Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Dohm, Christian Conrad Wilhelm von: Über die bürgerliche Verbesserung der Juden. T. 2. Berlin u. a., 1783.

Bild:
<< vorherige Seite

Beständigkeit, mit der sie an dem Gesetz ihrer Vä-
ter hangen, Halsstarrigkeit nennen; denn es ist ge-
rade der beste Theil dieser Völkerschaft, die ihre An-
hänglichkeit am Gesetze Mosis am unerschüttertsten
beybehält, und wir dürfen selten auf die Proselyten
stolz seyn, die von ihnen zu uns übergegangen sind.
Ihre Erziehung ist religiöser, als die unsrige, weil
sie unter dem Drucke sind, ihre Erwartung wird
aufs höchste gespannt, und die Lebhaftigkeit ihres
Genies verleitet sie weit eher zum Fanaticismus, als
uns unser größeres Pflegma. Und was thun wir,
ihnen die Vorzüge der christlichen Religion vor der
ihrigen einleuchtender zu machen? Leben wir gewis-
senhafter nach unsren religiösen Grundsätzen, als sie?
Sind wir weniger in Rotten und Secten getheilt,
als sie? Verfolgen sich christliche Religionspartheyen
weniger, als die Thalmudisten und Karaiten unter
einander? Eben deswegen, weil wir in unserm Le-
ben so wenig Christen sind, eben deswegen, weil so
wenig Bruderliebe unter uns herrscht, eben deswe-
gen, weil wir mehr über die Wahrheit der christli-
chen Religion disputiren, als nach dem Geiste dersel-
ben leben, eben deswegen kann ein ehrlicher Jude
mit seinen Vorurtheilen nicht zu uns übergehen, wir
erschweren ihm selbst diesen Schritt. Und sollte sich

die

Beſtaͤndigkeit, mit der ſie an dem Geſetz ihrer Vaͤ-
ter hangen, Halsſtarrigkeit nennen; denn es iſt ge-
rade der beſte Theil dieſer Voͤlkerſchaft, die ihre An-
haͤnglichkeit am Geſetze Moſis am unerſchuͤttertſten
beybehaͤlt, und wir duͤrfen ſelten auf die Proſelyten
ſtolz ſeyn, die von ihnen zu uns uͤbergegangen ſind.
Ihre Erziehung iſt religioͤſer, als die unſrige, weil
ſie unter dem Drucke ſind, ihre Erwartung wird
aufs hoͤchſte geſpannt, und die Lebhaftigkeit ihres
Genies verleitet ſie weit eher zum Fanaticismus, als
uns unſer groͤßeres Pflegma. Und was thun wir,
ihnen die Vorzuͤge der chriſtlichen Religion vor der
ihrigen einleuchtender zu machen? Leben wir gewiſ-
ſenhafter nach unſren religioͤſen Grundſaͤtzen, als ſie?
Sind wir weniger in Rotten und Secten getheilt,
als ſie? Verfolgen ſich chriſtliche Religionspartheyen
weniger, als die Thalmudiſten und Karaiten unter
einander? Eben deswegen, weil wir in unſerm Le-
ben ſo wenig Chriſten ſind, eben deswegen, weil ſo
wenig Bruderliebe unter uns herrſcht, eben deswe-
gen, weil wir mehr uͤber die Wahrheit der chriſtli-
chen Religion diſputiren, als nach dem Geiſte derſel-
ben leben, eben deswegen kann ein ehrlicher Jude
mit ſeinen Vorurtheilen nicht zu uns uͤbergehen, wir
erſchweren ihm ſelbſt dieſen Schritt. Und ſollte ſich

die
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0098" n="90"/>
Be&#x017F;ta&#x0364;ndigkeit, mit der &#x017F;ie an dem Ge&#x017F;etz ihrer Va&#x0364;-<lb/>
ter hangen, Hals&#x017F;tarrigkeit nennen; denn es i&#x017F;t ge-<lb/>
rade der be&#x017F;te Theil die&#x017F;er Vo&#x0364;lker&#x017F;chaft, die ihre An-<lb/>
ha&#x0364;nglichkeit am Ge&#x017F;etze Mo&#x017F;is am uner&#x017F;chu&#x0364;ttert&#x017F;ten<lb/>
beybeha&#x0364;lt, und wir du&#x0364;rfen &#x017F;elten auf die Pro&#x017F;elyten<lb/>
&#x017F;tolz &#x017F;eyn, die von ihnen zu uns u&#x0364;bergegangen &#x017F;ind.<lb/>
Ihre Erziehung i&#x017F;t religio&#x0364;&#x017F;er, als die un&#x017F;rige, weil<lb/>
&#x017F;ie unter dem Drucke &#x017F;ind, ihre Erwartung wird<lb/>
aufs ho&#x0364;ch&#x017F;te ge&#x017F;pannt, und die Lebhaftigkeit ihres<lb/>
Genies verleitet &#x017F;ie weit eher zum Fanaticismus, als<lb/>
uns un&#x017F;er gro&#x0364;ßeres Pflegma. Und was thun wir,<lb/>
ihnen die Vorzu&#x0364;ge der chri&#x017F;tlichen Religion vor der<lb/>
ihrigen einleuchtender zu machen? Leben wir gewi&#x017F;-<lb/>
&#x017F;enhafter nach un&#x017F;ren religio&#x0364;&#x017F;en Grund&#x017F;a&#x0364;tzen, als &#x017F;ie?<lb/>
Sind wir weniger in Rotten und Secten getheilt,<lb/>
als &#x017F;ie? Verfolgen &#x017F;ich chri&#x017F;tliche Religionspartheyen<lb/>
weniger, als die Thalmudi&#x017F;ten und Karaiten unter<lb/>
einander? Eben deswegen, weil wir in un&#x017F;erm Le-<lb/>
ben &#x017F;o wenig Chri&#x017F;ten &#x017F;ind, eben deswegen, weil &#x017F;o<lb/>
wenig Bruderliebe unter uns herr&#x017F;cht, eben deswe-<lb/>
gen, weil wir mehr u&#x0364;ber die Wahrheit der chri&#x017F;tli-<lb/>
chen Religion di&#x017F;putiren, als nach dem Gei&#x017F;te der&#x017F;el-<lb/>
ben leben, eben deswegen kann ein ehrlicher Jude<lb/>
mit &#x017F;einen Vorurtheilen nicht zu uns u&#x0364;bergehen, wir<lb/>
er&#x017F;chweren ihm &#x017F;elb&#x017F;t die&#x017F;en Schritt. Und &#x017F;ollte &#x017F;ich<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">die</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[90/0098] Beſtaͤndigkeit, mit der ſie an dem Geſetz ihrer Vaͤ- ter hangen, Halsſtarrigkeit nennen; denn es iſt ge- rade der beſte Theil dieſer Voͤlkerſchaft, die ihre An- haͤnglichkeit am Geſetze Moſis am unerſchuͤttertſten beybehaͤlt, und wir duͤrfen ſelten auf die Proſelyten ſtolz ſeyn, die von ihnen zu uns uͤbergegangen ſind. Ihre Erziehung iſt religioͤſer, als die unſrige, weil ſie unter dem Drucke ſind, ihre Erwartung wird aufs hoͤchſte geſpannt, und die Lebhaftigkeit ihres Genies verleitet ſie weit eher zum Fanaticismus, als uns unſer groͤßeres Pflegma. Und was thun wir, ihnen die Vorzuͤge der chriſtlichen Religion vor der ihrigen einleuchtender zu machen? Leben wir gewiſ- ſenhafter nach unſren religioͤſen Grundſaͤtzen, als ſie? Sind wir weniger in Rotten und Secten getheilt, als ſie? Verfolgen ſich chriſtliche Religionspartheyen weniger, als die Thalmudiſten und Karaiten unter einander? Eben deswegen, weil wir in unſerm Le- ben ſo wenig Chriſten ſind, eben deswegen, weil ſo wenig Bruderliebe unter uns herrſcht, eben deswe- gen, weil wir mehr uͤber die Wahrheit der chriſtli- chen Religion diſputiren, als nach dem Geiſte derſel- ben leben, eben deswegen kann ein ehrlicher Jude mit ſeinen Vorurtheilen nicht zu uns uͤbergehen, wir erſchweren ihm ſelbſt dieſen Schritt. Und ſollte ſich die

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/dohm_juden02_1783
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/dohm_juden02_1783/98
Zitationshilfe: Dohm, Christian Conrad Wilhelm von: Über die bürgerliche Verbesserung der Juden. T. 2. Berlin u. a., 1783, S. 90. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dohm_juden02_1783/98>, abgerufen am 16.04.2024.