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Conradi, Hermann: Adam Mensch. Leipzig, [1889].

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sich allerdings zuweilen mit Motiven, die ihrem inneren
Werthe und Wesen nach hinausgingen über die einfält-
tigen Grenzen des Augenblicks. Aber er that das eigent-
lich nur noch ganz mechanisch und ohne sich der
weiteren Geisteszonen bewußt zu werden, in welchen
er dann ja athmete. Er zog eben die Karre fort,
die ihm einmal die Kombination der Verhältnisse
und die Tendenzen seiner Natur anvertraut oder auf-
gehalst hatten. Es war so viel rauchig graue Abend-
dämmerung, so viel wasserfarbene Verstummheit
in ihm.

Sein Erlebniß mit Hedwig Irmer dünkte ihn
ein abgeschmackter, insipider Traum. Es zerrann
ihm Alles so unter den Fingern. Das konnte ja
nicht sein, das war ja pure Einbildung. Und doch
war er sich zugleich klar darüber, daß die Komödie
noch nicht ihr Ende erreicht hatte. Und er erwartete
dieses Ende mit einem gewissen kaltblütigen Trotz,
während er jetzt mit einem merkwürdigen Epikureis-
mus in der Zwischenaktspause schwelgte. Das war
auch so ein Zug seiner Natur, der sich mit der Zeit
herausgebildet. Unangenehme Lebenspillen verschluckte
Adam gern in Unterbrechungen. Schon die That-
sache einer solchen Unterbrechung, schon die Möglich-
keit, sie zu constatiren, hatte für ihn einen ge-
wissen Reiz.

Er kramte Dies und Das aus sich heraus. Aber
das lag Alles so todt vor ihm. Da gab es nur
noch mit dickem, gelbem Rost bedeckte, unfahrbar
gewordene Geleise zwischen den einzelnen Resultaten


ſich allerdings zuweilen mit Motiven, die ihrem inneren
Werthe und Weſen nach hinausgingen über die einfält-
tigen Grenzen des Augenblicks. Aber er that das eigent-
lich nur noch ganz mechaniſch und ohne ſich der
weiteren Geiſteszonen bewußt zu werden, in welchen
er dann ja athmete. Er zog eben die Karre fort,
die ihm einmal die Kombination der Verhältniſſe
und die Tendenzen ſeiner Natur anvertraut oder auf-
gehalſt hatten. Es war ſo viel rauchig graue Abend-
dämmerung, ſo viel waſſerfarbene Verſtummheit
in ihm.

Sein Erlebniß mit Hedwig Irmer dünkte ihn
ein abgeſchmackter, inſipider Traum. Es zerrann
ihm Alles ſo unter den Fingern. Das konnte ja
nicht ſein, das war ja pure Einbildung. Und doch
war er ſich zugleich klar darüber, daß die Komödie
noch nicht ihr Ende erreicht hatte. Und er erwartete
dieſes Ende mit einem gewiſſen kaltblütigen Trotz,
während er jetzt mit einem merkwürdigen Epikureis-
mus in der Zwiſchenaktspauſe ſchwelgte. Das war
auch ſo ein Zug ſeiner Natur, der ſich mit der Zeit
herausgebildet. Unangenehme Lebenspillen verſchluckte
Adam gern in Unterbrechungen. Schon die That-
ſache einer ſolchen Unterbrechung, ſchon die Möglich-
keit, ſie zu conſtatiren, hatte für ihn einen ge-
wiſſen Reiz.

Er kramte Dies und Das aus ſich heraus. Aber
das lag Alles ſo todt vor ihm. Da gab es nur
noch mit dickem, gelbem Roſt bedeckte, unfahrbar
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[343/0351] ſich allerdings zuweilen mit Motiven, die ihrem inneren Werthe und Weſen nach hinausgingen über die einfält- tigen Grenzen des Augenblicks. Aber er that das eigent- lich nur noch ganz mechaniſch und ohne ſich der weiteren Geiſteszonen bewußt zu werden, in welchen er dann ja athmete. Er zog eben die Karre fort, die ihm einmal die Kombination der Verhältniſſe und die Tendenzen ſeiner Natur anvertraut oder auf- gehalſt hatten. Es war ſo viel rauchig graue Abend- dämmerung, ſo viel waſſerfarbene Verſtummheit in ihm. Sein Erlebniß mit Hedwig Irmer dünkte ihn ein abgeſchmackter, inſipider Traum. Es zerrann ihm Alles ſo unter den Fingern. Das konnte ja nicht ſein, das war ja pure Einbildung. Und doch war er ſich zugleich klar darüber, daß die Komödie noch nicht ihr Ende erreicht hatte. Und er erwartete dieſes Ende mit einem gewiſſen kaltblütigen Trotz, während er jetzt mit einem merkwürdigen Epikureis- mus in der Zwiſchenaktspauſe ſchwelgte. Das war auch ſo ein Zug ſeiner Natur, der ſich mit der Zeit herausgebildet. Unangenehme Lebenspillen verſchluckte Adam gern in Unterbrechungen. Schon die That- ſache einer ſolchen Unterbrechung, ſchon die Möglich- keit, ſie zu conſtatiren, hatte für ihn einen ge- wiſſen Reiz. Er kramte Dies und Das aus ſich heraus. Aber das lag Alles ſo todt vor ihm. Da gab es nur noch mit dickem, gelbem Roſt bedeckte, unfahrbar gewordene Geleiſe zwiſchen den einzelnen Reſultaten

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Zitationshilfe: Conradi, Hermann: Adam Mensch. Leipzig, [1889], S. 343. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/conradi_adam_1889/351>, abgerufen am 28.03.2024.