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Dohm, Hedwig: Erziehung zum Stimmrecht der Frau. Berlin, 1910 (= Schriften des Preußischen Landesvereins für Frauenstimmrecht, Bd. 6).

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Gerade also da, wo eine sittliche Grundlage der Ehe, oder
eine gegenseitige Neigung ausgeschlossen war, wurde die Ehe
einem heiligen Fetisch gleich gewertet.

Wo sonst stand sie aus der Höhe?

Jede beliebige Kulturgeschichte gibt Aufschluß darüber, die
Bibel nicht ausgenommen (man denke an Sodom und Gomorha).

War sie im klassischen Altertum auf der Höhe? etwa in
Griechenland, wo der edle Athener ein Weib nahm, um sein
Geschlecht fortzupflanzen, welches Weib er dann lebenslänglich
ins Frauengemach sperrte, während er im Hetärentum Leib und
Seele erfrischte?

Oder in Rom, wo der Typus der Messalinen so herrlich
gedieh? Oder im Mittelalter, wo das Weib unweigerlich aus
der Hand des Vaters oder des Bruders den Gatten empfing?
kein Widerspruch stand ihr zu, mochte der ihr zugemutete Liebes-
gefährte auch ein Greis oder ein Scheusal sein.

Oder zur Zeit der Renaissance? wo das Cicisbeotum blühte,
und die verheiratete Frau sich schämte, wenn sie auf Liebhaber-
losigkeit ertappt wurde.

Und die Zeit des Herrenrechts?

Jm 13ten und 14ten Jahrhundert soll es förmlich ein Sport
vornehmer verheirateter Frauen gewesen sein, ihre Buhlgelüste in
den Bordellen zu befriedigen. Nonnenklöster galten lange Zeit
hindurch für Hochschulen der Liebeskünste.

Berühmte Schriftsteller und Maler sind Jnterpreten einer
delirierenden Erotik geworden (siehe Aretin, Boccaccio, Rops,
Viertz usw.)

Neben den unlöslichen Ehen hat es Zeitehen und Probe-
ehen gegeben. Meines Wissens nach ist in einigen Gegenden
unter dem Landvolk die Probeehe heute noch üblich.

Die Kulturgeschichte bezeugt, daß nicht nur Zuchtlosigkeit,
daß auch herzzerreißender Jammer von jeher, zu allen Zeiten und
unter allen Völkern eine Begleiterscheinung der Ehe gewesen ist.

Und immer und immer hat die starre Unwiderruflichkeit der
Ehe antiken und modernen Dichtern - von Sophokles bis zu
den französischen Ehebruchsdramen - den Stoff für ihre Tra-
gödien geliefert.

Die unabweisbare Schlußfolgerung ist, daß die rechte Form
für das Sexualleben "von Mann und Weib noch nicht gefunden
wurde."

Jch wiederhole: auf der Unabhängigkeit der Frau beruht eine durch-
greifende Reformierung und eine würdigere Gestaltung der Ehe.

Gerade also da, wo eine sittliche Grundlage der Ehe, oder
eine gegenseitige Neigung ausgeschlossen war, wurde die Ehe
einem heiligen Fetisch gleich gewertet.

Wo sonst stand sie aus der Höhe?

Jede beliebige Kulturgeschichte gibt Aufschluß darüber, die
Bibel nicht ausgenommen (man denke an Sodom und Gomorha).

War sie im klassischen Altertum auf der Höhe? etwa in
Griechenland, wo der edle Athener ein Weib nahm, um sein
Geschlecht fortzupflanzen, welches Weib er dann lebenslänglich
ins Frauengemach sperrte, während er im Hetärentum Leib und
Seele erfrischte?

Oder in Rom, wo der Typus der Messalinen so herrlich
gedieh? Oder im Mittelalter, wo das Weib unweigerlich aus
der Hand des Vaters oder des Bruders den Gatten empfing?
kein Widerspruch stand ihr zu, mochte der ihr zugemutete Liebes-
gefährte auch ein Greis oder ein Scheusal sein.

Oder zur Zeit der Renaissance? wo das Cicisbeotum blühte,
und die verheiratete Frau sich schämte, wenn sie auf Liebhaber-
losigkeit ertappt wurde.

Und die Zeit des Herrenrechts?

Jm 13ten und 14ten Jahrhundert soll es förmlich ein Sport
vornehmer verheirateter Frauen gewesen sein, ihre Buhlgelüste in
den Bordellen zu befriedigen. Nonnenklöster galten lange Zeit
hindurch für Hochschulen der Liebeskünste.

Berühmte Schriftsteller und Maler sind Jnterpreten einer
delirierenden Erotik geworden (siehe Aretin, Boccaccio, Rops,
Viertz usw.)

Neben den unlöslichen Ehen hat es Zeitehen und Probe-
ehen gegeben. Meines Wissens nach ist in einigen Gegenden
unter dem Landvolk die Probeehe heute noch üblich.

Die Kulturgeschichte bezeugt, daß nicht nur Zuchtlosigkeit,
daß auch herzzerreißender Jammer von jeher, zu allen Zeiten und
unter allen Völkern eine Begleiterscheinung der Ehe gewesen ist.

Und immer und immer hat die starre Unwiderruflichkeit der
Ehe antiken und modernen Dichtern – von Sophokles bis zu
den französischen Ehebruchsdramen – den Stoff für ihre Tra-
gödien geliefert.

Die unabweisbare Schlußfolgerung ist, daß die rechte Form
für das Sexualleben „von Mann und Weib noch nicht gefunden
wurde.“

Jch wiederhole: auf der Unabhängigkeit der Frau beruht eine durch-
greifende Reformierung und eine würdigere Gestaltung der Ehe.

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[15/0016] Gerade also da, wo eine sittliche Grundlage der Ehe, oder eine gegenseitige Neigung ausgeschlossen war, wurde die Ehe einem heiligen Fetisch gleich gewertet. Wo sonst stand sie aus der Höhe? Jede beliebige Kulturgeschichte gibt Aufschluß darüber, die Bibel nicht ausgenommen (man denke an Sodom und Gomorha). War sie im klassischen Altertum auf der Höhe? etwa in Griechenland, wo der edle Athener ein Weib nahm, um sein Geschlecht fortzupflanzen, welches Weib er dann lebenslänglich ins Frauengemach sperrte, während er im Hetärentum Leib und Seele erfrischte? Oder in Rom, wo der Typus der Messalinen so herrlich gedieh? Oder im Mittelalter, wo das Weib unweigerlich aus der Hand des Vaters oder des Bruders den Gatten empfing? kein Widerspruch stand ihr zu, mochte der ihr zugemutete Liebes- gefährte auch ein Greis oder ein Scheusal sein. Oder zur Zeit der Renaissance? wo das Cicisbeotum blühte, und die verheiratete Frau sich schämte, wenn sie auf Liebhaber- losigkeit ertappt wurde. Und die Zeit des Herrenrechts? Jm 13ten und 14ten Jahrhundert soll es förmlich ein Sport vornehmer verheirateter Frauen gewesen sein, ihre Buhlgelüste in den Bordellen zu befriedigen. Nonnenklöster galten lange Zeit hindurch für Hochschulen der Liebeskünste. Berühmte Schriftsteller und Maler sind Jnterpreten einer delirierenden Erotik geworden (siehe Aretin, Boccaccio, Rops, Viertz usw.) Neben den unlöslichen Ehen hat es Zeitehen und Probe- ehen gegeben. Meines Wissens nach ist in einigen Gegenden unter dem Landvolk die Probeehe heute noch üblich. Die Kulturgeschichte bezeugt, daß nicht nur Zuchtlosigkeit, daß auch herzzerreißender Jammer von jeher, zu allen Zeiten und unter allen Völkern eine Begleiterscheinung der Ehe gewesen ist. Und immer und immer hat die starre Unwiderruflichkeit der Ehe antiken und modernen Dichtern – von Sophokles bis zu den französischen Ehebruchsdramen – den Stoff für ihre Tra- gödien geliefert. Die unabweisbare Schlußfolgerung ist, daß die rechte Form für das Sexualleben „von Mann und Weib noch nicht gefunden wurde.“ Jch wiederhole: auf der Unabhängigkeit der Frau beruht eine durch- greifende Reformierung und eine würdigere Gestaltung der Ehe.

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Zitationshilfe: Dohm, Hedwig: Erziehung zum Stimmrecht der Frau. Berlin, 1910 (= Schriften des Preußischen Landesvereins für Frauenstimmrecht, Bd. 6), S. 15. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dohm_erziehung_1910/16>, abgerufen am 29.03.2024.