Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Conradi, Hermann: Adam Mensch. Leipzig, [1889].

Bild:
<< vorherige Seite

verachtete sich zugleich, weil er nach einem Zu-
sammenhange suchte ... weil er jener Stille des
Gemüths instinctiv Wert und Bedeutung beilegte ...
und er verachtete sich zum Dritten, weil er gestern
im Stande gewesen war, die unermeßliche Schwere
des Lebens zu vergessen ... und sie heute fast mit
dem Gefühle eines Menschen trug, der nach neuen
Mitteln und Wegen suchte, sich über sie hinwegzu-
täuschen .. eines Menschen, der am Liebsten vor
ihr geflohen wäre ...

Und so war er denn auch vor seiner Stimmung
geflohen .. hatte sich mit eintöniger Nachdrücklichkeit
eingeredet, daß er einige Besorgungen, die er schon
längst hatte machen wollen, nicht länger aufschieben
könnte .. war, von den Eindrückeu der Außenwelt
bestürmt, überhäuft, zerstreut, endlich auch etwas
ruhiger geworden .. hatte dann mit auffälligem
Appetit zu Mittag gespeist .. und schließlich den
größten Theil des Nachmittags im Cafe Caesar
verstumpftsinnt. Einmal war hier Herr von Boden-
burg vor ihm aufgetaucht, hatte sich aber mit merk-
würdiger Eile sehr bald wieder empfohlen. Adam
hatte lächeln müssen: der Herr Referendar schien
wahrhaftig ein böses Gewissen zu haben! Er sollte
die Emmy, die eben doch weiter nichts als auch
"so Eine" war, nur ruhig zu seinem Privatgebrauche
engagiren -- er, Adam Mensch, würde nicht das
Geringste dagegen einzuwenden haben! Was war
ihm denn diese schöne Sünderin mit dem verzettelten
Herzensleben und dem beschränkten Intellekt?

verachtete ſich zugleich, weil er nach einem Zu-
ſammenhange ſuchte ... weil er jener Stille des
Gemüths inſtinctiv Wert und Bedeutung beilegte ...
und er verachtete ſich zum Dritten, weil er geſtern
im Stande geweſen war, die unermeßliche Schwere
des Lebens zu vergeſſen ... und ſie heute faſt mit
dem Gefühle eines Menſchen trug, der nach neuen
Mitteln und Wegen ſuchte, ſich über ſie hinwegzu-
täuſchen .. eines Menſchen, der am Liebſten vor
ihr geflohen wäre ...

Und ſo war er denn auch vor ſeiner Stimmung
geflohen .. hatte ſich mit eintöniger Nachdrücklichkeit
eingeredet, daß er einige Beſorgungen, die er ſchon
längſt hatte machen wollen, nicht länger aufſchieben
könnte .. war, von den Eindrückeu der Außenwelt
beſtürmt, überhäuft, zerſtreut, endlich auch etwas
ruhiger geworden .. hatte dann mit auffälligem
Appetit zu Mittag geſpeiſt .. und ſchließlich den
größten Theil des Nachmittags im Café Caeſar
verſtumpftſinnt. Einmal war hier Herr von Boden-
burg vor ihm aufgetaucht, hatte ſich aber mit merk-
würdiger Eile ſehr bald wieder empfohlen. Adam
hatte lächeln müſſen: der Herr Referendar ſchien
wahrhaftig ein böſes Gewiſſen zu haben! Er ſollte
die Emmy, die eben doch weiter nichts als auch
„ſo Eine“ war, nur ruhig zu ſeinem Privatgebrauche
engagiren — er, Adam Menſch, würde nicht das
Geringſte dagegen einzuwenden haben! Was war
ihm denn dieſe ſchöne Sünderin mit dem verzettelten
Herzensleben und dem beſchränkten Intellekt?

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0208" n="200"/>
verachtete &#x017F;ich zugleich, weil er nach einem Zu-<lb/>
&#x017F;ammenhange &#x017F;uchte ... weil er jener Stille des<lb/>
Gemüths in&#x017F;tinctiv Wert und Bedeutung beilegte ...<lb/>
und er verachtete &#x017F;ich zum Dritten, weil er ge&#x017F;tern<lb/>
im Stande gewe&#x017F;en war, die unermeßliche Schwere<lb/>
des Lebens zu verge&#x017F;&#x017F;en ... und &#x017F;ie heute fa&#x017F;t mit<lb/>
dem Gefühle eines Men&#x017F;chen trug, der nach neuen<lb/>
Mitteln und Wegen &#x017F;uchte, &#x017F;ich über &#x017F;ie hinwegzu-<lb/>
täu&#x017F;chen .. eines Men&#x017F;chen, der am Lieb&#x017F;ten vor<lb/>
ihr geflohen wäre ...</p><lb/>
        <p>Und &#x017F;o war er denn auch vor &#x017F;einer Stimmung<lb/>
geflohen .. hatte &#x017F;ich mit eintöniger Nachdrücklichkeit<lb/>
eingeredet, daß er einige Be&#x017F;orgungen, die er &#x017F;chon<lb/>
läng&#x017F;t hatte machen wollen, nicht länger auf&#x017F;chieben<lb/>
könnte .. war, von den Eindrückeu der Außenwelt<lb/>
be&#x017F;türmt, überhäuft, zer&#x017F;treut, endlich auch etwas<lb/>
ruhiger geworden .. hatte dann mit auffälligem<lb/>
Appetit zu Mittag ge&#x017F;pei&#x017F;t .. und &#x017F;chließlich den<lb/>
größten Theil des Nachmittags im Caf<hi rendition="#aq">é</hi> Cae&#x017F;ar<lb/>
ver&#x017F;tumpft&#x017F;innt. Einmal war hier Herr von Boden-<lb/>
burg vor ihm aufgetaucht, hatte &#x017F;ich aber mit merk-<lb/>
würdiger Eile &#x017F;ehr bald wieder empfohlen. Adam<lb/>
hatte lächeln mü&#x017F;&#x017F;en: der Herr Referendar &#x017F;chien<lb/>
wahrhaftig ein bö&#x017F;es Gewi&#x017F;&#x017F;en zu haben! Er &#x017F;ollte<lb/>
die Emmy, die eben doch weiter nichts als auch<lb/>
&#x201E;&#x017F;o Eine&#x201C; war, nur ruhig zu &#x017F;einem Privatgebrauche<lb/>
engagiren &#x2014; er, Adam Men&#x017F;ch, würde nicht das<lb/>
Gering&#x017F;te dagegen einzuwenden haben! Was war<lb/>
ihm denn die&#x017F;e &#x017F;chöne Sünderin mit dem verzettelten<lb/>
Herzensleben und dem be&#x017F;chränkten Intellekt?<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[200/0208] verachtete ſich zugleich, weil er nach einem Zu- ſammenhange ſuchte ... weil er jener Stille des Gemüths inſtinctiv Wert und Bedeutung beilegte ... und er verachtete ſich zum Dritten, weil er geſtern im Stande geweſen war, die unermeßliche Schwere des Lebens zu vergeſſen ... und ſie heute faſt mit dem Gefühle eines Menſchen trug, der nach neuen Mitteln und Wegen ſuchte, ſich über ſie hinwegzu- täuſchen .. eines Menſchen, der am Liebſten vor ihr geflohen wäre ... Und ſo war er denn auch vor ſeiner Stimmung geflohen .. hatte ſich mit eintöniger Nachdrücklichkeit eingeredet, daß er einige Beſorgungen, die er ſchon längſt hatte machen wollen, nicht länger aufſchieben könnte .. war, von den Eindrückeu der Außenwelt beſtürmt, überhäuft, zerſtreut, endlich auch etwas ruhiger geworden .. hatte dann mit auffälligem Appetit zu Mittag geſpeiſt .. und ſchließlich den größten Theil des Nachmittags im Café Caeſar verſtumpftſinnt. Einmal war hier Herr von Boden- burg vor ihm aufgetaucht, hatte ſich aber mit merk- würdiger Eile ſehr bald wieder empfohlen. Adam hatte lächeln müſſen: der Herr Referendar ſchien wahrhaftig ein böſes Gewiſſen zu haben! Er ſollte die Emmy, die eben doch weiter nichts als auch „ſo Eine“ war, nur ruhig zu ſeinem Privatgebrauche engagiren — er, Adam Menſch, würde nicht das Geringſte dagegen einzuwenden haben! Was war ihm denn dieſe ſchöne Sünderin mit dem verzettelten Herzensleben und dem beſchränkten Intellekt?

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/conradi_adam_1889
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/conradi_adam_1889/208
Zitationshilfe: Conradi, Hermann: Adam Mensch. Leipzig, [1889], S. 200. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/conradi_adam_1889/208>, abgerufen am 20.04.2024.