Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Curtius, Ernst: Alterthum und Gegenwart. Gesammelte Reden und Vorträge. Bd. 1. Berlin, 1875.

Bild:
<< vorherige Seite
III.
Rom und die Deutschen.

Sie haben mir schon einmal gestattet, bei dem heutigen
Feste an persönlich Erlebtes anzuknüpfen und Eindrücke einer
Frühlingsreise für meine Junirede zu verwerthen. Ich nehme
es dankbar an, wenn Sie mir dies auch heute gestatten, denn
wer könnte ohne tiefe Eindrücke, welche zur Mittheilung drän¬
gen, aus der Stadt heimkehren, die man nach menschlichem
Maßstabe die ewige nennt! Eine Reihe von Städten hat es
im Alterthum gegeben, welche Jahrhunderte lang Mittelpunkte
der Menschengeschichte gewesen sind, Babel und Ninive, Susa,
Tyrus und das hundertthorige Theben. Sie haben aber alle
ihre scharfgemessene Zeit gehabt; dann sind sie vom Erdboden
verschwunden und ihre Stätte ist von kommenden Geschlechtern
gemieden worden. Rom aber -- wie oft hat es verlassen
und zerstört werden sollen! Wie oft sind seit dem Seufzer
des Scipio angstvolle Ahnungen vom Ende ihrer Stadt durch
die Seele der Römer gezogen! Wie oft schien der jüngste Tag
vorhanden zu sein, an dem sie den unterjochten Völkern Buße
zahlen sollte! Aber sie ist immer eine Weltstadt geblieben,
nach dem Untergange der Republik als Sitz der Cäsaren, nach
dem Sturze des heidnischen Fürstensitzes als die Stätte der
Apostel- und Märtyrergräber, und auch nach dem Aufhören
päpstlicher Weltherrschaft ist Rom bis auf den heutigen Tag

III.
Rom und die Deutſchen.

Sie haben mir ſchon einmal geſtattet, bei dem heutigen
Feſte an perſönlich Erlebtes anzuknüpfen und Eindrücke einer
Frühlingsreiſe für meine Junirede zu verwerthen. Ich nehme
es dankbar an, wenn Sie mir dies auch heute geſtatten, denn
wer könnte ohne tiefe Eindrücke, welche zur Mittheilung drän¬
gen, aus der Stadt heimkehren, die man nach menſchlichem
Maßſtabe die ewige nennt! Eine Reihe von Städten hat es
im Alterthum gegeben, welche Jahrhunderte lang Mittelpunkte
der Menſchengeſchichte geweſen ſind, Babel und Ninive, Suſa,
Tyrus und das hundertthorige Theben. Sie haben aber alle
ihre ſcharfgemeſſene Zeit gehabt; dann ſind ſie vom Erdboden
verſchwunden und ihre Stätte iſt von kommenden Geſchlechtern
gemieden worden. Rom aber — wie oft hat es verlaſſen
und zerſtört werden ſollen! Wie oft ſind ſeit dem Seufzer
des Scipio angſtvolle Ahnungen vom Ende ihrer Stadt durch
die Seele der Römer gezogen! Wie oft ſchien der jüngſte Tag
vorhanden zu ſein, an dem ſie den unterjochten Völkern Buße
zahlen ſollte! Aber ſie iſt immer eine Weltſtadt geblieben,
nach dem Untergange der Republik als Sitz der Cäſaren, nach
dem Sturze des heidniſchen Fürſtenſitzes als die Stätte der
Apoſtel- und Märtyrergräber, und auch nach dem Aufhören
päpſtlicher Weltherrſchaft iſt Rom bis auf den heutigen Tag

<TEI>
  <text>
    <body>
      <pb facs="#f0057"/>
      <div n="1">
        <head> <hi rendition="#aq">III.</hi><lb/> <hi rendition="#b">Rom und die Deut&#x017F;chen.</hi><lb/>
        </head>
        <p>Sie haben mir &#x017F;chon einmal ge&#x017F;tattet, bei dem heutigen<lb/>
Fe&#x017F;te an per&#x017F;önlich Erlebtes anzuknüpfen und Eindrücke einer<lb/>
Frühlingsrei&#x017F;e für meine Junirede zu verwerthen. Ich nehme<lb/>
es dankbar an, wenn Sie mir dies auch heute ge&#x017F;tatten, denn<lb/>
wer könnte ohne tiefe Eindrücke, welche zur Mittheilung drän¬<lb/>
gen, aus der Stadt heimkehren, die man nach men&#x017F;chlichem<lb/>
Maß&#x017F;tabe die ewige nennt! Eine Reihe von Städten hat es<lb/>
im Alterthum gegeben, welche Jahrhunderte lang Mittelpunkte<lb/>
der Men&#x017F;chenge&#x017F;chichte gewe&#x017F;en &#x017F;ind, Babel und Ninive, Su&#x017F;a,<lb/>
Tyrus und das hundertthorige Theben. Sie haben aber alle<lb/>
ihre &#x017F;charfgeme&#x017F;&#x017F;ene Zeit gehabt; dann &#x017F;ind &#x017F;ie vom Erdboden<lb/>
ver&#x017F;chwunden und ihre Stätte i&#x017F;t von kommenden Ge&#x017F;chlechtern<lb/>
gemieden worden. Rom aber &#x2014; wie oft hat es verla&#x017F;&#x017F;en<lb/>
und zer&#x017F;tört werden &#x017F;ollen! Wie oft &#x017F;ind &#x017F;eit dem Seufzer<lb/>
des Scipio ang&#x017F;tvolle Ahnungen vom Ende ihrer Stadt durch<lb/>
die Seele der Römer gezogen! Wie oft &#x017F;chien der jüng&#x017F;te Tag<lb/>
vorhanden zu &#x017F;ein, an dem &#x017F;ie den unterjochten Völkern Buße<lb/>
zahlen &#x017F;ollte! Aber &#x017F;ie i&#x017F;t immer eine Welt&#x017F;tadt geblieben,<lb/>
nach dem Untergange der Republik als Sitz der Cä&#x017F;aren, nach<lb/>
dem Sturze des heidni&#x017F;chen Für&#x017F;ten&#x017F;itzes als die Stätte der<lb/>
Apo&#x017F;tel- und Märtyrergräber, und auch nach dem Aufhören<lb/>
päp&#x017F;tlicher Weltherr&#x017F;chaft i&#x017F;t Rom bis auf den heutigen Tag<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0057] III. Rom und die Deutſchen. Sie haben mir ſchon einmal geſtattet, bei dem heutigen Feſte an perſönlich Erlebtes anzuknüpfen und Eindrücke einer Frühlingsreiſe für meine Junirede zu verwerthen. Ich nehme es dankbar an, wenn Sie mir dies auch heute geſtatten, denn wer könnte ohne tiefe Eindrücke, welche zur Mittheilung drän¬ gen, aus der Stadt heimkehren, die man nach menſchlichem Maßſtabe die ewige nennt! Eine Reihe von Städten hat es im Alterthum gegeben, welche Jahrhunderte lang Mittelpunkte der Menſchengeſchichte geweſen ſind, Babel und Ninive, Suſa, Tyrus und das hundertthorige Theben. Sie haben aber alle ihre ſcharfgemeſſene Zeit gehabt; dann ſind ſie vom Erdboden verſchwunden und ihre Stätte iſt von kommenden Geſchlechtern gemieden worden. Rom aber — wie oft hat es verlaſſen und zerſtört werden ſollen! Wie oft ſind ſeit dem Seufzer des Scipio angſtvolle Ahnungen vom Ende ihrer Stadt durch die Seele der Römer gezogen! Wie oft ſchien der jüngſte Tag vorhanden zu ſein, an dem ſie den unterjochten Völkern Buße zahlen ſollte! Aber ſie iſt immer eine Weltſtadt geblieben, nach dem Untergange der Republik als Sitz der Cäſaren, nach dem Sturze des heidniſchen Fürſtenſitzes als die Stätte der Apoſtel- und Märtyrergräber, und auch nach dem Aufhören päpſtlicher Weltherrſchaft iſt Rom bis auf den heutigen Tag

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/curtius_alterthum01_1875
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/curtius_alterthum01_1875/57
Zitationshilfe: Curtius, Ernst: Alterthum und Gegenwart. Gesammelte Reden und Vorträge. Bd. 1. Berlin, 1875, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/curtius_alterthum01_1875/57>, abgerufen am 25.04.2024.