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Dannhauer, Johann Conrad: Catechismus-Milch. Bd. 6. Straßburg, 1657.

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Predigt.
Bistu in der dritten Claß/ mustu leiden ohne deine Schuld/ wegen deiner
aus Gnaden von Gott verliehenen Gaben/ oder auch wegen deiner Gut-
und Wolthaten/ die dem Neidhart als der Tugend unverschiedene Ge-
färten in die Augen stechen und brennen; O wol dir! so bistu in der edelsten
Claß/ da ist nichts als Trost/ da heisset es: Tröstet! tröstet meinEsa. 40, 1. 2.
Volck/ redet mit Jerusalem freundlich!

III. Wer Trost-fähig seyn will/ der muß zuvor Trost-
loß und Trost-arm werden/
wann er mit David aus dem 102. Psal.
heulen und klagen muß: Jch bin wie eine Rohrdommel in derPs. 102, 7. 8.
Wüsten/ ich bin gleich wie ein Keutzlein in den verstöreten
Stätten/ ich wache/ und bin wie ein einsamer Vogel auff dem
Dache/
das ist/ ich bin gar von Menschen verlassen/ ich bin Hülff-loß und
Trost-loß/ iederman sondert sich von mir ab; Wann ein Mensch so ein-
sam und Trost-loß ist/ so ist er freylich wie eine Rohrdommel in der Wü-
sten/ und ein Keutzlein in den verstöreten Einöden/ das sind solche Vögel/
mit welchen die andern keine Gemeinschafft haben/ sondern meiden und
fliehen dieselbe/ und lassen sie allein/ so halten sich alsdann diese zu den Einö-
den und Wildnüssen/ da sitzen sie traurig/ und kirren als weineten sie/ und
singen Trauer-Lieder. Der Onocrotalus oder Rohrdommel soll einen solchen
Gesang haben/ als heulete er greßlich wie ein Esel schreyet/ von welcher
Stimme dieser Vogel den Namen hat/ oder wie eine Kuhe/ welche einen
rechten heulenden Thon führt; Also ist mancher Mensch ein solcher Vo-
gel in seiner Einsamkeit/ der Tag und Nacht ein solch innerlich Heulen und
Seuffzen führet/ oder wie die Nacht-Vögel/ die auff den Dächern sitzen und
wachen/ wann sie ihren Ehegatten verlohren haben/ wann andere Vögel
in ihrem Nestlein sitzen und ruhen; wie manche Seele ist ein solcher einsa-
mer verschüchteter Vogel/ der in seinem Betrübnüß und Anfechtung oder
Kranckheit des Nachts alleine wachet/ wann andere Leute schlaffen und
ruhen/ so seuffzet und winselt dieser dagegen. Ein Trost-fähiger Mensch
der tröstet sich nun wider den Trost-Mangel/ lässet sich nicht befrembden/
wann es ihm gehet wie dort Salomon redet in seinem Prediger/ da er
spricht: Jch wandte mich/ und sahe an alle die unrecht leidenEccles. 4, 1.
unter der Sonnen/ und sihe/ da waren Thränen deren/ so un-
recht litten/ und hatten keinen Tröster/ und die ihnen unrecht
thäten/ waren zu mächtig/ daß sie keinen Tröster haben konten.

keinen Tröster/ keinen patron, auff den man sich verlassen mögen.

IV. Wer
R r 2

Predigt.
Biſtu in der dritten Claß/ muſtu leiden ohne deine Schuld/ wegen deiner
aus Gnaden von Gott verliehenen Gaben/ oder auch wegen deiner Gut-
und Wolthaten/ die dem Neidhart als der Tugend unverſchiedene Ge-
faͤrten in die Augen ſtechen und brennen; O wol dir! ſo biſtu in der edelſten
Claß/ da iſt nichts als Troſt/ da heiſſet es: Troͤſtet! troͤſtet meinEſa. 40, 1. 2.
Volck/ redet mit Jeruſalem freundlich!

III. Wer Troſt-faͤhig ſeyn will/ der muß zuvor Troſt-
loß und Troſt-arm werden/
wann er mit David aus dem 102. Pſal.
heulen und klagen muß: Jch bin wie eine Rohrdommel in derPſ. 102, 7. 8.
Wüſten/ ich bin gleich wie ein Keutzlein in den verſtoͤreten
Stätten/ ich wache/ und bin wie ein einſamer Vogel auff dem
Dache/
das iſt/ ich bin gar von Menſchen verlaſſen/ ich bin Huͤlff-loß und
Troſt-loß/ iederman ſondert ſich von mir ab; Wann ein Menſch ſo ein-
ſam und Troſt-loß iſt/ ſo iſt er freylich wie eine Rohrdommel in der Wuͤ-
ſten/ und ein Keutzlein in den verſtoͤreten Einoͤden/ das ſind ſolche Voͤgel/
mit welchen die andern keine Gemeinſchafft haben/ ſondern meiden und
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den und Wildnuͤſſen/ da ſitzen ſie traurig/ und kirren als weineten ſie/ und
ſingen Trauer-Lieder. Der Onocrotalus oder Rohrdom̃el ſoll einen ſolchen
Geſang haben/ als heulete er greßlich wie ein Eſel ſchreyet/ von welcher
Stimme dieſer Vogel den Namen hat/ oder wie eine Kuhe/ welche einen
rechten heulenden Thon fuͤhrt; Alſo iſt mancher Menſch ein ſolcher Vo-
gel in ſeiner Einſamkeit/ der Tag und Nacht ein ſolch innerlich Heulen und
Seuffzen fuͤhret/ oder wie die Nacht-Voͤgel/ die auff den Daͤchern ſitzen und
wachen/ wann ſie ihren Ehegatten verlohren haben/ wann andere Voͤgel
in ihrem Neſtlein ſitzen und ruhen; wie manche Seele iſt ein ſolcher einſa-
mer verſchuͤchteter Vogel/ der in ſeinem Betruͤbnuͤß und Anfechtung oder
Kranckheit des Nachts alleine wachet/ wann andere Leute ſchlaffen und
ruhen/ ſo ſeuffzet und winſelt dieſer dagegen. Ein Troſt-faͤhiger Menſch
der troͤſtet ſich nun wider den Troſt-Mangel/ laͤſſet ſich nicht befrembden/
wann es ihm gehet wie dort Salomon redet in ſeinem Prediger/ da er
ſpricht: Jch wandte mich/ und ſahe an alle die unrecht leidenEccleſ. 4, 1.
unter der Sonnen/ und ſihe/ da waren Thraͤnen deren/ ſo un-
recht litten/ und hatten keinen Tröſter/ und die ihnen unrecht
thaͤten/ waren zu maͤchtig/ daß ſie keinen Troͤſter haben konten.

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IV. Wer
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[315/0347] Predigt. Biſtu in der dritten Claß/ muſtu leiden ohne deine Schuld/ wegen deiner aus Gnaden von Gott verliehenen Gaben/ oder auch wegen deiner Gut- und Wolthaten/ die dem Neidhart als der Tugend unverſchiedene Ge- faͤrten in die Augen ſtechen und brennen; O wol dir! ſo biſtu in der edelſten Claß/ da iſt nichts als Troſt/ da heiſſet es: Troͤſtet! troͤſtet mein Volck/ redet mit Jeruſalem freundlich! Eſa. 40, 1. 2. III. Wer Troſt-faͤhig ſeyn will/ der muß zuvor Troſt- loß und Troſt-arm werden/ wann er mit David aus dem 102. Pſal. heulen und klagen muß: Jch bin wie eine Rohrdommel in der Wüſten/ ich bin gleich wie ein Keutzlein in den verſtoͤreten Stätten/ ich wache/ und bin wie ein einſamer Vogel auff dem Dache/ das iſt/ ich bin gar von Menſchen verlaſſen/ ich bin Huͤlff-loß und Troſt-loß/ iederman ſondert ſich von mir ab; Wann ein Menſch ſo ein- ſam und Troſt-loß iſt/ ſo iſt er freylich wie eine Rohrdommel in der Wuͤ- ſten/ und ein Keutzlein in den verſtoͤreten Einoͤden/ das ſind ſolche Voͤgel/ mit welchen die andern keine Gemeinſchafft haben/ ſondern meiden und fliehen dieſelbe/ und laſſen ſie allein/ ſo halten ſich alsdañ dieſe zu den Einoͤ- den und Wildnuͤſſen/ da ſitzen ſie traurig/ und kirren als weineten ſie/ und ſingen Trauer-Lieder. Der Onocrotalus oder Rohrdom̃el ſoll einen ſolchen Geſang haben/ als heulete er greßlich wie ein Eſel ſchreyet/ von welcher Stimme dieſer Vogel den Namen hat/ oder wie eine Kuhe/ welche einen rechten heulenden Thon fuͤhrt; Alſo iſt mancher Menſch ein ſolcher Vo- gel in ſeiner Einſamkeit/ der Tag und Nacht ein ſolch innerlich Heulen und Seuffzen fuͤhret/ oder wie die Nacht-Voͤgel/ die auff den Daͤchern ſitzen und wachen/ wann ſie ihren Ehegatten verlohren haben/ wann andere Voͤgel in ihrem Neſtlein ſitzen und ruhen; wie manche Seele iſt ein ſolcher einſa- mer verſchuͤchteter Vogel/ der in ſeinem Betruͤbnuͤß und Anfechtung oder Kranckheit des Nachts alleine wachet/ wann andere Leute ſchlaffen und ruhen/ ſo ſeuffzet und winſelt dieſer dagegen. Ein Troſt-faͤhiger Menſch der troͤſtet ſich nun wider den Troſt-Mangel/ laͤſſet ſich nicht befrembden/ wann es ihm gehet wie dort Salomon redet in ſeinem Prediger/ da er ſpricht: Jch wandte mich/ und ſahe an alle die unrecht leiden unter der Sonnen/ und ſihe/ da waren Thraͤnen deren/ ſo un- recht litten/ und hatten keinen Tröſter/ und die ihnen unrecht thaͤten/ waren zu maͤchtig/ daß ſie keinen Troͤſter haben konten. keinen Troͤſter/ keinen patron, auff den man ſich verlaſſen moͤgen. Pſ. 102, 7. 8. Eccleſ. 4, 1. IV. Wer R r 2

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Zitationshilfe: Dannhauer, Johann Conrad: Catechismus-Milch. Bd. 6. Straßburg, 1657, S. 315. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dannhauer_catechismus06_1657/347>, abgerufen am 24.04.2024.