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Darwin, Charles: Insectenfressende Pflanzen. Übers. v. Julius Victor Carus. Stuttgart, 1876.

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Drosera rotundifolia. Cap. 2.
wurde zu einer Unze Wasser gethan, welches nachher nicht filtrirt
wurde; als ich nun drei Blätter in 90 Tropfen der Flüssigkeit that,
war ich sehr überrascht zu finden, dasz in 15 Minuten alle drei
Blätter stark eingebogen waren; denn ich wuszte von früheren Ver-
suchen her, dasz die Auflösung selbst nicht so schnell wirkt, wie hier
die Wirkung eintrat. Es kam mir sofort der Gedanke, dasz die
Theilchen des unaufgelösten Salzes, welche so leicht waren, dasz sie
umher schwammen, in Berührung mit den Drüsen gekommen sein
und diese schnelle Bewegung verursacht haben könnten. Demgemäsz
fügte ich zu etwas destillirtem Wasser eine Prise einer ganz un-
schuldigen Substanz, nämlich präcipitirten kohlensauren Kalk, welcher
ein unfühlbar feines Pulver bildet; ich schüttelte das Gemisch und
bekam so eine Flüssigkeit ähnlich dünner Milch. Zwei Blätter wur-
den darein getaucht und in 6 Minuten war beinahe jeder Tentakel
stark eingebogen. Ich that eins dieser Blätter unter das Mikroscop
und sah zahllose Atome von Kalk an der äusseren Fläche der Ab-
sonderung ankleben. Einige jedoch waren durchgedrungen und lagen
auf der Oberfläche der Drüsen; und es waren diese Theilchen ohne
Zweifel, welche die Tentakeln sich zu biegen veranlassten. Wenn ein
Blatt in Wasser getaucht wird, so schwillt das Secret augenblicklich
sehr auf, und ich vermuthe, dasz sie hier und da durchbrochen wird,
so dasz kleine Wasserströmchen hinein stürzen. Wenn dies der Fall
ist, so können wir verstehen, wie die Atome Kreide, welche auf der
Oberfläche der Drüsen lagen, die Absonderung durchdrungen hatten.
Jedermann, welcher präcipitirte Kreide zwischen seinen Fingern ge-
rieben hat, wird bemerkt haben, wie auszerordentlich fein das Pulver
ist. Es musz ohne Zweifel eine Grenze da sein, über welche hinaus
die Theilchen zu klein sein würden, um auf die Drüse zu wirken;
aber welches diese Grenze ist, weisz ich nicht. Ich habe oft gesehen,
dasz Fasern und Staub, die aus der Luft auf die Drüsen der Pflanzen
gefallen waren, die in meinem Zimmer gehalten wurden, nie irgend
eine Bewegung hervorriefen; aber dann lagen solche Theilchen auf
der Oberfläche der Absonderung und erreichten nie die Drüse selbst.

Endlich ist es eine auszerordentliche Thatsache, dasz ein kleines
Stückchen weichen Fadens Zoll lang und Gran schwer, oder
von einem menschlichen Haar Zoll lang und nur Gran
schwer (0,000822 Milligr.) oder Theilchen präcipitirter Kreide, nach-
dem sie kurze Zeit auf einer Drüse geruht haben, eine Veränderung

Drosera rotundifolia. Cap. 2.
wurde zu einer Unze Wasser gethan, welches nachher nicht filtrirt
wurde; als ich nun drei Blätter in 90 Tropfen der Flüssigkeit that,
war ich sehr überrascht zu finden, dasz in 15 Minuten alle drei
Blätter stark eingebogen waren; denn ich wuszte von früheren Ver-
suchen her, dasz die Auflösung selbst nicht so schnell wirkt, wie hier
die Wirkung eintrat. Es kam mir sofort der Gedanke, dasz die
Theilchen des unaufgelösten Salzes, welche so leicht waren, dasz sie
umher schwammen, in Berührung mit den Drüsen gekommen sein
und diese schnelle Bewegung verursacht haben könnten. Demgemäsz
fügte ich zu etwas destillirtem Wasser eine Prise einer ganz un-
schuldigen Substanz, nämlich präcipitirten kohlensauren Kalk, welcher
ein unfühlbar feines Pulver bildet; ich schüttelte das Gemisch und
bekam so eine Flüssigkeit ähnlich dünner Milch. Zwei Blätter wur-
den darein getaucht und in 6 Minuten war beinahe jeder Tentakel
stark eingebogen. Ich that eins dieser Blätter unter das Mikroscop
und sah zahllose Atome von Kalk an der äusseren Fläche der Ab-
sonderung ankleben. Einige jedoch waren durchgedrungen und lagen
auf der Oberfläche der Drüsen; und es waren diese Theilchen ohne
Zweifel, welche die Tentakeln sich zu biegen veranlassten. Wenn ein
Blatt in Wasser getaucht wird, so schwillt das Secret augenblicklich
sehr auf, und ich vermuthe, dasz sie hier und da durchbrochen wird,
so dasz kleine Wasserströmchen hinein stürzen. Wenn dies der Fall
ist, so können wir verstehen, wie die Atome Kreide, welche auf der
Oberfläche der Drüsen lagen, die Absonderung durchdrungen hatten.
Jedermann, welcher präcipitirte Kreide zwischen seinen Fingern ge-
rieben hat, wird bemerkt haben, wie auszerordentlich fein das Pulver
ist. Es musz ohne Zweifel eine Grenze da sein, über welche hinaus
die Theilchen zu klein sein würden, um auf die Drüse zu wirken;
aber welches diese Grenze ist, weisz ich nicht. Ich habe oft gesehen,
dasz Fasern und Staub, die aus der Luft auf die Drüsen der Pflanzen
gefallen waren, die in meinem Zimmer gehalten wurden, nie irgend
eine Bewegung hervorriefen; aber dann lagen solche Theilchen auf
der Oberfläche der Absonderung und erreichten nie die Drüse selbst.

Endlich ist es eine auszerordentliche Thatsache, dasz ein kleines
Stückchen weichen Fadens Zoll lang und Gran schwer, oder
von einem menschlichen Haar Zoll lang und nur Gran
schwer (0,000822 Milligr.) oder Theilchen präcipitirter Kreide, nach-
dem sie kurze Zeit auf einer Drüse geruht haben, eine Veränderung

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[28/0042] Drosera rotundifolia. Cap. 2. wurde zu einer Unze Wasser gethan, welches nachher nicht filtrirt wurde; als ich nun drei Blätter in 90 Tropfen der Flüssigkeit that, war ich sehr überrascht zu finden, dasz in 15 Minuten alle drei Blätter stark eingebogen waren; denn ich wuszte von früheren Ver- suchen her, dasz die Auflösung selbst nicht so schnell wirkt, wie hier die Wirkung eintrat. Es kam mir sofort der Gedanke, dasz die Theilchen des unaufgelösten Salzes, welche so leicht waren, dasz sie umher schwammen, in Berührung mit den Drüsen gekommen sein und diese schnelle Bewegung verursacht haben könnten. Demgemäsz fügte ich zu etwas destillirtem Wasser eine Prise einer ganz un- schuldigen Substanz, nämlich präcipitirten kohlensauren Kalk, welcher ein unfühlbar feines Pulver bildet; ich schüttelte das Gemisch und bekam so eine Flüssigkeit ähnlich dünner Milch. Zwei Blätter wur- den darein getaucht und in 6 Minuten war beinahe jeder Tentakel stark eingebogen. Ich that eins dieser Blätter unter das Mikroscop und sah zahllose Atome von Kalk an der äusseren Fläche der Ab- sonderung ankleben. Einige jedoch waren durchgedrungen und lagen auf der Oberfläche der Drüsen; und es waren diese Theilchen ohne Zweifel, welche die Tentakeln sich zu biegen veranlassten. Wenn ein Blatt in Wasser getaucht wird, so schwillt das Secret augenblicklich sehr auf, und ich vermuthe, dasz sie hier und da durchbrochen wird, so dasz kleine Wasserströmchen hinein stürzen. Wenn dies der Fall ist, so können wir verstehen, wie die Atome Kreide, welche auf der Oberfläche der Drüsen lagen, die Absonderung durchdrungen hatten. Jedermann, welcher präcipitirte Kreide zwischen seinen Fingern ge- rieben hat, wird bemerkt haben, wie auszerordentlich fein das Pulver ist. Es musz ohne Zweifel eine Grenze da sein, über welche hinaus die Theilchen zu klein sein würden, um auf die Drüse zu wirken; aber welches diese Grenze ist, weisz ich nicht. Ich habe oft gesehen, dasz Fasern und Staub, die aus der Luft auf die Drüsen der Pflanzen gefallen waren, die in meinem Zimmer gehalten wurden, nie irgend eine Bewegung hervorriefen; aber dann lagen solche Theilchen auf der Oberfläche der Absonderung und erreichten nie die Drüse selbst. Endlich ist es eine auszerordentliche Thatsache, dasz ein kleines Stückchen weichen Fadens [FORMEL] Zoll lang und [FORMEL] Gran schwer, oder von einem menschlichen Haar [FORMEL] Zoll lang und nur [FORMEL] Gran schwer (0,000822 Milligr.) oder Theilchen präcipitirter Kreide, nach- dem sie kurze Zeit auf einer Drüse geruht haben, eine Veränderung

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Zitationshilfe: Darwin, Charles: Insectenfressende Pflanzen. Übers. v. Julius Victor Carus. Stuttgart, 1876, S. 28. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/darwin_pflanzen_1876/42>, abgerufen am 25.04.2024.