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Delbrück, Berthold: Die neueste Sprachforschung. Betrachtungen über Georg Curtius Schrift zur Kritik der neuesten Sprachforschung. Leipzig, 1885.

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Der Begründer der vergleichenden Lautlehre der indo-
germanischen Sprachen August Friedrich Pott hat bekannt-
lich vom Anfang seiner bahnbrechenden Wirksamkeit an die
Ansicht verfochten, dass die Präpositionen häufig mit Verbal-
wurzeln Verbindungen eingegangen seien, in welchen von
ihnen nur noch ein geringer Rest übrig geblieben sei, wie er
denn z. B. duh melken auf ud-vah (herauf, heraus führen),
bhrag fulgeo auf abhi-rag (anglänzen) zurückführt. Gegen
diese Versuche erhob sich Georg Curtius, und es entwickelte
sich zwischen den beiden ausgezeichneten Gelehrten ein jetzt
fast vergessener Streit, in welchem (wie heute wohl allgemein
angenommen wird) Curtius seine Meinung siegreich durch-
geführt hat. Während des Kampfes -- vor nunmehr drei und
zwanzig Jahren -- äusserte sich über denselben Steinthal (Zeit-
schrift für Völkerpsychologie und Sprachwissenschaft 2, 455)
wie folgt: "Es sei hier der (im Wesentlichen sehr erfreulichen)
Erscheinung gedacht, dass in der zweiten Auflage [der ety-
mologischen Forschungen] Potts Polemik eine ganz andere
Richtung genommen hat, als sie in der ersten verfolgte. Zwi-
schen beiden liegen freilich dreissig Jahre, d. h. fast ein
Menschenalter. Während sich nun Pott ehemals gegen das
Treiben der völlig unwissenschaftlichen alten Etymologie in
stürmendem Angriffe zu wenden hatte, so kämpft er jetzt bei-
nahe durchweg sich vertheidigend gegen die Angriffe jüngerer
Männer, die ihm mit den strengsten Gesetzen der etymologi-
schen Kunst entgegengetreten sind. Es ist mir ein schönes

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Der Begründer der vergleichenden Lautlehre der indo-
germanischen Sprachen August Friedrich Pott hat bekannt-
lich vom Anfang seiner bahnbrechenden Wirksamkeit an die
Ansicht verfochten, dass die Präpositionen häufig mit Verbal-
wurzeln Verbindungen eingegangen seien, in welchen von
ihnen nur noch ein geringer Rest übrig geblieben sei, wie er
denn z. B. duh melken auf úd-vah (herauf, heraus führen),
bhrāǵ fulgeo auf abhí-rāǵ (anglänzen) zurückführt. Gegen
diese Versuche erhob sich Georg Curtius, und es entwickelte
sich zwischen den beiden ausgezeichneten Gelehrten ein jetzt
fast vergessener Streit, in welchem (wie heute wohl allgemein
angenommen wird) Curtius seine Meinung siegreich durch-
geführt hat. Während des Kampfes — vor nunmehr drei und
zwanzig Jahren — äusserte sich über denselben Steinthal (Zeit-
schrift für Völkerpsychologie und Sprachwissenschaft 2, 455)
wie folgt: »Es sei hier der (im Wesentlichen sehr erfreulichen)
Erscheinung gedacht, dass in der zweiten Auflage [der ety-
mologischen Forschungen] Potts Polemik eine ganz andere
Richtung genommen hat, als sie in der ersten verfolgte. Zwi-
schen beiden liegen freilich dreissig Jahre, d. h. fast ein
Menschenalter. Während sich nun Pott ehemals gegen das
Treiben der völlig unwissenschaftlichen alten Etymologie in
stürmendem Angriffe zu wenden hatte, so kämpft er jetzt bei-
nahe durchweg sich vertheidigend gegen die Angriffe jüngerer
Männer, die ihm mit den strengsten Gesetzen der etymologi-
schen Kunst entgegengetreten sind. Es ist mir ein schönes

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Zitationshilfe: Delbrück, Berthold: Die neueste Sprachforschung. Betrachtungen über Georg Curtius Schrift zur Kritik der neuesten Sprachforschung. Leipzig, 1885, S. [3]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/delbrueck_sprachforschung_1885/8>, abgerufen am 28.03.2024.