Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Darwin, Charles: Insectenfressende Pflanzen. Übers. v. Julius Victor Carus. Stuttgart, 1876.

Bild:
<< vorherige Seite

Cap. 2. Einbiegung der äuszern Tentakeln.
Seite ist die auszerordentliche Empfindlichkeit gegen leichten Druck
für die Pflanze von höchstem Nutzen. Denn wenn, wie wir gesehen
haben, die zarten Füsze eines kleinen sich wehrenden Insects, noch so
leicht auf die Oberfläche von zwei oder drei Drüsen drücken, so rollen
sich die Tentakeln, welche diese Drüsen tragen, bald nach innen und
tragen das Insect mit sich nach der Mitte zu, und verursachen, dass
nach einiger Zeit alle umgebenden Tentakeln es umschlingen. Dem-
ohngeachtet sind die Bewegungen der Pflanze ihren Bedürfnissen nicht
vollkommen angepaszt, denn wenn ein Stückchen trocknes Moos, Torf,
oder andrer Abfall auf die Scheibe geweht wird, wie es oft vorkommt,
so umschlingen es die Tentakeln unnöthiger Weise. Sie entdecken
jedoch bald ihren Irrthum und entlassen solche nicht nahrhafte Ge-
genstände.

Es ist auch eine merkwürdige Thatsache, dasz Wassertropfen,
die von einer Höhe fallen, gleichviel ob unter der Form von natür-
lichem oder künstlichem Regen, die Tentakeln nicht zu biegen ver-
ursachen; doch müssen die Tropfen auf die Drüsen mit beträchtlicher
Kraft aufschlagen um so mehr, wenn die Absonderung durch starken
Regen ganz weggewaschen ist; und dies kommt häufig vor, obgleich
die Absonderung so zähe ist, dasz sie durch Schwingen der Blätter
in Wasser blosz mit Mühe entfernt werden kann. Wenn die fallenden
Wassertropfen klein sind, so kleben sie an der Absonderung an, deren
Gewicht dadurch in viel höherem Grade vermehrt wird, wie schon
vorher bemerkt, als durch die Hinzufügung kleiner Theilchen von
solider Substanz; und doch verursachen die Tropfen niemals, dasz sich
die Tentakeln einbiegen. Es würde augenscheinlich ein groszer Scha-
den für die Pflanze gewesen sein (wie im Fall von gelegentlichen
Berührungen), wenn die Tentakeln durch jeden Regenschauer zum
Biegen erregt würden; aber dieser Schaden ist dadurch vermieden
worden, dasz die Drüsen, entweder durch die Gewohnheit fühllos ge-
gen die Schläge und den Druck der Wassertropfen geworden sind,
oder von vorn herein nur empfindlich gegen die Berührung mit soli-
den Körpern gemacht waren. Wir werden später sehen, dasz die
Filamente auf den Blättern der Dionaea gleichfalls unempfindlich
sind gegen die Einwirkung von Flüssigkeiten, aber auszerordentlich
empfindlich gegen momentane Berührung von irgend einem soliden
Körper.

Wenn der Stiel eines Tentakels mit einer scharfen Scheere dicht

Cap. 2. Einbiegung der äuszern Tentakeln.
Seite ist die auszerordentliche Empfindlichkeit gegen leichten Druck
für die Pflanze von höchstem Nutzen. Denn wenn, wie wir gesehen
haben, die zarten Füsze eines kleinen sich wehrenden Insects, noch so
leicht auf die Oberfläche von zwei oder drei Drüsen drücken, so rollen
sich die Tentakeln, welche diese Drüsen tragen, bald nach innen und
tragen das Insect mit sich nach der Mitte zu, und verursachen, dass
nach einiger Zeit alle umgebenden Tentakeln es umschlingen. Dem-
ohngeachtet sind die Bewegungen der Pflanze ihren Bedürfnissen nicht
vollkommen angepaszt, denn wenn ein Stückchen trocknes Moos, Torf,
oder andrer Abfall auf die Scheibe geweht wird, wie es oft vorkommt,
so umschlingen es die Tentakeln unnöthiger Weise. Sie entdecken
jedoch bald ihren Irrthum und entlassen solche nicht nahrhafte Ge-
genstände.

Es ist auch eine merkwürdige Thatsache, dasz Wassertropfen,
die von einer Höhe fallen, gleichviel ob unter der Form von natür-
lichem oder künstlichem Regen, die Tentakeln nicht zu biegen ver-
ursachen; doch müssen die Tropfen auf die Drüsen mit beträchtlicher
Kraft aufschlagen um so mehr, wenn die Absonderung durch starken
Regen ganz weggewaschen ist; und dies kommt häufig vor, obgleich
die Absonderung so zähe ist, dasz sie durch Schwingen der Blätter
in Wasser blosz mit Mühe entfernt werden kann. Wenn die fallenden
Wassertropfen klein sind, so kleben sie an der Absonderung an, deren
Gewicht dadurch in viel höherem Grade vermehrt wird, wie schon
vorher bemerkt, als durch die Hinzufügung kleiner Theilchen von
solider Substanz; und doch verursachen die Tropfen niemals, dasz sich
die Tentakeln einbiegen. Es würde augenscheinlich ein groszer Scha-
den für die Pflanze gewesen sein (wie im Fall von gelegentlichen
Berührungen), wenn die Tentakeln durch jeden Regenschauer zum
Biegen erregt würden; aber dieser Schaden ist dadurch vermieden
worden, dasz die Drüsen, entweder durch die Gewohnheit fühllos ge-
gen die Schläge und den Druck der Wassertropfen geworden sind,
oder von vorn herein nur empfindlich gegen die Berührung mit soli-
den Körpern gemacht waren. Wir werden später sehen, dasz die
Filamente auf den Blättern der Dionaea gleichfalls unempfindlich
sind gegen die Einwirkung von Flüssigkeiten, aber auszerordentlich
empfindlich gegen momentane Berührung von irgend einem soliden
Körper.

Wenn der Stiel eines Tentakels mit einer scharfen Scheere dicht

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0045" n="31"/><fw place="top" type="header">Cap. 2. Einbiegung der äuszern Tentakeln.</fw><lb/>
Seite ist die auszerordentliche Empfindlichkeit gegen leichten Druck<lb/>
für die Pflanze von höchstem Nutzen. Denn wenn, wie wir gesehen<lb/>
haben, die zarten Füsze eines kleinen sich wehrenden Insects, noch so<lb/>
leicht auf die Oberfläche von zwei oder drei Drüsen drücken, so rollen<lb/>
sich die Tentakeln, welche diese Drüsen tragen, bald nach innen und<lb/>
tragen das Insect mit sich nach der Mitte zu, und verursachen, dass<lb/>
nach einiger Zeit alle umgebenden Tentakeln es umschlingen. Dem-<lb/>
ohngeachtet sind die Bewegungen der Pflanze ihren Bedürfnissen nicht<lb/>
vollkommen angepaszt, denn wenn ein Stückchen trocknes Moos, Torf,<lb/>
oder andrer Abfall auf die Scheibe geweht wird, wie es oft vorkommt,<lb/>
so umschlingen es die Tentakeln unnöthiger Weise. Sie entdecken<lb/>
jedoch bald ihren Irrthum und entlassen solche nicht nahrhafte Ge-<lb/>
genstände.</p><lb/>
          <p>Es ist auch eine merkwürdige Thatsache, dasz Wassertropfen,<lb/>
die von einer Höhe fallen, gleichviel ob unter der Form von natür-<lb/>
lichem oder künstlichem Regen, die Tentakeln nicht zu biegen ver-<lb/>
ursachen; doch müssen die Tropfen auf die Drüsen mit beträchtlicher<lb/>
Kraft aufschlagen um so mehr, wenn die Absonderung durch starken<lb/>
Regen ganz weggewaschen ist; und dies kommt häufig vor, obgleich<lb/>
die Absonderung so zähe ist, dasz sie durch Schwingen der Blätter<lb/>
in Wasser blosz mit Mühe entfernt werden kann. Wenn die fallenden<lb/>
Wassertropfen klein sind, so kleben sie an der Absonderung an, deren<lb/>
Gewicht dadurch in viel höherem Grade vermehrt wird, wie schon<lb/>
vorher bemerkt, als durch die Hinzufügung kleiner Theilchen von<lb/>
solider Substanz; und doch verursachen die Tropfen niemals, dasz sich<lb/>
die Tentakeln einbiegen. Es würde augenscheinlich ein groszer Scha-<lb/>
den für die Pflanze gewesen sein (wie im Fall von gelegentlichen<lb/>
Berührungen), wenn die Tentakeln durch jeden Regenschauer zum<lb/>
Biegen erregt würden; aber dieser Schaden ist dadurch vermieden<lb/>
worden, dasz die Drüsen, entweder durch die Gewohnheit fühllos ge-<lb/>
gen die Schläge und den Druck der Wassertropfen geworden sind,<lb/>
oder von vorn herein nur empfindlich gegen die Berührung mit soli-<lb/>
den Körpern gemacht waren. Wir werden später sehen, dasz die<lb/>
Filamente auf den Blättern der <hi rendition="#i">Dionaea</hi> gleichfalls unempfindlich<lb/>
sind gegen die Einwirkung von Flüssigkeiten, aber auszerordentlich<lb/>
empfindlich gegen momentane Berührung von irgend einem soliden<lb/>
Körper.</p><lb/>
          <p>Wenn der Stiel eines Tentakels mit einer scharfen Scheere dicht<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[31/0045] Cap. 2. Einbiegung der äuszern Tentakeln. Seite ist die auszerordentliche Empfindlichkeit gegen leichten Druck für die Pflanze von höchstem Nutzen. Denn wenn, wie wir gesehen haben, die zarten Füsze eines kleinen sich wehrenden Insects, noch so leicht auf die Oberfläche von zwei oder drei Drüsen drücken, so rollen sich die Tentakeln, welche diese Drüsen tragen, bald nach innen und tragen das Insect mit sich nach der Mitte zu, und verursachen, dass nach einiger Zeit alle umgebenden Tentakeln es umschlingen. Dem- ohngeachtet sind die Bewegungen der Pflanze ihren Bedürfnissen nicht vollkommen angepaszt, denn wenn ein Stückchen trocknes Moos, Torf, oder andrer Abfall auf die Scheibe geweht wird, wie es oft vorkommt, so umschlingen es die Tentakeln unnöthiger Weise. Sie entdecken jedoch bald ihren Irrthum und entlassen solche nicht nahrhafte Ge- genstände. Es ist auch eine merkwürdige Thatsache, dasz Wassertropfen, die von einer Höhe fallen, gleichviel ob unter der Form von natür- lichem oder künstlichem Regen, die Tentakeln nicht zu biegen ver- ursachen; doch müssen die Tropfen auf die Drüsen mit beträchtlicher Kraft aufschlagen um so mehr, wenn die Absonderung durch starken Regen ganz weggewaschen ist; und dies kommt häufig vor, obgleich die Absonderung so zähe ist, dasz sie durch Schwingen der Blätter in Wasser blosz mit Mühe entfernt werden kann. Wenn die fallenden Wassertropfen klein sind, so kleben sie an der Absonderung an, deren Gewicht dadurch in viel höherem Grade vermehrt wird, wie schon vorher bemerkt, als durch die Hinzufügung kleiner Theilchen von solider Substanz; und doch verursachen die Tropfen niemals, dasz sich die Tentakeln einbiegen. Es würde augenscheinlich ein groszer Scha- den für die Pflanze gewesen sein (wie im Fall von gelegentlichen Berührungen), wenn die Tentakeln durch jeden Regenschauer zum Biegen erregt würden; aber dieser Schaden ist dadurch vermieden worden, dasz die Drüsen, entweder durch die Gewohnheit fühllos ge- gen die Schläge und den Druck der Wassertropfen geworden sind, oder von vorn herein nur empfindlich gegen die Berührung mit soli- den Körpern gemacht waren. Wir werden später sehen, dasz die Filamente auf den Blättern der Dionaea gleichfalls unempfindlich sind gegen die Einwirkung von Flüssigkeiten, aber auszerordentlich empfindlich gegen momentane Berührung von irgend einem soliden Körper. Wenn der Stiel eines Tentakels mit einer scharfen Scheere dicht

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/darwin_pflanzen_1876
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/darwin_pflanzen_1876/45
Zitationshilfe: Darwin, Charles: Insectenfressende Pflanzen. Übers. v. Julius Victor Carus. Stuttgart, 1876, S. 31. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/darwin_pflanzen_1876/45>, abgerufen am 28.03.2024.