Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Droste-Hülshoff, Annette von: Gedichte. Stuttgart u. a., 1844.

Bild:
<< vorherige Seite
Der Strandwächter am deutschen Meere
und sein Neffe vom Lande.
"Sieben Nächte stand ich am Riff
Und hörte die Woge zerschellen,
Taucht kein Segel, kein irres Schiff?
Schon dunkelt's über den Wellen.
Nimm das Nachtrohr, Neffe vom Land'!
Ich will in die Matte mich strecken,
Dröhnt ein Schuß oder flackert ein Brand,
Dann zieh' an der Schnur, mich zu wecken." --
"Schöner Platz, an der Lucke hier,
Für einen unschuld'gen Privaten!
Drunten die See, das wüste Gethier,
Das Haye speit und Piraten.
Von der Seeschlang' wüthigem Kampf
Auch hat man Neues vernommen,
Weiß der Himmel, ob nicht per Dampf
In's deutsche Meer sie gekommen?"
"Ist's doch jetzt eine Wunderzeit,
Wo Gletscher brennen wie Essen,
Weiber turnieren im Männerkleid,
Und Knaben die Ruthe vergessen.
Jeder Wurm entfaltet sein Licht,
Und jeder Narr seine Kappe,
Also, Seele, wundre dich nicht,
Wenn heute du stehst an der Klappe."
Der Strandwächter am deutſchen Meere
und ſein Neffe vom Lande.
„Sieben Nächte ſtand ich am Riff
Und hörte die Woge zerſchellen,
Taucht kein Segel, kein irres Schiff?
Schon dunkelt's über den Wellen.
Nimm das Nachtrohr, Neffe vom Land'!
Ich will in die Matte mich ſtrecken,
Dröhnt ein Schuß oder flackert ein Brand,
Dann zieh' an der Schnur, mich zu wecken.“ —
„Schöner Platz, an der Lucke hier,
Für einen unſchuld'gen Privaten!
Drunten die See, das wüſte Gethier,
Das Haye ſpeit und Piraten.
Von der Seeſchlang' wüthigem Kampf
Auch hat man Neues vernommen,
Weiß der Himmel, ob nicht per Dampf
In's deutſche Meer ſie gekommen?“
„Iſt's doch jetzt eine Wunderzeit,
Wo Gletſcher brennen wie Eſſen,
Weiber turnieren im Männerkleid,
Und Knaben die Ruthe vergeſſen.
Jeder Wurm entfaltet ſein Licht,
Und jeder Narr ſeine Kappe,
Alſo, Seele, wundre dich nicht,
Wenn heute du ſtehſt an der Klappe.“
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <pb facs="#f0265" n="251"/>
          </div>
        </div>
        <div n="2">
          <head><hi rendition="#b">Der Strandwächter am deut&#x017F;chen Meere</hi><lb/>
und &#x017F;ein Neffe vom Lande.<lb/></head>
          <lg type="poem">
            <lg n="1">
              <l>&#x201E;Sieben Nächte &#x017F;tand ich am Riff</l><lb/>
              <l>Und hörte die Woge zer&#x017F;chellen,</l><lb/>
              <l>Taucht kein Segel, kein irres Schiff?</l><lb/>
              <l>Schon dunkelt's über den Wellen.</l><lb/>
              <l>Nimm das Nachtrohr, Neffe vom Land'!</l><lb/>
              <l>Ich will in die Matte mich &#x017F;trecken,</l><lb/>
              <l>Dröhnt ein Schuß oder flackert ein Brand,</l><lb/>
              <l>Dann zieh' an der Schnur, mich zu wecken.&#x201C; &#x2014;</l><lb/>
            </lg>
            <lg n="2">
              <l>&#x201E;Schöner Platz, an der Lucke hier,</l><lb/>
              <l>Für einen un&#x017F;chuld'gen Privaten!</l><lb/>
              <l>Drunten die See, das wü&#x017F;te Gethier,</l><lb/>
              <l>Das Haye &#x017F;peit und Piraten.</l><lb/>
              <l>Von der See&#x017F;chlang' wüthigem Kampf</l><lb/>
              <l>Auch hat man Neues vernommen,</l><lb/>
              <l>Weiß der Himmel, ob nicht per Dampf</l><lb/>
              <l>In's deut&#x017F;che Meer &#x017F;ie gekommen?&#x201C;</l><lb/>
            </lg>
            <lg n="3">
              <l>&#x201E;I&#x017F;t's doch jetzt eine Wunderzeit,</l><lb/>
              <l>Wo Glet&#x017F;cher brennen wie E&#x017F;&#x017F;en,</l><lb/>
              <l>Weiber turnieren im Männerkleid,</l><lb/>
              <l>Und Knaben die Ruthe verge&#x017F;&#x017F;en.</l><lb/>
              <l>Jeder Wurm entfaltet &#x017F;ein Licht,</l><lb/>
              <l>Und jeder Narr &#x017F;eine Kappe,</l><lb/>
              <l>Al&#x017F;o, Seele, wundre dich nicht,</l><lb/>
              <l>Wenn heute du &#x017F;teh&#x017F;t an der Klappe.&#x201C;</l><lb/>
            </lg>
          </lg>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[251/0265] Der Strandwächter am deutſchen Meere und ſein Neffe vom Lande. „Sieben Nächte ſtand ich am Riff Und hörte die Woge zerſchellen, Taucht kein Segel, kein irres Schiff? Schon dunkelt's über den Wellen. Nimm das Nachtrohr, Neffe vom Land'! Ich will in die Matte mich ſtrecken, Dröhnt ein Schuß oder flackert ein Brand, Dann zieh' an der Schnur, mich zu wecken.“ — „Schöner Platz, an der Lucke hier, Für einen unſchuld'gen Privaten! Drunten die See, das wüſte Gethier, Das Haye ſpeit und Piraten. Von der Seeſchlang' wüthigem Kampf Auch hat man Neues vernommen, Weiß der Himmel, ob nicht per Dampf In's deutſche Meer ſie gekommen?“ „Iſt's doch jetzt eine Wunderzeit, Wo Gletſcher brennen wie Eſſen, Weiber turnieren im Männerkleid, Und Knaben die Ruthe vergeſſen. Jeder Wurm entfaltet ſein Licht, Und jeder Narr ſeine Kappe, Alſo, Seele, wundre dich nicht, Wenn heute du ſtehſt an der Klappe.“

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/droste_gedichte_1844
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/droste_gedichte_1844/265
Zitationshilfe: Droste-Hülshoff, Annette von: Gedichte. Stuttgart u. a., 1844, S. 251. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/droste_gedichte_1844/265>, abgerufen am 19.04.2024.