Erster Abschnitt. Das mythische Vorstellen und die Entstehung der Wissenschaft in Europa.
Erstes Kapitel. Die aus dem Ergebniß des ersten Buchs entspringende Aufgabe.
Das erste einleitende Buch hat zunächst das Objekt dieses Werkes in einem Ueberblick dargestellt: die geschichtlich-gesellschaft- liche Wirklichkeit, in dem Zusammenhang, in welchem sie innerhalb der natürlichen Gliederung des Menschengeschlechts aus Individual- einheiten sich aufbaut, sowie die Wissenschaften von dieser Wirk- lichkeit d. h. die Geisteswissenschaften, in der Sonderung und den inneren Beziehungen, in welchen sie aus dem Ringen des Erkennens mit dieser Wirklichkeit entstanden sind: damit der in diese Ein- leitung Eintretende zuvörderst das Objekt selber in seiner Realität gewahr werde.
Dies war durch den leitenden wissenschaftlichen Gedanken des vorliegenden Werkes geboten. Denn in demselben ist jede von den bisherigen Ergebnissen des philosophischen Nachdenkens abweichende Erkenntniß ein Ausfluß des Einen Grundgedankens, die Philo- sophie sei zunächst eine Anleitung, die Realität, die Wirklichkeit in reiner Erfahrung zu erfassen und in den Grenzen, welche die Kritik des Erkennens vorschreibt, zu zergliedern. Dem mit den Geisteswissen- schaften Beschäftigten will dasselbe sonach gleichsam die Organe für die Erfahrung der geschichtlich-gesellschaftlichen Welt ausbilden. Denn dies ist die gewaltige Seele der gegenwärtigen Wissenschaft:
Erſter Abſchnitt. Das mythiſche Vorſtellen und die Entſtehung der Wiſſenſchaft in Europa.
Erſtes Kapitel. Die aus dem Ergebniß des erſten Buchs entſpringende Aufgabe.
Das erſte einleitende Buch hat zunächſt das Objekt dieſes Werkes in einem Ueberblick dargeſtellt: die geſchichtlich-geſellſchaft- liche Wirklichkeit, in dem Zuſammenhang, in welchem ſie innerhalb der natürlichen Gliederung des Menſchengeſchlechts aus Individual- einheiten ſich aufbaut, ſowie die Wiſſenſchaften von dieſer Wirk- lichkeit d. h. die Geiſteswiſſenſchaften, in der Sonderung und den inneren Beziehungen, in welchen ſie aus dem Ringen des Erkennens mit dieſer Wirklichkeit entſtanden ſind: damit der in dieſe Ein- leitung Eintretende zuvörderſt das Objekt ſelber in ſeiner Realität gewahr werde.
Dies war durch den leitenden wiſſenſchaftlichen Gedanken des vorliegenden Werkes geboten. Denn in demſelben iſt jede von den bisherigen Ergebniſſen des philoſophiſchen Nachdenkens abweichende Erkenntniß ein Ausfluß des Einen Grundgedankens, die Philo- ſophie ſei zunächſt eine Anleitung, die Realität, die Wirklichkeit in reiner Erfahrung zu erfaſſen und in den Grenzen, welche die Kritik des Erkennens vorſchreibt, zu zergliedern. Dem mit den Geiſteswiſſen- ſchaften Beſchäftigten will daſſelbe ſonach gleichſam die Organe für die Erfahrung der geſchichtlich-geſellſchaftlichen Welt ausbilden. Denn dies iſt die gewaltige Seele der gegenwärtigen Wiſſenſchaft:
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0176"n="[153]"/><divn="2"><head><hirendition="#b">Erſter Abſchnitt.<lb/>
Das mythiſche Vorſtellen und die Entſtehung der Wiſſenſchaft<lb/>
in Europa.</hi></head><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><divn="3"><head><hirendition="#g">Erſtes Kapitel</hi>.<lb/><hirendition="#b">Die aus dem Ergebniß des erſten Buchs entſpringende Aufgabe.</hi></head><lb/><p>Das erſte einleitende Buch hat zunächſt das Objekt dieſes<lb/>
Werkes in einem Ueberblick dargeſtellt: die geſchichtlich-geſellſchaft-<lb/>
liche Wirklichkeit, in dem Zuſammenhang, in welchem ſie innerhalb<lb/>
der natürlichen Gliederung des Menſchengeſchlechts aus Individual-<lb/>
einheiten ſich aufbaut, ſowie die Wiſſenſchaften von dieſer Wirk-<lb/>
lichkeit d. h. die Geiſteswiſſenſchaften, in der Sonderung und den<lb/>
inneren Beziehungen, in welchen ſie aus dem Ringen des Erkennens<lb/>
mit dieſer Wirklichkeit entſtanden ſind: damit der in dieſe Ein-<lb/>
leitung Eintretende zuvörderſt das Objekt ſelber in ſeiner Realität<lb/>
gewahr werde.</p><lb/><p>Dies war durch den leitenden wiſſenſchaftlichen Gedanken des<lb/>
vorliegenden Werkes geboten. Denn in demſelben iſt jede von den<lb/>
bisherigen Ergebniſſen des philoſophiſchen Nachdenkens abweichende<lb/>
Erkenntniß ein Ausfluß des Einen Grundgedankens, die Philo-<lb/>ſophie ſei zunächſt eine Anleitung, die Realität, die Wirklichkeit in<lb/>
reiner Erfahrung zu erfaſſen und in den Grenzen, welche die Kritik des<lb/>
Erkennens vorſchreibt, zu zergliedern. Dem mit den Geiſteswiſſen-<lb/>ſchaften Beſchäftigten will daſſelbe ſonach gleichſam die Organe für<lb/>
die Erfahrung der geſchichtlich-geſellſchaftlichen Welt ausbilden.<lb/>
Denn dies iſt die gewaltige Seele der gegenwärtigen Wiſſenſchaft:<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[[153]/0176]
Erſter Abſchnitt.
Das mythiſche Vorſtellen und die Entſtehung der Wiſſenſchaft
in Europa.
Erſtes Kapitel.
Die aus dem Ergebniß des erſten Buchs entſpringende Aufgabe.
Das erſte einleitende Buch hat zunächſt das Objekt dieſes
Werkes in einem Ueberblick dargeſtellt: die geſchichtlich-geſellſchaft-
liche Wirklichkeit, in dem Zuſammenhang, in welchem ſie innerhalb
der natürlichen Gliederung des Menſchengeſchlechts aus Individual-
einheiten ſich aufbaut, ſowie die Wiſſenſchaften von dieſer Wirk-
lichkeit d. h. die Geiſteswiſſenſchaften, in der Sonderung und den
inneren Beziehungen, in welchen ſie aus dem Ringen des Erkennens
mit dieſer Wirklichkeit entſtanden ſind: damit der in dieſe Ein-
leitung Eintretende zuvörderſt das Objekt ſelber in ſeiner Realität
gewahr werde.
Dies war durch den leitenden wiſſenſchaftlichen Gedanken des
vorliegenden Werkes geboten. Denn in demſelben iſt jede von den
bisherigen Ergebniſſen des philoſophiſchen Nachdenkens abweichende
Erkenntniß ein Ausfluß des Einen Grundgedankens, die Philo-
ſophie ſei zunächſt eine Anleitung, die Realität, die Wirklichkeit in
reiner Erfahrung zu erfaſſen und in den Grenzen, welche die Kritik des
Erkennens vorſchreibt, zu zergliedern. Dem mit den Geiſteswiſſen-
ſchaften Beſchäftigten will daſſelbe ſonach gleichſam die Organe für
die Erfahrung der geſchichtlich-geſellſchaftlichen Welt ausbilden.
Denn dies iſt die gewaltige Seele der gegenwärtigen Wiſſenſchaft:
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Dilthey, Wilhelm: Einleitung in die Geisteswissenschaften. Versuch einer Grundlegung für das Studium der Gesellschaft und der Geschichte. Bd. 1. Leipzig, 1883, S. [153]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dilthey_geisteswissenschaften_1883/176>, abgerufen am 18.04.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.