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Dahlmann, Friedrich Christoph: Die Politik, auf den Grund und das Maaß der gegebenen Zustände zurückgeführt. Bd. 1: Staatsverfassung. Volksbildung. Göttingen, 1835.

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Das Königthum.
Unwürdigen berufen kann, oder ob sie etwa nur für die
schlechtere Volksnatur genüge, die den Stärkeren schon für
einen Besseren nimmt, da es ja Volks-Individuen geben
mag, die eben so nothwendig sogar des Tyrannen bedürfen,
wie einzelne Menschen des Kerkermeisters. Aristoteles, der
das Königthum bedingungsweise hochhielt, gab dem Kar-
thagischen Wahlkönigthum den Vorzug vor der Spartani-
schen Vererbung, wiewohl ersteres käuflich geworden war 1).

1) Polit. II, 8. vgl. Platon's Rep. VIII. p. 544.

102. Gegen die Wahl-Monarchie und ihre Ver-
heißung des würdigsten Mannes auf der höchsten Stelle
spricht aber von allen Seiten die Unausführbarkeit dieser
Verheißung; weil 1) die Wahlhandlung, von wem sie
auch ausgehe, nicht die Würdigkeit verbürgt, nur die
Partheymacht des Gewählten. Auch die Wahlhandfeste ist
Partheywerk. 2) Weil die Wahl nicht einmahl ihres näch-
sten Zweckes, überhaupt einen Herrscher aufzustellen, sicher
ist, da bestrittene Wahlen häufig sind. Geht die Ernen-
nung vom Herrscher aus, wie Peter der Große wollte,
so ist nicht einmahl verbürgt, daß sie überhaupt geschehe.
Peter's letzte Worte, die er zu schreiben versuchte, waren,
sagt man: "Donnez tout a ......" 3) Weil inländi-
sche Wahlen ein Reich mit Königshäusern, zwieträchtigen
und habsüchtigen überfüllen, ausländische aber lieblose
Herrscher herbeiführen und die Unabhängigkeit gefährden.
4) Weil eine Verfassung nicht gut seyn kann, deren na-
türlicher Feind jeder König als Familien-Vater ist. 5)
Wegen des Zwischenreiches.

103. Für die Erblichkeit streitet 1) ihr mit der
Familien-Ordnung übereinstimmender Charakter, der das
Königshaus zugleich zum Vaterhause macht, und ebendaher

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Das Koͤnigthum.
Unwuͤrdigen berufen kann, oder ob ſie etwa nur fuͤr die
ſchlechtere Volksnatur genuͤge, die den Staͤrkeren ſchon fuͤr
einen Beſſeren nimmt, da es ja Volks-Individuen geben
mag, die eben ſo nothwendig ſogar des Tyrannen beduͤrfen,
wie einzelne Menſchen des Kerkermeiſters. Ariſtoteles, der
das Koͤnigthum bedingungsweiſe hochhielt, gab dem Kar-
thagiſchen Wahlkoͤnigthum den Vorzug vor der Spartani-
ſchen Vererbung, wiewohl erſteres kaͤuflich geworden war 1).

1) Polit. II, 8. vgl. Platon’s Rep. VIII. p. 544.

102. Gegen die Wahl-Monarchie und ihre Ver-
heißung des wuͤrdigſten Mannes auf der hoͤchſten Stelle
ſpricht aber von allen Seiten die Unausfuͤhrbarkeit dieſer
Verheißung; weil 1) die Wahlhandlung, von wem ſie
auch ausgehe, nicht die Wuͤrdigkeit verbuͤrgt, nur die
Partheymacht des Gewaͤhlten. Auch die Wahlhandfeſte iſt
Partheywerk. 2) Weil die Wahl nicht einmahl ihres naͤch-
ſten Zweckes, uͤberhaupt einen Herrſcher aufzuſtellen, ſicher
iſt, da beſtrittene Wahlen haͤufig ſind. Geht die Ernen-
nung vom Herrſcher aus, wie Peter der Große wollte,
ſo iſt nicht einmahl verbuͤrgt, daß ſie uͤberhaupt geſchehe.
Peter’s letzte Worte, die er zu ſchreiben verſuchte, waren,
ſagt man: „Donnez tout à ......” 3) Weil inlaͤndi-
ſche Wahlen ein Reich mit Koͤnigshaͤuſern, zwietraͤchtigen
und habſuͤchtigen uͤberfuͤllen, auslaͤndiſche aber liebloſe
Herrſcher herbeifuͤhren und die Unabhaͤngigkeit gefaͤhrden.
4) Weil eine Verfaſſung nicht gut ſeyn kann, deren na-
tuͤrlicher Feind jeder Koͤnig als Familien-Vater iſt. 5)
Wegen des Zwiſchenreiches.

103. Fuͤr die Erblichkeit ſtreitet 1) ihr mit der
Familien-Ordnung uͤbereinſtimmender Charakter, der das
Koͤnigshaus zugleich zum Vaterhauſe macht, und ebendaher

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[83/0095] Das Koͤnigthum. Unwuͤrdigen berufen kann, oder ob ſie etwa nur fuͤr die ſchlechtere Volksnatur genuͤge, die den Staͤrkeren ſchon fuͤr einen Beſſeren nimmt, da es ja Volks-Individuen geben mag, die eben ſo nothwendig ſogar des Tyrannen beduͤrfen, wie einzelne Menſchen des Kerkermeiſters. Ariſtoteles, der das Koͤnigthum bedingungsweiſe hochhielt, gab dem Kar- thagiſchen Wahlkoͤnigthum den Vorzug vor der Spartani- ſchen Vererbung, wiewohl erſteres kaͤuflich geworden war 1). ¹⁾ Polit. II, 8. vgl. Platon’s Rep. VIII. p. 544. 102. Gegen die Wahl-Monarchie und ihre Ver- heißung des wuͤrdigſten Mannes auf der hoͤchſten Stelle ſpricht aber von allen Seiten die Unausfuͤhrbarkeit dieſer Verheißung; weil 1) die Wahlhandlung, von wem ſie auch ausgehe, nicht die Wuͤrdigkeit verbuͤrgt, nur die Partheymacht des Gewaͤhlten. Auch die Wahlhandfeſte iſt Partheywerk. 2) Weil die Wahl nicht einmahl ihres naͤch- ſten Zweckes, uͤberhaupt einen Herrſcher aufzuſtellen, ſicher iſt, da beſtrittene Wahlen haͤufig ſind. Geht die Ernen- nung vom Herrſcher aus, wie Peter der Große wollte, ſo iſt nicht einmahl verbuͤrgt, daß ſie uͤberhaupt geſchehe. Peter’s letzte Worte, die er zu ſchreiben verſuchte, waren, ſagt man: „Donnez tout à ......” 3) Weil inlaͤndi- ſche Wahlen ein Reich mit Koͤnigshaͤuſern, zwietraͤchtigen und habſuͤchtigen uͤberfuͤllen, auslaͤndiſche aber liebloſe Herrſcher herbeifuͤhren und die Unabhaͤngigkeit gefaͤhrden. 4) Weil eine Verfaſſung nicht gut ſeyn kann, deren na- tuͤrlicher Feind jeder Koͤnig als Familien-Vater iſt. 5) Wegen des Zwiſchenreiches. 103. Fuͤr die Erblichkeit ſtreitet 1) ihr mit der Familien-Ordnung uͤbereinſtimmender Charakter, der das Koͤnigshaus zugleich zum Vaterhauſe macht, und ebendaher 6*

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Zitationshilfe: Dahlmann, Friedrich Christoph: Die Politik, auf den Grund und das Maaß der gegebenen Zustände zurückgeführt. Bd. 1: Staatsverfassung. Volksbildung. Göttingen, 1835, S. 83. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dahlmann_politik_1835/95>, abgerufen am 19.04.2024.