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Dehio, Georg: Kunsthistorische Aufsätze. München u. a., 1914.

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Zu den Skulpturen des Bamberger Domes
meine Untersuchung im Jahrbuch 1890, Heft IV. Nicht um Frey
zu überzeugen, komme ich noch einmal auf die Angelegenheit
zurück; denn da derselbe gleichzeitig auch noch erklärt, daß er den
"Glaubensartikel" vom französischen Ursprung der gotischen Bau-
kunst verwerfe (!), so halte ich den Versuch von vornherein für
aussichtslos. Ich muß aber an die bekannte Erfahrung denken,
daß für Beweisführungen, die allein auf Stilvergleichung gestellt
sind, selten allgemeine Zustimmung zu finden ist. So mag es nicht
überflüssig sein, meine Ansicht noch durch eine rein logische Instanz
zu stützen.

Die Statue der Kaiserin Kunigunde am Südostportal trägt
in der Hand, um sie als Mitstifterin zu bezeichnen, das Modell
der Kirche. Dasselbe weicht von dem wirklichen Bau in einem
Punkt sehr merkwürdig ab: es gibt dem Westchor einen gotischen
Kapellenkranz mit freiliegenden Strebebögen. Um 1260 aber war
der gotische Kapellenkranz in Deutschland, mit Ausnahme weniger,
von Bamberg weit entlegener Orte, eine unbekannte Sache. Wer
einen solchen darstellte, vollends wer ihn als normales Attribut
einer Kathedrale ansah, mußte sich seine künstlerischen Grund-
anschauungen in Frankreich erworben haben. Ich glaube, daß
gegen diese Deduktion, im Zusammenhange mit dem, was ich
früher ausgeführt habe, insbesondere dem Hinweis auf die der
Kathedrale von Laon nachgebildeten Türme, kein plausibler Wider-
spruch mehr möglich ist. Der Wert der Leistung wird dadurch
ebensowenig herabgesetzt wie etwa die Dichtergröße Wolframs
von Eschenbach und Gottfrieds von Straßburg durch den Nach-
weis, daß sie sich ihre Stoffe und auch mehr als bloß ihre Stoffe
aus Frankreich geholt haben. Nichts wäre schlimmer, als wenn
die Unbefangenheit unserer wissenschaftlichen Forschung den
Gefühlsregungen eines mißverstandenen Patriotismus zum Opfer
fallen sollte.



7*

Zu den Skulpturen des Bamberger Domes
meine Untersuchung im Jahrbuch 1890, Heft IV. Nicht um Frey
zu überzeugen, komme ich noch einmal auf die Angelegenheit
zurück; denn da derselbe gleichzeitig auch noch erklärt, daß er den
»Glaubensartikel« vom französischen Ursprung der gotischen Bau-
kunst verwerfe (!), so halte ich den Versuch von vornherein für
aussichtslos. Ich muß aber an die bekannte Erfahrung denken,
daß für Beweisführungen, die allein auf Stilvergleichung gestellt
sind, selten allgemeine Zustimmung zu finden ist. So mag es nicht
überflüssig sein, meine Ansicht noch durch eine rein logische Instanz
zu stützen.

Die Statue der Kaiserin Kunigunde am Südostportal trägt
in der Hand, um sie als Mitstifterin zu bezeichnen, das Modell
der Kirche. Dasselbe weicht von dem wirklichen Bau in einem
Punkt sehr merkwürdig ab: es gibt dem Westchor einen gotischen
Kapellenkranz mit freiliegenden Strebebögen. Um 1260 aber war
der gotische Kapellenkranz in Deutschland, mit Ausnahme weniger,
von Bamberg weit entlegener Orte, eine unbekannte Sache. Wer
einen solchen darstellte, vollends wer ihn als normales Attribut
einer Kathedrale ansah, mußte sich seine künstlerischen Grund-
anschauungen in Frankreich erworben haben. Ich glaube, daß
gegen diese Deduktion, im Zusammenhange mit dem, was ich
früher ausgeführt habe, insbesondere dem Hinweis auf die der
Kathedrale von Laon nachgebildeten Türme, kein plausibler Wider-
spruch mehr möglich ist. Der Wert der Leistung wird dadurch
ebensowenig herabgesetzt wie etwa die Dichtergröße Wolframs
von Eschenbach und Gottfrieds von Straßburg durch den Nach-
weis, daß sie sich ihre Stoffe und auch mehr als bloß ihre Stoffe
aus Frankreich geholt haben. Nichts wäre schlimmer, als wenn
die Unbefangenheit unserer wissenschaftlichen Forschung den
Gefühlsregungen eines mißverstandenen Patriotismus zum Opfer
fallen sollte.



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[99/0113] Zu den Skulpturen des Bamberger Domes meine Untersuchung im Jahrbuch 1890, Heft IV. Nicht um Frey zu überzeugen, komme ich noch einmal auf die Angelegenheit zurück; denn da derselbe gleichzeitig auch noch erklärt, daß er den »Glaubensartikel« vom französischen Ursprung der gotischen Bau- kunst verwerfe (!), so halte ich den Versuch von vornherein für aussichtslos. Ich muß aber an die bekannte Erfahrung denken, daß für Beweisführungen, die allein auf Stilvergleichung gestellt sind, selten allgemeine Zustimmung zu finden ist. So mag es nicht überflüssig sein, meine Ansicht noch durch eine rein logische Instanz zu stützen. Die Statue der Kaiserin Kunigunde am Südostportal trägt in der Hand, um sie als Mitstifterin zu bezeichnen, das Modell der Kirche. Dasselbe weicht von dem wirklichen Bau in einem Punkt sehr merkwürdig ab: es gibt dem Westchor einen gotischen Kapellenkranz mit freiliegenden Strebebögen. Um 1260 aber war der gotische Kapellenkranz in Deutschland, mit Ausnahme weniger, von Bamberg weit entlegener Orte, eine unbekannte Sache. Wer einen solchen darstellte, vollends wer ihn als normales Attribut einer Kathedrale ansah, mußte sich seine künstlerischen Grund- anschauungen in Frankreich erworben haben. Ich glaube, daß gegen diese Deduktion, im Zusammenhange mit dem, was ich früher ausgeführt habe, insbesondere dem Hinweis auf die der Kathedrale von Laon nachgebildeten Türme, kein plausibler Wider- spruch mehr möglich ist. Der Wert der Leistung wird dadurch ebensowenig herabgesetzt wie etwa die Dichtergröße Wolframs von Eschenbach und Gottfrieds von Straßburg durch den Nach- weis, daß sie sich ihre Stoffe und auch mehr als bloß ihre Stoffe aus Frankreich geholt haben. Nichts wäre schlimmer, als wenn die Unbefangenheit unserer wissenschaftlichen Forschung den Gefühlsregungen eines mißverstandenen Patriotismus zum Opfer fallen sollte. 7*

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Zitationshilfe: Dehio, Georg: Kunsthistorische Aufsätze. München u. a., 1914, S. 99. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dehio_aufsaetze_1914/113>, abgerufen am 25.04.2024.