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Dilthey, Wilhelm: Einleitung in die Geisteswissenschaften. Versuch einer Grundlegung für das Studium der Gesellschaft und der Geschichte. Bd. 1. Leipzig, 1883.

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Jenseits der Wissenschaft das Meta-Physische des Lebens.
fahrungen aber sind so persönlich, so dem Willen eigen, daß der
Atheist dies Meta-Physische zu leben vermag, während die
Gottesvorstellung in einem Ueberzeugten eine bloße werth-
lose Hülse sein kann. Der Ausdruck dieses Thatbestandes ist
die Befreiung des religiösen Glaubens aus seiner metaphysischen
Gebundenheit durch die Reformation. In ihr erlangte das re-
ligiöse Leben seine Selbstständigkeit.

Und so bleibt neben dem Blick in den unermeßlichen Raum
der Gestirne, welcher die Gedankenmäßigkeit des Kosmos zeigt,
der in die Tiefe des eigenen Herzens. Wie weit hier die Ana-
lysis mit Sicherheit zu dringen vermöge, werden die folgenden
Bücher zeigen. Jedoch wie dem sei, wo ein Mensch in seinem
Willen den Zusammenhang von Wahrnehmung, Lust, Antrieb
und Genuß durchbricht, wo er nicht sich mehr will: da ist das
Meta-Physische, welches sich in der dargelegten Geschichte der Me-
taphysik nur in unzähligen Bildern spiegelte. Denn die metaphy-
sische Wissenschaft ist ein historisch begränztes Phänomen, das
meta-physische Bewußtsein der Person ist ewig.



Viertes Kapitel.
Schlußbetrachtung
über die Unmöglichkeit der metaphysischen Stellung des Erkennens.

Wir versuchen an diesem Schluß der Geschichte der meta-
physischen Stellung des Geistes, der Geschichte einer noch nicht
durch die erkenntnißtheoretische Stellung desselben gebrochenen meta-
physischen Wissenschaft die in ihr allmälig hervorgetretenen That-
sachen durch eine allgemeine Betrachtung zu vereinigen.

Der logische Weltzusammenhang als Ideal der
Metaphysik
.

In der Einheit des menschlichen Bewußtseins ist es gegründet,
daß die Erfahrungen, welche dieses enthält, durch den Zusammen-

Jenſeits der Wiſſenſchaft das Meta-Phyſiſche des Lebens.
fahrungen aber ſind ſo perſönlich, ſo dem Willen eigen, daß der
Atheiſt dies Meta-Phyſiſche zu leben vermag, während die
Gottesvorſtellung in einem Ueberzeugten eine bloße werth-
loſe Hülſe ſein kann. Der Ausdruck dieſes Thatbeſtandes iſt
die Befreiung des religiöſen Glaubens aus ſeiner metaphyſiſchen
Gebundenheit durch die Reformation. In ihr erlangte das re-
ligiöſe Leben ſeine Selbſtſtändigkeit.

Und ſo bleibt neben dem Blick in den unermeßlichen Raum
der Geſtirne, welcher die Gedankenmäßigkeit des Kosmos zeigt,
der in die Tiefe des eigenen Herzens. Wie weit hier die Ana-
lyſis mit Sicherheit zu dringen vermöge, werden die folgenden
Bücher zeigen. Jedoch wie dem ſei, wo ein Menſch in ſeinem
Willen den Zuſammenhang von Wahrnehmung, Luſt, Antrieb
und Genuß durchbricht, wo er nicht ſich mehr will: da iſt das
Meta-Phyſiſche, welches ſich in der dargelegten Geſchichte der Me-
taphyſik nur in unzähligen Bildern ſpiegelte. Denn die metaphy-
ſiſche Wiſſenſchaft iſt ein hiſtoriſch begränztes Phänomen, das
meta-phyſiſche Bewußtſein der Perſon iſt ewig.



Viertes Kapitel.
Schlußbetrachtung
über die Unmöglichkeit der metaphyſiſchen Stellung des Erkennens.

Wir verſuchen an dieſem Schluß der Geſchichte der meta-
phyſiſchen Stellung des Geiſtes, der Geſchichte einer noch nicht
durch die erkenntnißtheoretiſche Stellung deſſelben gebrochenen meta-
phyſiſchen Wiſſenſchaft die in ihr allmälig hervorgetretenen That-
ſachen durch eine allgemeine Betrachtung zu vereinigen.

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Metaphyſik
.

In der Einheit des menſchlichen Bewußtſeins iſt es gegründet,
daß die Erfahrungen, welche dieſes enthält, durch den Zuſammen-

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[491/0514] Jenſeits der Wiſſenſchaft das Meta-Phyſiſche des Lebens. fahrungen aber ſind ſo perſönlich, ſo dem Willen eigen, daß der Atheiſt dies Meta-Phyſiſche zu leben vermag, während die Gottesvorſtellung in einem Ueberzeugten eine bloße werth- loſe Hülſe ſein kann. Der Ausdruck dieſes Thatbeſtandes iſt die Befreiung des religiöſen Glaubens aus ſeiner metaphyſiſchen Gebundenheit durch die Reformation. In ihr erlangte das re- ligiöſe Leben ſeine Selbſtſtändigkeit. Und ſo bleibt neben dem Blick in den unermeßlichen Raum der Geſtirne, welcher die Gedankenmäßigkeit des Kosmos zeigt, der in die Tiefe des eigenen Herzens. Wie weit hier die Ana- lyſis mit Sicherheit zu dringen vermöge, werden die folgenden Bücher zeigen. Jedoch wie dem ſei, wo ein Menſch in ſeinem Willen den Zuſammenhang von Wahrnehmung, Luſt, Antrieb und Genuß durchbricht, wo er nicht ſich mehr will: da iſt das Meta-Phyſiſche, welches ſich in der dargelegten Geſchichte der Me- taphyſik nur in unzähligen Bildern ſpiegelte. Denn die metaphy- ſiſche Wiſſenſchaft iſt ein hiſtoriſch begränztes Phänomen, das meta-phyſiſche Bewußtſein der Perſon iſt ewig. Viertes Kapitel. Schlußbetrachtung über die Unmöglichkeit der metaphyſiſchen Stellung des Erkennens. Wir verſuchen an dieſem Schluß der Geſchichte der meta- phyſiſchen Stellung des Geiſtes, der Geſchichte einer noch nicht durch die erkenntnißtheoretiſche Stellung deſſelben gebrochenen meta- phyſiſchen Wiſſenſchaft die in ihr allmälig hervorgetretenen That- ſachen durch eine allgemeine Betrachtung zu vereinigen. Der logiſche Weltzuſammenhang als Ideal der Metaphyſik. In der Einheit des menſchlichen Bewußtſeins iſt es gegründet, daß die Erfahrungen, welche dieſes enthält, durch den Zuſammen-

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Zitationshilfe: Dilthey, Wilhelm: Einleitung in die Geisteswissenschaften. Versuch einer Grundlegung für das Studium der Gesellschaft und der Geschichte. Bd. 1. Leipzig, 1883, S. 491. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dilthey_geisteswissenschaften_1883/514>, abgerufen am 16.04.2024.