Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Droste-Hülshoff, Annette von: Gedichte. Stuttgart u. a., 1844.

Bild:
<< vorherige Seite
Zweiter Gesang.
Wo auf Sankt Bernhards Mitte recht
Die Zinnen streckt der Felsenbau,
In seiner Trümmer Irrgeflecht
Ein Thal sich lagert, eng und rauh.
Da harrt es nun in ew'gem Lauschen,
Nicht Vogelsang, nicht Blätterrauschen,
Nein, wie die Stürme Seufzer tauschen.
Inmitten schwärzlich ruht der See,
Der des verlornen Strahles Weh
Gefesselt hält in seinen Flächen,
So dort gleich dem Gefangnen liegt,
Sich angstvoll an die Decke schmiegt,
Den glas'gen Kerker zu durchbrechen.
Und nah dem unwirthbaren Strand
Das Hospital steigt in die Höh'
So schlicht wie eine Klippenwand,
Der Wandrer unterscheidet's nicht.
Nur wenn ein Klang die Stille bricht,
Vom Hochaltar das ew'ge Licht
Wenn's durch die Nacht den blassen Schein
Wirft in das Schneegefild' hinein,
Lenkt er zur Schwelle seinen Schritt,
Der wahrlich sonst vorüber glitt.
Denn in der Dämmrung ungestalt
Erscheint es wie ein Felsengrat
Rings eingekerbt von weitem Spalt.
Zweiter Geſang.
Wo auf Sankt Bernhards Mitte recht
Die Zinnen ſtreckt der Felſenbau,
In ſeiner Trümmer Irrgeflecht
Ein Thal ſich lagert, eng und rauh.
Da harrt es nun in ew'gem Lauſchen,
Nicht Vogelſang, nicht Blätterrauſchen,
Nein, wie die Stürme Seufzer tauſchen.
Inmitten ſchwärzlich ruht der See,
Der des verlornen Strahles Weh
Gefeſſelt hält in ſeinen Flächen,
So dort gleich dem Gefangnen liegt,
Sich angſtvoll an die Decke ſchmiegt,
Den glaſ'gen Kerker zu durchbrechen.
Und nah dem unwirthbaren Strand
Das Hospital ſteigt in die Höh'
So ſchlicht wie eine Klippenwand,
Der Wandrer unterſcheidet's nicht.
Nur wenn ein Klang die Stille bricht,
Vom Hochaltar das ew'ge Licht
Wenn's durch die Nacht den blaſſen Schein
Wirft in das Schneegefild' hinein,
Lenkt er zur Schwelle ſeinen Schritt,
Der wahrlich ſonſt vorüber glitt.
Denn in der Dämmrung ungeſtalt
Erſcheint es wie ein Felſengrat
Rings eingekerbt von weitem Spalt.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <pb facs="#f0442" n="428"/>
          </div>
          <div n="3">
            <head> <hi rendition="#g">Zweiter Ge&#x017F;ang.</hi><lb/>
            </head>
            <lg type="poem">
              <lg n="1">
                <l>Wo auf Sankt Bernhards Mitte recht</l><lb/>
                <l>Die Zinnen &#x017F;treckt der Fel&#x017F;enbau,</l><lb/>
                <l>In &#x017F;einer Trümmer Irrgeflecht</l><lb/>
                <l>Ein Thal &#x017F;ich lagert, eng und rauh.</l><lb/>
                <l>Da harrt es nun in ew'gem Lau&#x017F;chen,</l><lb/>
                <l>Nicht Vogel&#x017F;ang, nicht Blätterrau&#x017F;chen,</l><lb/>
                <l>Nein, wie die Stürme Seufzer tau&#x017F;chen.</l><lb/>
                <l>Inmitten &#x017F;chwärzlich ruht der See,</l><lb/>
                <l>Der des verlornen Strahles Weh</l><lb/>
                <l>Gefe&#x017F;&#x017F;elt hält in &#x017F;einen Flächen,</l><lb/>
                <l>So dort gleich dem Gefangnen liegt,</l><lb/>
                <l>Sich ang&#x017F;tvoll an die Decke &#x017F;chmiegt,</l><lb/>
                <l>Den gla&#x017F;'gen Kerker zu durchbrechen.</l><lb/>
                <l>Und nah dem unwirthbaren Strand</l><lb/>
                <l>Das Hospital &#x017F;teigt in die Höh'</l><lb/>
                <l>So &#x017F;chlicht wie eine Klippenwand,</l><lb/>
                <l>Der Wandrer unter&#x017F;cheidet's nicht.</l><lb/>
                <l>Nur wenn ein Klang die Stille bricht,</l><lb/>
                <l>Vom Hochaltar das ew'ge Licht</l><lb/>
                <l>Wenn's durch die Nacht den bla&#x017F;&#x017F;en Schein</l><lb/>
                <l>Wirft in das Schneegefild' hinein,</l><lb/>
                <l>Lenkt er zur Schwelle &#x017F;einen Schritt,</l><lb/>
                <l>Der wahrlich &#x017F;on&#x017F;t vorüber glitt.</l><lb/>
                <l>Denn in der Dämmrung unge&#x017F;talt</l><lb/>
                <l>Er&#x017F;cheint es wie ein Fel&#x017F;engrat</l><lb/>
                <l>Rings eingekerbt von weitem Spalt.</l><lb/>
              </lg>
            </lg>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[428/0442] Zweiter Geſang. Wo auf Sankt Bernhards Mitte recht Die Zinnen ſtreckt der Felſenbau, In ſeiner Trümmer Irrgeflecht Ein Thal ſich lagert, eng und rauh. Da harrt es nun in ew'gem Lauſchen, Nicht Vogelſang, nicht Blätterrauſchen, Nein, wie die Stürme Seufzer tauſchen. Inmitten ſchwärzlich ruht der See, Der des verlornen Strahles Weh Gefeſſelt hält in ſeinen Flächen, So dort gleich dem Gefangnen liegt, Sich angſtvoll an die Decke ſchmiegt, Den glaſ'gen Kerker zu durchbrechen. Und nah dem unwirthbaren Strand Das Hospital ſteigt in die Höh' So ſchlicht wie eine Klippenwand, Der Wandrer unterſcheidet's nicht. Nur wenn ein Klang die Stille bricht, Vom Hochaltar das ew'ge Licht Wenn's durch die Nacht den blaſſen Schein Wirft in das Schneegefild' hinein, Lenkt er zur Schwelle ſeinen Schritt, Der wahrlich ſonſt vorüber glitt. Denn in der Dämmrung ungeſtalt Erſcheint es wie ein Felſengrat Rings eingekerbt von weitem Spalt.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/droste_gedichte_1844
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/droste_gedichte_1844/442
Zitationshilfe: Droste-Hülshoff, Annette von: Gedichte. Stuttgart u. a., 1844, S. 428. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/droste_gedichte_1844/442>, abgerufen am 19.04.2024.