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Dehio, Georg: Kunsthistorische Aufsätze. München u. a., 1914.

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Die Kunst Unteritaliens in der Zeit Kaiser Friedrichs II.
stehen. Sie nimmt ein Element der damals neuen gotischen
Kunst in sich auf, noch stärker aber ist in ihr die Tendenz zur
Renaissance. Im Augenblick, da der Kaiser starb, war ihr der
Lebensnerv durchschnitten. Nur noch einige zerstreute Nachzügler
aus den kaiserlichen Werkstätten machen sich eine Zeitlang be-
merklich, dann ist alles wieder verschwunden. Die Kunstweise
der Anjous ist eine völlig andere, schnell verarmende, wenn nicht
wie in Neapel, toskanische Hilfskräfte ihr unter die Arme greifen.
Apulien, die einstige Lieblingsprovinz Friedrichs II., versank kunst-
geschichtlich ins Nichts. Zu fragen bleibt, ob diese "kaiserliche
Kunst" wirklich ganz ohne Folge dahingegangen ist. Es wird hiermit
eine Streitfrage berührt, die seit ein paar Jahrzehnten immer
wieder auftaucht und heute von der Schlichtung so weit entfernt
scheint als je. Ich meine die Frage nach der Herkunft Nicolo
Pisanos und seines Stils. Wenn die Partei, die diesen Stil in
Apulien wurzeln läßt -- sie ist noch eben erst sowohl durch Ber-
taux als durch Venturi verstärkt worden --, im Recht ist, dann
stände allerdings der große Aufschwung der toskanischen Plastik
seit der Mitte des 13. Jahrhunderts in einem unmittelbaren
Kausalverhältnis zu der friderizianischen Protorenaissance und
würde den Faden weiterspinnen, der im Süden zu Boden fiel.
Friedrichs Kunstpolitik, wenn man den Ausdruck hinnehmen will,
war, wie so vieles in seiner Staatspolitik, etwas zu früh erschienen.
Wer dauernde Nachwirkungen sucht, wird sie nicht am Mittel-
meer und an der Adria finden, sondern vielleicht -- und auch
hier nur auf dem engen Gebiet des Burgenbaues -- an der
Weichsel und am Pregel.

Anhang.
Burg Egisheim im Elsass. 1908.

Die Burg Egisheim im Oberelsaß ist durch das Grafen-
geschlecht, das nach ihr benannt war, "der Sage wohlbekannt";
nur wenig, viel zu wenig bekannt der Geschichte der Baukunst.
Ich finde nirgends gesagt, daß sie unter den deutschen Burgen

Die Kunst Unteritaliens in der Zeit Kaiser Friedrichs II.
stehen. Sie nimmt ein Element der damals neuen gotischen
Kunst in sich auf, noch stärker aber ist in ihr die Tendenz zur
Renaissance. Im Augenblick, da der Kaiser starb, war ihr der
Lebensnerv durchschnitten. Nur noch einige zerstreute Nachzügler
aus den kaiserlichen Werkstätten machen sich eine Zeitlang be-
merklich, dann ist alles wieder verschwunden. Die Kunstweise
der Anjous ist eine völlig andere, schnell verarmende, wenn nicht
wie in Neapel, toskanische Hilfskräfte ihr unter die Arme greifen.
Apulien, die einstige Lieblingsprovinz Friedrichs II., versank kunst-
geschichtlich ins Nichts. Zu fragen bleibt, ob diese »kaiserliche
Kunst« wirklich ganz ohne Folge dahingegangen ist. Es wird hiermit
eine Streitfrage berührt, die seit ein paar Jahrzehnten immer
wieder auftaucht und heute von der Schlichtung so weit entfernt
scheint als je. Ich meine die Frage nach der Herkunft Nicolo
Pisanos und seines Stils. Wenn die Partei, die diesen Stil in
Apulien wurzeln läßt — sie ist noch eben erst sowohl durch Ber-
taux als durch Venturi verstärkt worden —, im Recht ist, dann
stände allerdings der große Aufschwung der toskanischen Plastik
seit der Mitte des 13. Jahrhunderts in einem unmittelbaren
Kausalverhältnis zu der friderizianischen Protorenaissance und
würde den Faden weiterspinnen, der im Süden zu Boden fiel.
Friedrichs Kunstpolitik, wenn man den Ausdruck hinnehmen will,
war, wie so vieles in seiner Staatspolitik, etwas zu früh erschienen.
Wer dauernde Nachwirkungen sucht, wird sie nicht am Mittel-
meer und an der Adria finden, sondern vielleicht — und auch
hier nur auf dem engen Gebiet des Burgenbaues — an der
Weichsel und am Pregel.

Anhang.
Burg Egisheim im Elsass. 1908.

Die Burg Egisheim im Oberelsaß ist durch das Grafen-
geschlecht, das nach ihr benannt war, »der Sage wohlbekannt«;
nur wenig, viel zu wenig bekannt der Geschichte der Baukunst.
Ich finde nirgends gesagt, daß sie unter den deutschen Burgen

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[114/0132] Die Kunst Unteritaliens in der Zeit Kaiser Friedrichs II. stehen. Sie nimmt ein Element der damals neuen gotischen Kunst in sich auf, noch stärker aber ist in ihr die Tendenz zur Renaissance. Im Augenblick, da der Kaiser starb, war ihr der Lebensnerv durchschnitten. Nur noch einige zerstreute Nachzügler aus den kaiserlichen Werkstätten machen sich eine Zeitlang be- merklich, dann ist alles wieder verschwunden. Die Kunstweise der Anjous ist eine völlig andere, schnell verarmende, wenn nicht wie in Neapel, toskanische Hilfskräfte ihr unter die Arme greifen. Apulien, die einstige Lieblingsprovinz Friedrichs II., versank kunst- geschichtlich ins Nichts. Zu fragen bleibt, ob diese »kaiserliche Kunst« wirklich ganz ohne Folge dahingegangen ist. Es wird hiermit eine Streitfrage berührt, die seit ein paar Jahrzehnten immer wieder auftaucht und heute von der Schlichtung so weit entfernt scheint als je. Ich meine die Frage nach der Herkunft Nicolo Pisanos und seines Stils. Wenn die Partei, die diesen Stil in Apulien wurzeln läßt — sie ist noch eben erst sowohl durch Ber- taux als durch Venturi verstärkt worden —, im Recht ist, dann stände allerdings der große Aufschwung der toskanischen Plastik seit der Mitte des 13. Jahrhunderts in einem unmittelbaren Kausalverhältnis zu der friderizianischen Protorenaissance und würde den Faden weiterspinnen, der im Süden zu Boden fiel. Friedrichs Kunstpolitik, wenn man den Ausdruck hinnehmen will, war, wie so vieles in seiner Staatspolitik, etwas zu früh erschienen. Wer dauernde Nachwirkungen sucht, wird sie nicht am Mittel- meer und an der Adria finden, sondern vielleicht — und auch hier nur auf dem engen Gebiet des Burgenbaues — an der Weichsel und am Pregel. Anhang. Burg Egisheim im Elsass. 1908. Die Burg Egisheim im Oberelsaß ist durch das Grafen- geschlecht, das nach ihr benannt war, »der Sage wohlbekannt«; nur wenig, viel zu wenig bekannt der Geschichte der Baukunst. Ich finde nirgends gesagt, daß sie unter den deutschen Burgen

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Zitationshilfe: Dehio, Georg: Kunsthistorische Aufsätze. München u. a., 1914, S. 114. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dehio_aufsaetze_1914/132>, abgerufen am 19.03.2024.