Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Diesterweg, Adolph: Über das Verderben auf den deutschen Universitäten. Essen, 1836.

Bild:
<< vorherige Seite

des Willens im Guten, zur Veredlung der Persönlichkeit, zur
Richtung auf das Höhere. Unsere Zeit hat dieses vergessen,
sie verwechselt das Mittel mit dem Zwecke, hat vergessen,
daß die Richtung und das Streben nach dem Höheren, das
keiner weiteren Charakterisirung bedarf, die Grundlage und der
Gipfel aller wahren Bildung ist, daß diese Richtung den
Werth des Characters des Einzelnen und einer ganzen Zeit
bestimmt. Man kann unendlich viel wissen, und doch ein
ungeschlachter, roher und gemeiner Mensch sein.

2. Die Lehrmethode.

Die einseitige Richtung auf das Wissen und die Gelehr-
samkeit führt zu der Lehrmethode, die unsere akademischen
Lehrer üben. Es ist die akroamatische. Der Lehrer spricht,
die Schüler schweigen, hören zu und schreiben nach. Jener
trägt vor, er lies't ab, oder er bedient sich des freien Vortra-
ges. Natürlich ist Letzteres das Bessere, weil es das Leben-
digere, Anregendere ist, vorausgesetzt, daß Ordnung in dem
Vortrage herrscht.

Ueber diesen Gegenstand habe ich mich in der Rede über
die Lehrmethode Schleiermacher's ausgesprochen. Ich
kann mich daher um so kürzer fassen.

Mit Franz Theremin halte ich sie für verkehrt. Denn
sie ist tödtend. Besteht der akroamatische Vortrag in Ent-
wicklung, Zergliederung, Widerlegung, giebt er eine Genesis
der Gedanken, ist es ein freier Denkproceß, wie bei dem un-
erreichten Schleiermacher, so leistet er, was er zu leisten
vermag. Aber der Entwicklungsproceß verlangt gemeinschaft-
liche Thätigkeit des Lehrers und des Schülers. In diesem
soll die Entwicklung geschehen.

des Willens im Guten, zur Veredlung der Perſoͤnlichkeit, zur
Richtung auf das Hoͤhere. Unſere Zeit hat dieſes vergeſſen,
ſie verwechſelt das Mittel mit dem Zwecke, hat vergeſſen,
daß die Richtung und das Streben nach dem Hoͤheren, das
keiner weiteren Charakteriſirung bedarf, die Grundlage und der
Gipfel aller wahren Bildung iſt, daß dieſe Richtung den
Werth des Characters des Einzelnen und einer ganzen Zeit
beſtimmt. Man kann unendlich viel wiſſen, und doch ein
ungeſchlachter, roher und gemeiner Menſch ſein.

2. Die Lehrmethode.

Die einſeitige Richtung auf das Wiſſen und die Gelehr-
ſamkeit fuͤhrt zu der Lehrmethode, die unſere akademiſchen
Lehrer uͤben. Es iſt die akroamatiſche. Der Lehrer ſpricht,
die Schuͤler ſchweigen, hoͤren zu und ſchreiben nach. Jener
traͤgt vor, er lieſ’t ab, oder er bedient ſich des freien Vortra-
ges. Natuͤrlich iſt Letzteres das Beſſere, weil es das Leben-
digere, Anregendere iſt, vorausgeſetzt, daß Ordnung in dem
Vortrage herrſcht.

Ueber dieſen Gegenſtand habe ich mich in der Rede uͤber
die Lehrmethode Schleiermacher’s ausgeſprochen. Ich
kann mich daher um ſo kuͤrzer faſſen.

Mit Franz Theremin halte ich ſie fuͤr verkehrt. Denn
ſie iſt toͤdtend. Beſteht der akroamatiſche Vortrag in Ent-
wicklung, Zergliederung, Widerlegung, giebt er eine Geneſis
der Gedanken, iſt es ein freier Denkproceß, wie bei dem un-
erreichten Schleiermacher, ſo leiſtet er, was er zu leiſten
vermag. Aber der Entwicklungsproceß verlangt gemeinſchaft-
liche Thaͤtigkeit des Lehrers und des Schuͤlers. In dieſem
ſoll die Entwicklung geſchehen.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0054" n="36"/>
des Willens im Guten, zur Veredlung der Per&#x017F;o&#x0364;nlichkeit, zur<lb/>
Richtung auf das Ho&#x0364;here. Un&#x017F;ere Zeit hat die&#x017F;es verge&#x017F;&#x017F;en,<lb/>
&#x017F;ie verwech&#x017F;elt das Mittel mit dem Zwecke, hat verge&#x017F;&#x017F;en,<lb/>
daß die Richtung und das Streben nach dem Ho&#x0364;heren, das<lb/>
keiner weiteren Charakteri&#x017F;irung bedarf, die Grundlage und der<lb/>
Gipfel aller wahren Bildung i&#x017F;t, daß die&#x017F;e Richtung den<lb/>
Werth des Characters des Einzelnen und einer ganzen Zeit<lb/>
be&#x017F;timmt. Man kann unendlich viel wi&#x017F;&#x017F;en, und doch ein<lb/>
unge&#x017F;chlachter, roher und gemeiner Men&#x017F;ch &#x017F;ein.</p>
          </div><lb/>
          <div n="3">
            <head>2. <hi rendition="#g">Die Lehrmethode</hi>.</head><lb/>
            <p>Die ein&#x017F;eitige Richtung auf das Wi&#x017F;&#x017F;en und die Gelehr-<lb/>
&#x017F;amkeit fu&#x0364;hrt zu der Lehrmethode, die un&#x017F;ere akademi&#x017F;chen<lb/>
Lehrer u&#x0364;ben. Es i&#x017F;t die akroamati&#x017F;che. Der Lehrer &#x017F;pricht,<lb/>
die Schu&#x0364;ler &#x017F;chweigen, ho&#x0364;ren zu und &#x017F;chreiben nach. Jener<lb/>
tra&#x0364;gt vor, er lie&#x017F;&#x2019;t ab, oder er bedient &#x017F;ich des freien Vortra-<lb/>
ges. Natu&#x0364;rlich i&#x017F;t Letzteres das Be&#x017F;&#x017F;ere, weil es das Leben-<lb/>
digere, Anregendere i&#x017F;t, vorausge&#x017F;etzt, daß Ordnung in dem<lb/>
Vortrage herr&#x017F;cht.</p><lb/>
            <p>Ueber die&#x017F;en Gegen&#x017F;tand habe ich mich in der Rede u&#x0364;ber<lb/>
die Lehrmethode <hi rendition="#g">Schleiermacher&#x2019;s</hi> ausge&#x017F;prochen. Ich<lb/>
kann mich daher um &#x017F;o ku&#x0364;rzer fa&#x017F;&#x017F;en.</p><lb/>
            <p>Mit <hi rendition="#g">Franz Theremin</hi> halte ich &#x017F;ie fu&#x0364;r verkehrt. Denn<lb/>
&#x017F;ie i&#x017F;t to&#x0364;dtend. Be&#x017F;teht der akroamati&#x017F;che Vortrag in Ent-<lb/>
wicklung, Zergliederung, Widerlegung, giebt er eine Gene&#x017F;is<lb/>
der Gedanken, i&#x017F;t es ein freier Denkproceß, wie bei dem un-<lb/>
erreichten <hi rendition="#g">Schleiermacher</hi>, &#x017F;o lei&#x017F;tet er, was er zu lei&#x017F;ten<lb/>
vermag. Aber der Entwicklungsproceß verlangt gemein&#x017F;chaft-<lb/>
liche Tha&#x0364;tigkeit des Lehrers und des Schu&#x0364;lers. In die&#x017F;em<lb/>
&#x017F;oll die Entwicklung ge&#x017F;chehen.</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[36/0054] des Willens im Guten, zur Veredlung der Perſoͤnlichkeit, zur Richtung auf das Hoͤhere. Unſere Zeit hat dieſes vergeſſen, ſie verwechſelt das Mittel mit dem Zwecke, hat vergeſſen, daß die Richtung und das Streben nach dem Hoͤheren, das keiner weiteren Charakteriſirung bedarf, die Grundlage und der Gipfel aller wahren Bildung iſt, daß dieſe Richtung den Werth des Characters des Einzelnen und einer ganzen Zeit beſtimmt. Man kann unendlich viel wiſſen, und doch ein ungeſchlachter, roher und gemeiner Menſch ſein. 2. Die Lehrmethode. Die einſeitige Richtung auf das Wiſſen und die Gelehr- ſamkeit fuͤhrt zu der Lehrmethode, die unſere akademiſchen Lehrer uͤben. Es iſt die akroamatiſche. Der Lehrer ſpricht, die Schuͤler ſchweigen, hoͤren zu und ſchreiben nach. Jener traͤgt vor, er lieſ’t ab, oder er bedient ſich des freien Vortra- ges. Natuͤrlich iſt Letzteres das Beſſere, weil es das Leben- digere, Anregendere iſt, vorausgeſetzt, daß Ordnung in dem Vortrage herrſcht. Ueber dieſen Gegenſtand habe ich mich in der Rede uͤber die Lehrmethode Schleiermacher’s ausgeſprochen. Ich kann mich daher um ſo kuͤrzer faſſen. Mit Franz Theremin halte ich ſie fuͤr verkehrt. Denn ſie iſt toͤdtend. Beſteht der akroamatiſche Vortrag in Ent- wicklung, Zergliederung, Widerlegung, giebt er eine Geneſis der Gedanken, iſt es ein freier Denkproceß, wie bei dem un- erreichten Schleiermacher, ſo leiſtet er, was er zu leiſten vermag. Aber der Entwicklungsproceß verlangt gemeinſchaft- liche Thaͤtigkeit des Lehrers und des Schuͤlers. In dieſem ſoll die Entwicklung geſchehen.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/diesterweg_universitaeten_1836
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/diesterweg_universitaeten_1836/54
Zitationshilfe: Diesterweg, Adolph: Über das Verderben auf den deutschen Universitäten. Essen, 1836, S. 36. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/diesterweg_universitaeten_1836/54>, abgerufen am 25.04.2024.