Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Darwin, Charles: Insectenfressende Pflanzen. Übers. v. Julius Victor Carus. Stuttgart, 1876.

Bild:
<< vorherige Seite
Cap. 15. Structur der Blätter.

Die Blätter entspringen aus einer beinahe holzigen Achse; sie
sind linear, nach der Spitze zu bedeutend verschmälert und mehrere
Zoll lang. Die obere Fläche ist concav, die untere convex, mit einem
schmalen Canal der Mitte entlang. Beide Flächen sind, mit Aus-
nahme des Canals, mit Drüsen bedeckt, welche auf Stielen stehn und
in unregelmäszigen Längsreihen angeordnet sind. Ich werde diese
Organe wegen ihrer groszen Ähnlichkeit mit denen der Drosera Ten-
takeln nennen, obgleich sie kein Bewegungsvermögen besitzen. An
einem und demselben Blatte sind sie in der Länge sehr verschieden.
Auch weichen die Drüsen der Grösze nach von einander ab und sind
von einer hell rosa oder purpurnen Färbung; ihre obere Fläche ist
convex und ihre untere eben oder selbst concav, so dasz sie dem
Aussehen nach Pilzen in Miniatur ähnlich sind. Sie werden aus (wie
ich glaube) zwei Schichten zarter eckiger Zellen gebildet, welche acht
oder zehn gröszere Zellen mit dickeren Zickzackwandungen einschlieszen.
Innerhalb dieser groszen Zellen finden sich andere durch Spirallinien
ausgezeichnete und allem Anscheine nach mit den Spiralgefäszen zu-
sammenhängende, welche in den grünen vielzelligen Stielen hinauf-
laufen. Die Drüsen sondern grosze Tropfen eines klebrigen Secrets
ab. Andere Drüsen von demselben allgemeinen Aussehen finden sich
an den Blüthenstielen und dem Kelch.

Auszer den Drüsen, welche auf längeren oder kürzeren Stielen
stehn, finden sich noch zahlreiche andere sowohl auf der obern als
der untern Fläche der Blätter, welche so klein sind, dasz sie für das
blosze Auge kaum sichtbar sind. Sie sind farblos
und beinahe ganz sitzend, entweder kreisförmig oder
oval im Umrisz: die letztere Form kommt vorzüg-
lich auf dem Rücken der Blätter vor (Fig 14). Im
Innern haben sie genau dieselbe Structur, wie die
groszen auf Stielen getragenen Drüsen, und beide
Formen gehen allerdings beinahe in einander über.
Die aufsitzenden Drüsen weichen aber in einer wich-
tigen Beziehung von den andern ab: sie sondern
nämlich niemals aus freien Stücken ab, so weit ich es
gesehen habe, trotzdem ich sie an einem heiszen
Tage unter einer starken Vergröszerung untersucht [Abbildung]
Fig. 14. (Drosophyllum
lusitanicum).
Theil eines
Blattes, siebenmal ver-
gröszert, die untere Fläche
darbietend.

habe, während die auf den Stielen reichlich absonderten. Wenn aber
kleine Stückchen feuchten Albumins oder Fibrins auf diese sitzenden

Cap. 15. Structur der Blätter.

Die Blätter entspringen aus einer beinahe holzigen Achse; sie
sind linear, nach der Spitze zu bedeutend verschmälert und mehrere
Zoll lang. Die obere Fläche ist concav, die untere convex, mit einem
schmalen Canal der Mitte entlang. Beide Flächen sind, mit Aus-
nahme des Canals, mit Drüsen bedeckt, welche auf Stielen stehn und
in unregelmäszigen Längsreihen angeordnet sind. Ich werde diese
Organe wegen ihrer groszen Ähnlichkeit mit denen der Drosera Ten-
takeln nennen, obgleich sie kein Bewegungsvermögen besitzen. An
einem und demselben Blatte sind sie in der Länge sehr verschieden.
Auch weichen die Drüsen der Grösze nach von einander ab und sind
von einer hell rosa oder purpurnen Färbung; ihre obere Fläche ist
convex und ihre untere eben oder selbst concav, so dasz sie dem
Aussehen nach Pilzen in Miniatur ähnlich sind. Sie werden aus (wie
ich glaube) zwei Schichten zarter eckiger Zellen gebildet, welche acht
oder zehn gröszere Zellen mit dickeren Zickzackwandungen einschlieszen.
Innerhalb dieser groszen Zellen finden sich andere durch Spirallinien
ausgezeichnete und allem Anscheine nach mit den Spiralgefäszen zu-
sammenhängende, welche in den grünen vielzelligen Stielen hinauf-
laufen. Die Drüsen sondern grosze Tropfen eines klebrigen Secrets
ab. Andere Drüsen von demselben allgemeinen Aussehen finden sich
an den Blüthenstielen und dem Kelch.

Auszer den Drüsen, welche auf längeren oder kürzeren Stielen
stehn, finden sich noch zahlreiche andere sowohl auf der obern als
der untern Fläche der Blätter, welche so klein sind, dasz sie für das
blosze Auge kaum sichtbar sind. Sie sind farblos
und beinahe ganz sitzend, entweder kreisförmig oder
oval im Umrisz: die letztere Form kommt vorzüg-
lich auf dem Rücken der Blätter vor (Fig 14). Im
Innern haben sie genau dieselbe Structur, wie die
groszen auf Stielen getragenen Drüsen, und beide
Formen gehen allerdings beinahe in einander über.
Die aufsitzenden Drüsen weichen aber in einer wich-
tigen Beziehung von den andern ab: sie sondern
nämlich niemals aus freien Stücken ab, so weit ich es
gesehen habe, trotzdem ich sie an einem heiszen
Tage unter einer starken Vergröszerung untersucht [Abbildung]
Fig. 14. (Drosophyllum
lusitanicum).
Theil eines
Blattes, siebenmal ver-
gröszert, die untere Fläche
darbietend.

habe, während die auf den Stielen reichlich absonderten. Wenn aber
kleine Stückchen feuchten Albumins oder Fibrins auf diese sitzenden

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0315" n="301"/>
        <fw place="top" type="header">Cap. 15. Structur der Blätter.</fw><lb/>
        <p>Die Blätter entspringen aus einer beinahe holzigen Achse; sie<lb/>
sind linear, nach der Spitze zu bedeutend verschmälert und mehrere<lb/>
Zoll lang. Die obere Fläche ist concav, die untere convex, mit einem<lb/>
schmalen Canal der Mitte entlang. Beide Flächen sind, mit Aus-<lb/>
nahme des Canals, mit Drüsen bedeckt, welche auf Stielen stehn und<lb/>
in unregelmäszigen Längsreihen angeordnet sind. Ich werde diese<lb/>
Organe wegen ihrer groszen Ähnlichkeit mit denen der <hi rendition="#i">Drosera</hi> Ten-<lb/>
takeln nennen, obgleich sie kein Bewegungsvermögen besitzen. An<lb/>
einem und demselben Blatte sind sie in der Länge sehr verschieden.<lb/>
Auch weichen die Drüsen der Grösze nach von einander ab und sind<lb/>
von einer hell rosa oder purpurnen Färbung; ihre obere Fläche ist<lb/>
convex und ihre untere eben oder selbst concav, so dasz sie dem<lb/>
Aussehen nach Pilzen in Miniatur ähnlich sind. Sie werden aus (wie<lb/>
ich glaube) zwei Schichten zarter eckiger Zellen gebildet, welche acht<lb/>
oder zehn gröszere Zellen mit dickeren Zickzackwandungen einschlieszen.<lb/>
Innerhalb dieser groszen Zellen finden sich andere durch Spirallinien<lb/>
ausgezeichnete und allem Anscheine nach mit den Spiralgefäszen zu-<lb/>
sammenhängende, welche in den grünen vielzelligen Stielen hinauf-<lb/>
laufen. Die Drüsen sondern grosze Tropfen eines klebrigen Secrets<lb/>
ab. Andere Drüsen von demselben allgemeinen Aussehen finden sich<lb/>
an den Blüthenstielen und dem Kelch.</p><lb/>
        <p>Auszer den Drüsen, welche auf längeren oder kürzeren Stielen<lb/>
stehn, finden sich noch zahlreiche andere sowohl auf der obern als<lb/>
der untern Fläche der Blätter, welche so klein sind, dasz sie für das<lb/>
blosze Auge kaum sichtbar sind. Sie sind farblos<lb/>
und beinahe ganz sitzend, entweder kreisförmig oder<lb/>
oval im Umrisz: die letztere Form kommt vorzüg-<lb/>
lich auf dem Rücken der Blätter vor (Fig 14). Im<lb/>
Innern haben sie genau dieselbe Structur, wie die<lb/>
groszen auf Stielen getragenen Drüsen, und beide<lb/>
Formen gehen allerdings beinahe in einander über.<lb/>
Die aufsitzenden Drüsen weichen aber in einer wich-<lb/>
tigen Beziehung von den andern ab: sie sondern<lb/>
nämlich niemals aus freien Stücken ab, so weit ich es<lb/>
gesehen habe, trotzdem ich sie an einem heiszen<lb/>
Tage unter einer starken Vergröszerung untersucht <figure><lb/><head>Fig. 14. <hi rendition="#i">(Drosophyllum<lb/>
lusitanicum).</hi> Theil eines<lb/>
Blattes, siebenmal ver-<lb/>
gröszert, die untere Fläche<lb/><hi rendition="#c">darbietend.</hi></head></figure><lb/>
habe, während die auf den Stielen reichlich absonderten. Wenn aber<lb/>
kleine Stückchen feuchten Albumins oder Fibrins auf diese sitzenden<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[301/0315] Cap. 15. Structur der Blätter. Die Blätter entspringen aus einer beinahe holzigen Achse; sie sind linear, nach der Spitze zu bedeutend verschmälert und mehrere Zoll lang. Die obere Fläche ist concav, die untere convex, mit einem schmalen Canal der Mitte entlang. Beide Flächen sind, mit Aus- nahme des Canals, mit Drüsen bedeckt, welche auf Stielen stehn und in unregelmäszigen Längsreihen angeordnet sind. Ich werde diese Organe wegen ihrer groszen Ähnlichkeit mit denen der Drosera Ten- takeln nennen, obgleich sie kein Bewegungsvermögen besitzen. An einem und demselben Blatte sind sie in der Länge sehr verschieden. Auch weichen die Drüsen der Grösze nach von einander ab und sind von einer hell rosa oder purpurnen Färbung; ihre obere Fläche ist convex und ihre untere eben oder selbst concav, so dasz sie dem Aussehen nach Pilzen in Miniatur ähnlich sind. Sie werden aus (wie ich glaube) zwei Schichten zarter eckiger Zellen gebildet, welche acht oder zehn gröszere Zellen mit dickeren Zickzackwandungen einschlieszen. Innerhalb dieser groszen Zellen finden sich andere durch Spirallinien ausgezeichnete und allem Anscheine nach mit den Spiralgefäszen zu- sammenhängende, welche in den grünen vielzelligen Stielen hinauf- laufen. Die Drüsen sondern grosze Tropfen eines klebrigen Secrets ab. Andere Drüsen von demselben allgemeinen Aussehen finden sich an den Blüthenstielen und dem Kelch. Auszer den Drüsen, welche auf längeren oder kürzeren Stielen stehn, finden sich noch zahlreiche andere sowohl auf der obern als der untern Fläche der Blätter, welche so klein sind, dasz sie für das blosze Auge kaum sichtbar sind. Sie sind farblos und beinahe ganz sitzend, entweder kreisförmig oder oval im Umrisz: die letztere Form kommt vorzüg- lich auf dem Rücken der Blätter vor (Fig 14). Im Innern haben sie genau dieselbe Structur, wie die groszen auf Stielen getragenen Drüsen, und beide Formen gehen allerdings beinahe in einander über. Die aufsitzenden Drüsen weichen aber in einer wich- tigen Beziehung von den andern ab: sie sondern nämlich niemals aus freien Stücken ab, so weit ich es gesehen habe, trotzdem ich sie an einem heiszen Tage unter einer starken Vergröszerung untersucht [Abbildung Fig. 14. (Drosophyllum lusitanicum). Theil eines Blattes, siebenmal ver- gröszert, die untere Fläche darbietend.] habe, während die auf den Stielen reichlich absonderten. Wenn aber kleine Stückchen feuchten Albumins oder Fibrins auf diese sitzenden

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/darwin_pflanzen_1876
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/darwin_pflanzen_1876/315
Zitationshilfe: Darwin, Charles: Insectenfressende Pflanzen. Übers. v. Julius Victor Carus. Stuttgart, 1876, S. 301. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/darwin_pflanzen_1876/315>, abgerufen am 29.03.2024.