Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Dahlmann, Friedrich Christoph: Geschichte der französischen Revolution bis auf die Stiftung der Republik. Leipzig, 1845.

Bild:
<< vorherige Seite

lassen war. Da nun die Rathgeber der Krone zu der Ver-
sammlung wie Fremde standen, so befand sich niemand
darin, dessen Obliegenheit es gewesen wäre, immerfort
an die Grundwahrheit zu erinnern, daß die Wirksamkeit
einer Regierung stets die Hauptsache im Staate bleibt,
weil mit der Ordnung mindestens die Möglichkeit der
Freiheit gegeben ist, welche nothwendig verloren geht,
wenn Ordnungslosigkeit dauernd wird. Die Nationalver-
sammlung war durch eine gelungene Revolution an die
Spitze von Frankreich getreten. Fortan mußte es ihr erstes
Anliegen seyn, die schwankende Macht der Krone wieder zu
befestigen und das bereits sicher gestellte Recht der Gegen-
wart mit der Vergangenheit zu verknüpfen, überhaupt
aber an der Bescheidenheit der Natur ein Muster zu neh-
men, welche niemals von unvollkommenen Bildungen
durch einen Sprung zu den vollkommensten übergeht.
Denn schon hatte sich die Entwickelung finsterer Gewalten
angekündigt, für die Krone und die Nationalversammlung
gleich gefährlich. Im bretagnischen Club in Versailles
ward jener Anfall auf den Erzbischof von Paris angezet-
telt, und nicht bloß die Helden der Bastille statteten im
Palais-royal Bericht ab, auch die Mörder empfingen dort
ihren Auftrag oder ihren Lohn. Dort saß auch der Herzog
von Orleans wie eine Spinne in ihrem Gewebe, allein
sein Kleinmuth, größer als sein Ehrgeiz, zerriß jeden Tag
wieder sein Gespinnst, und manche die orleanssches Geld ver-
wandten, gaben auf den Plan seiner minder abgespannten

laſſen war. Da nun die Rathgeber der Krone zu der Ver-
ſammlung wie Fremde ſtanden, ſo befand ſich niemand
darin, deſſen Obliegenheit es geweſen wäre, immerfort
an die Grundwahrheit zu erinnern, daß die Wirkſamkeit
einer Regierung ſtets die Hauptſache im Staate bleibt,
weil mit der Ordnung mindeſtens die Möglichkeit der
Freiheit gegeben iſt, welche nothwendig verloren geht,
wenn Ordnungsloſigkeit dauernd wird. Die Nationalver-
ſammlung war durch eine gelungene Revolution an die
Spitze von Frankreich getreten. Fortan mußte es ihr erſtes
Anliegen ſeyn, die ſchwankende Macht der Krone wieder zu
befeſtigen und das bereits ſicher geſtellte Recht der Gegen-
wart mit der Vergangenheit zu verknüpfen, überhaupt
aber an der Beſcheidenheit der Natur ein Muſter zu neh-
men, welche niemals von unvollkommenen Bildungen
durch einen Sprung zu den vollkommenſten übergeht.
Denn ſchon hatte ſich die Entwickelung finſterer Gewalten
angekündigt, für die Krone und die Nationalverſammlung
gleich gefährlich. Im bretagniſchen Club in Verſailles
ward jener Anfall auf den Erzbiſchof von Paris angezet-
telt, und nicht bloß die Helden der Baſtille ſtatteten im
Palais-royal Bericht ab, auch die Mörder empfingen dort
ihren Auftrag oder ihren Lohn. Dort ſaß auch der Herzog
von Orleans wie eine Spinne in ihrem Gewebe, allein
ſein Kleinmuth, größer als ſein Ehrgeiz, zerriß jeden Tag
wieder ſein Geſpinnſt, und manche die orleansſches Geld ver-
wandten, gaben auf den Plan ſeiner minder abgeſpannten

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0250" n="240"/>
la&#x017F;&#x017F;en war. Da nun die Rathgeber der Krone zu der Ver-<lb/>
&#x017F;ammlung wie Fremde &#x017F;tanden, &#x017F;o befand &#x017F;ich niemand<lb/>
darin, de&#x017F;&#x017F;en Obliegenheit es gewe&#x017F;en wäre, immerfort<lb/>
an die Grundwahrheit zu erinnern, daß die Wirk&#x017F;amkeit<lb/>
einer Regierung &#x017F;tets die Haupt&#x017F;ache im Staate bleibt,<lb/>
weil mit der Ordnung minde&#x017F;tens die Möglichkeit der<lb/>
Freiheit gegeben i&#x017F;t, welche nothwendig verloren geht,<lb/>
wenn Ordnungslo&#x017F;igkeit dauernd wird. Die Nationalver-<lb/>
&#x017F;ammlung war durch eine gelungene Revolution an die<lb/>
Spitze von Frankreich getreten. Fortan mußte es ihr er&#x017F;tes<lb/>
Anliegen &#x017F;eyn, die &#x017F;chwankende Macht der Krone wieder zu<lb/>
befe&#x017F;tigen und das bereits &#x017F;icher ge&#x017F;tellte Recht der Gegen-<lb/>
wart mit der Vergangenheit zu verknüpfen, überhaupt<lb/>
aber an der Be&#x017F;cheidenheit der Natur ein Mu&#x017F;ter zu neh-<lb/>
men, welche niemals von unvollkommenen Bildungen<lb/>
durch einen Sprung zu den vollkommen&#x017F;ten übergeht.<lb/>
Denn &#x017F;chon hatte &#x017F;ich die Entwickelung fin&#x017F;terer Gewalten<lb/>
angekündigt, für die Krone und die Nationalver&#x017F;ammlung<lb/>
gleich gefährlich. Im bretagni&#x017F;chen Club in Ver&#x017F;ailles<lb/>
ward jener Anfall auf den Erzbi&#x017F;chof von Paris angezet-<lb/>
telt, und nicht bloß die Helden der Ba&#x017F;tille &#x017F;tatteten im<lb/>
Palais-royal Bericht ab, auch die Mörder empfingen dort<lb/>
ihren Auftrag oder ihren Lohn. Dort &#x017F;aß auch der Herzog<lb/>
von Orleans wie eine Spinne in ihrem Gewebe, allein<lb/>
&#x017F;ein Kleinmuth, größer als &#x017F;ein Ehrgeiz, zerriß jeden Tag<lb/>
wieder &#x017F;ein Ge&#x017F;pinn&#x017F;t, und manche die orleans&#x017F;ches Geld ver-<lb/>
wandten, gaben auf den Plan &#x017F;einer minder abge&#x017F;pannten<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[240/0250] laſſen war. Da nun die Rathgeber der Krone zu der Ver- ſammlung wie Fremde ſtanden, ſo befand ſich niemand darin, deſſen Obliegenheit es geweſen wäre, immerfort an die Grundwahrheit zu erinnern, daß die Wirkſamkeit einer Regierung ſtets die Hauptſache im Staate bleibt, weil mit der Ordnung mindeſtens die Möglichkeit der Freiheit gegeben iſt, welche nothwendig verloren geht, wenn Ordnungsloſigkeit dauernd wird. Die Nationalver- ſammlung war durch eine gelungene Revolution an die Spitze von Frankreich getreten. Fortan mußte es ihr erſtes Anliegen ſeyn, die ſchwankende Macht der Krone wieder zu befeſtigen und das bereits ſicher geſtellte Recht der Gegen- wart mit der Vergangenheit zu verknüpfen, überhaupt aber an der Beſcheidenheit der Natur ein Muſter zu neh- men, welche niemals von unvollkommenen Bildungen durch einen Sprung zu den vollkommenſten übergeht. Denn ſchon hatte ſich die Entwickelung finſterer Gewalten angekündigt, für die Krone und die Nationalverſammlung gleich gefährlich. Im bretagniſchen Club in Verſailles ward jener Anfall auf den Erzbiſchof von Paris angezet- telt, und nicht bloß die Helden der Baſtille ſtatteten im Palais-royal Bericht ab, auch die Mörder empfingen dort ihren Auftrag oder ihren Lohn. Dort ſaß auch der Herzog von Orleans wie eine Spinne in ihrem Gewebe, allein ſein Kleinmuth, größer als ſein Ehrgeiz, zerriß jeden Tag wieder ſein Geſpinnſt, und manche die orleansſches Geld ver- wandten, gaben auf den Plan ſeiner minder abgeſpannten

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/dahlmann_geschichte_1845
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/dahlmann_geschichte_1845/250
Zitationshilfe: Dahlmann, Friedrich Christoph: Geschichte der französischen Revolution bis auf die Stiftung der Republik. Leipzig, 1845, S. 240. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dahlmann_geschichte_1845/250>, abgerufen am 28.03.2024.