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Devrient, Eduard: Das Nationaltheater des neuen Deutschland. Eine Reformschrift. Leipzig, 1849.

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Eine Kunst, die sich nur in Totalwirkungen vollen¬
det, kann den Sammelpunkt einer künstlerischen Direction
schlechterdings nicht entbehren. Der einige Geist, wel¬
cher in der Uebereinstimmung aller Theile lebendig wer¬
den soll, kann nur aus innerstem, praktischen Verständ¬
niß der Kunstthätigkeit selbst hervorgehen. Der Schau¬
spielkunst die künstlerische Direction neh¬
men
, hieß: ihr das Herz ausschneiden.

Umsonst haben die Intendanten, theils mit Talent,
meistens mit gutem Willen und redlichem Eifer das Na¬
turwidrige ihrer Stellung zu überwinden gesucht; es
konnte nicht gelingen. Erwägt man, wie mannichfache
specielle Kenntnisse, Fähigkeiten und Erfahrungen für
die Leitung eines Theaters erforderlich sind, so ist es
leicht zu begreifen, daß diese nicht bei Männern gefun¬
den werden können, welche, bis dahin Kammerherren,
Hofmarschälle, Oberstall- oder Oberjägermeister, Offi¬
ciere u. s. w. gar keine Veranlassung gehabt hatten ir¬
gend einem dieser Erfordernisse genug zu thun. Zwar
hat man geglaubt, dem Wesen der Kunst hinläng¬
lich Rechnung zu tragen, indem dem nichtsachver¬
ständigen Director die sachverständigen Regisseure zur
Seite gestellt blieben, denen das augenfällig Technische

Eine Kunſt, die ſich nur in Totalwirkungen vollen¬
det, kann den Sammelpunkt einer künſtleriſchen Direction
ſchlechterdings nicht entbehren. Der einige Geiſt, wel¬
cher in der Uebereinſtimmung aller Theile lebendig wer¬
den ſoll, kann nur aus innerſtem, praktiſchen Verſtänd¬
niß der Kunſtthätigkeit ſelbſt hervorgehen. Der Schau¬
ſpielkunſt die künſtleriſche Direction neh¬
men
, hieß: ihr das Herz ausſchneiden.

Umſonſt haben die Intendanten, theils mit Talent,
meiſtens mit gutem Willen und redlichem Eifer das Na¬
turwidrige ihrer Stellung zu überwinden geſucht; es
konnte nicht gelingen. Erwägt man, wie mannichfache
ſpecielle Kenntniſſe, Fähigkeiten und Erfahrungen für
die Leitung eines Theaters erforderlich ſind, ſo iſt es
leicht zu begreifen, daß dieſe nicht bei Männern gefun¬
den werden können, welche, bis dahin Kammerherren,
Hofmarſchälle, Oberſtall- oder Oberjägermeiſter, Offi¬
ciere u. ſ. w. gar keine Veranlaſſung gehabt hatten ir¬
gend einem dieſer Erforderniſſe genug zu thun. Zwar
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[16/0022] Eine Kunſt, die ſich nur in Totalwirkungen vollen¬ det, kann den Sammelpunkt einer künſtleriſchen Direction ſchlechterdings nicht entbehren. Der einige Geiſt, wel¬ cher in der Uebereinſtimmung aller Theile lebendig wer¬ den ſoll, kann nur aus innerſtem, praktiſchen Verſtänd¬ niß der Kunſtthätigkeit ſelbſt hervorgehen. Der Schau¬ ſpielkunſt die künſtleriſche Direction neh¬ men, hieß: ihr das Herz ausſchneiden. Umſonſt haben die Intendanten, theils mit Talent, meiſtens mit gutem Willen und redlichem Eifer das Na¬ turwidrige ihrer Stellung zu überwinden geſucht; es konnte nicht gelingen. Erwägt man, wie mannichfache ſpecielle Kenntniſſe, Fähigkeiten und Erfahrungen für die Leitung eines Theaters erforderlich ſind, ſo iſt es leicht zu begreifen, daß dieſe nicht bei Männern gefun¬ den werden können, welche, bis dahin Kammerherren, Hofmarſchälle, Oberſtall- oder Oberjägermeiſter, Offi¬ ciere u. ſ. w. gar keine Veranlaſſung gehabt hatten ir¬ gend einem dieſer Erforderniſſe genug zu thun. Zwar hat man geglaubt, dem Weſen der Kunſt hinläng¬ lich Rechnung zu tragen, indem dem nichtſachver¬ ſtändigen Director die ſachverſtändigen Regiſſeure zur Seite geſtellt blieben, denen das augenfällig Techniſche

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Zitationshilfe: Devrient, Eduard: Das Nationaltheater des neuen Deutschland. Eine Reformschrift. Leipzig, 1849, S. 16. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/devrient_nationaltheater_1849/22>, abgerufen am 19.04.2024.