatte. Verſchiedene
Mitglieder des Kreiſes, in welchem er damals eine Zeit
lang verkehrte, hatten ſich abgewandt, wie er
nachher gehört, waren ein Stück zurückgegangen,
waren zu Kreuze gekrochen, arbeiteten in enger
Umgrenzung, mit müden Herzen. Die Schlechteſten

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[101/0109] ſtarken, runden Gefühlen, nach einer gewaltigen Freude, einem erſchütternden, entſcheidenden Schmerze. Alles in ihm war weit und verworren, Nichts eng, klar umriſſen. Und doch bebte er inſtinctiv vor einem großen Erlebniß zurück. Er wußte nicht, in welcher Geſtalt er es ſich vorſtellen, erwarten ſollte. Aber er wußte auch zugleich, daß er bei dieſer nervöſen Ueberreizung, bei dieſer pathologiſchen Ab- hängigkeit von ſeinem Organismus einem bedeuten- den Schickſale kaum gewachſen ſein würde. Rathlos ſtand er vor ſich, hülflos taſtete er an ſich herum, und ſchneidend äußerte ſich ihm die marternde Hoff- nungsloſigkeit ſeiner Generation. Seiner Genera- tion —? Adam ſagte ſich ſehr klar, daß es unter ſeinen Altersgenoſſen verhältnißmäßig nur Wenige gab, die ſeiner Art verwandt waren. Aber dieſe Wenigen bedeuteten die urſprünglich geiſtig Bevor- zugten. Ihre Kräfte fanden nur keine Sphäre, in der ſie ſich zwanglos bethätigen konnten. Das Sichabfinden, Sichanpaſſen, Sichhineinpreſſen oder Sichhinaufſchrauben ekelte ihn an, weil es ihn un- natürlich dünkte. Ja! Er fühlte unheimlich deut- lich, daß er krank, unglücklich war ... wie ſo Mancher, mit dem ihn das Leben in ſeinen Stu- dienjahren zuſammengeführt hatte. Verſchiedene Mitglieder des Kreiſes, in welchem er damals eine Zeit lang verkehrte, hatten ſich abgewandt, wie er nachher gehört, waren ein Stück zurückgegangen, waren zu Kreuze gekrochen, arbeiteten in enger Umgrenzung, mit müden Herzen. Die Schlechteſten

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Zitationshilfe: Conradi, Hermann: Adam Mensch. Leipzig, [1889], S. 101. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/conradi_adam_1889/109>, abgerufen am 25.04.2024.