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Dilthey, Wilhelm: Einleitung in die Geisteswissenschaften. Versuch einer Grundlegung für das Studium der Gesellschaft und der Geschichte. Bd. 1. Leipzig, 1883.

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D. allgemeinst. Eigenschaft. e. Prinzips werden Gegenst. d. Nachdenkens.
Zweiter Abschnitt.
Metaphysisches Stadium in der Entwicklung der alten Völker.


Erstes Kapitel.
Verschiedene metaphysische Standpunkte werden erprobt und er-
weisen sich als zur Zeit nicht entwicklungsfähig.

In dem Zweckzusammenhang der Erkenntniß wird eine neue
Stufe erreicht
; der fortschreitende Geist sucht, in der Generation
des Heraklit und Parmenides, die allgemeine Beschaffenheit des
Zusammenhangs im Kosmos sowie die eines Prinzips dieses Zu-
sammenhangs zu bestimmen. Er entwickelt die Eigenschaften eines
Prinzips, die es zur Erklärung von Naturphänomenen benutzbar
machen. Dies setzt voraus, daß er sich nunmehr seine bisherigen
Versuche, die Erscheinungen des Kosmos abzuleiten, gegenständ-
lich
macht.

Ein Jahrhundert hindurch hatte die neuentstandene Wissen-
schaft vermittelst der Anschauungen von Umwandlung und Be-
wegung die Phänomene der Außenwelt zu verbinden und zu er-
klären gesucht. Sie hatte hierzu den Begriff des Prinzips
ausgebildet, d. h. eines Ersten, welches zeitlicher Anfangszustand
und erste Ursache der Phänomene ist, und von welchem dieselben
abgeleitet werden können. Dieser Begriff war der Ausdruck des
Willens der Erkenntniß selber. Viele Ursachen drängten nunmehr
zum Nachdenken über die allgemeinsten Eigenschaften
eines solchen Prinzips
, überhaupt aber des Weltzusammen-
hangs: der Wechsel in den Prinzipien, die Unmöglichkeit eines
dieser Prinzipien zu beweisen, die Schwierigkeiten in der Anschauung
von Umwandlung, welche dem bisherigen Verfahren zu Grunde
gelegen hatte, die nicht minder großen Schwierigkeiten in den
einzelnen Vorstellungen, wie sie eine solche Erklärung zu ihrer
Verwendung hatte. Wir nennen das Nachdenken, welches solcher-
gestalt einzelne Erklärungen zur Voraussetzung hat und die all-

D. allgemeinſt. Eigenſchaft. e. Prinzips werden Gegenſt. d. Nachdenkens.
Zweiter Abſchnitt.
Metaphyſiſches Stadium in der Entwicklung der alten Völker.


Erſtes Kapitel.
Verſchiedene metaphyſiſche Standpunkte werden erprobt und er-
weiſen ſich als zur Zeit nicht entwicklungsfähig.

In dem Zweckzuſammenhang der Erkenntniß wird eine neue
Stufe erreicht
; der fortſchreitende Geiſt ſucht, in der Generation
des Heraklit und Parmenides, die allgemeine Beſchaffenheit des
Zuſammenhangs im Kosmos ſowie die eines Prinzips dieſes Zu-
ſammenhangs zu beſtimmen. Er entwickelt die Eigenſchaften eines
Prinzips, die es zur Erklärung von Naturphänomenen benutzbar
machen. Dies ſetzt voraus, daß er ſich nunmehr ſeine bisherigen
Verſuche, die Erſcheinungen des Kosmos abzuleiten, gegenſtänd-
lich
macht.

Ein Jahrhundert hindurch hatte die neuentſtandene Wiſſen-
ſchaft vermittelſt der Anſchauungen von Umwandlung und Be-
wegung die Phänomene der Außenwelt zu verbinden und zu er-
klären geſucht. Sie hatte hierzu den Begriff des Prinzips
ausgebildet, d. h. eines Erſten, welches zeitlicher Anfangszuſtand
und erſte Urſache der Phänomene iſt, und von welchem dieſelben
abgeleitet werden können. Dieſer Begriff war der Ausdruck des
Willens der Erkenntniß ſelber. Viele Urſachen drängten nunmehr
zum Nachdenken über die allgemeinſten Eigenſchaften
eines ſolchen Prinzips
, überhaupt aber des Weltzuſammen-
hangs: der Wechſel in den Prinzipien, die Unmöglichkeit eines
dieſer Prinzipien zu beweiſen, die Schwierigkeiten in der Anſchauung
von Umwandlung, welche dem bisherigen Verfahren zu Grunde
gelegen hatte, die nicht minder großen Schwierigkeiten in den
einzelnen Vorſtellungen, wie ſie eine ſolche Erklärung zu ihrer
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[187/0210] D. allgemeinſt. Eigenſchaft. e. Prinzips werden Gegenſt. d. Nachdenkens. Zweiter Abſchnitt. Metaphyſiſches Stadium in der Entwicklung der alten Völker. Erſtes Kapitel. Verſchiedene metaphyſiſche Standpunkte werden erprobt und er- weiſen ſich als zur Zeit nicht entwicklungsfähig. In dem Zweckzuſammenhang der Erkenntniß wird eine neue Stufe erreicht; der fortſchreitende Geiſt ſucht, in der Generation des Heraklit und Parmenides, die allgemeine Beſchaffenheit des Zuſammenhangs im Kosmos ſowie die eines Prinzips dieſes Zu- ſammenhangs zu beſtimmen. Er entwickelt die Eigenſchaften eines Prinzips, die es zur Erklärung von Naturphänomenen benutzbar machen. Dies ſetzt voraus, daß er ſich nunmehr ſeine bisherigen Verſuche, die Erſcheinungen des Kosmos abzuleiten, gegenſtänd- lich macht. Ein Jahrhundert hindurch hatte die neuentſtandene Wiſſen- ſchaft vermittelſt der Anſchauungen von Umwandlung und Be- wegung die Phänomene der Außenwelt zu verbinden und zu er- klären geſucht. Sie hatte hierzu den Begriff des Prinzips ausgebildet, d. h. eines Erſten, welches zeitlicher Anfangszuſtand und erſte Urſache der Phänomene iſt, und von welchem dieſelben abgeleitet werden können. Dieſer Begriff war der Ausdruck des Willens der Erkenntniß ſelber. Viele Urſachen drängten nunmehr zum Nachdenken über die allgemeinſten Eigenſchaften eines ſolchen Prinzips, überhaupt aber des Weltzuſammen- hangs: der Wechſel in den Prinzipien, die Unmöglichkeit eines dieſer Prinzipien zu beweiſen, die Schwierigkeiten in der Anſchauung von Umwandlung, welche dem bisherigen Verfahren zu Grunde gelegen hatte, die nicht minder großen Schwierigkeiten in den einzelnen Vorſtellungen, wie ſie eine ſolche Erklärung zu ihrer Verwendung hatte. Wir nennen das Nachdenken, welches ſolcher- geſtalt einzelne Erklärungen zur Vorausſetzung hat und die all-

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Zitationshilfe: Dilthey, Wilhelm: Einleitung in die Geisteswissenschaften. Versuch einer Grundlegung für das Studium der Gesellschaft und der Geschichte. Bd. 1. Leipzig, 1883, S. 187. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dilthey_geisteswissenschaften_1883/210>, abgerufen am 29.03.2024.