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Droste-Hülshoff, Annette von: Gedichte. Stuttgart u. a., 1844.

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Im Moose.
Als jüngst die Nacht dem sonnenmüden Land
Der Dämmrung leise Boten hat gesandt,
Da lag ich einsam noch in Waldes Moose.
Die dunklen Zweige nickten so vertraut,
An meiner Wange flüsterte das Kraut,
Unsichtbar duftete die Haiderose.
Und flimmern sah ich, durch der Linde Raum,
Ein mattes Licht, das im Gezweig der Baum
Gleich einem mächt'gen Glühwurm schien zu tragen.
Es sah so dämmernd wie ein Traumgesicht,
Doch wuste ich, es war der Heimath Licht,
In meiner eignen Kammer angeschlagen.
Ringsum so still, daß ich vernahm im Laub
Der Raupe Nagen, und wie grüner Staub
Mich leise wirbelnd Blätterflöckchen trafen.
Ich lag und dachte, ach so Manchem nach,
Ich hörte meines eignen Herzens Schlag,
Fast war es mir als sey ich schon entschlafen.
Gedanken tauchten aus Gedanken auf,
Das Kinderspiel, der frischen Jahre Lauf,
Gesichter, die mir lange fremd geworden;
Vergeßne Töne summten um mein Ohr,
Und endlich trat die Gegenwart hervor,
Da stand die Welle, wie an Ufers Borden.
v. Droste-Hülshof, Gedichte. 7
Im Mooſe.
Als jüngſt die Nacht dem ſonnenmüden Land
Der Dämmrung leiſe Boten hat geſandt,
Da lag ich einſam noch in Waldes Mooſe.
Die dunklen Zweige nickten ſo vertraut,
An meiner Wange flüſterte das Kraut,
Unſichtbar duftete die Haideroſe.
Und flimmern ſah ich, durch der Linde Raum,
Ein mattes Licht, das im Gezweig der Baum
Gleich einem mächt'gen Glühwurm ſchien zu tragen.
Es ſah ſo dämmernd wie ein Traumgeſicht,
Doch wuſte ich, es war der Heimath Licht,
In meiner eignen Kammer angeſchlagen.
Ringsum ſo ſtill, daß ich vernahm im Laub
Der Raupe Nagen, und wie grüner Staub
Mich leiſe wirbelnd Blätterflöckchen trafen.
Ich lag und dachte, ach ſo Manchem nach,
Ich hörte meines eignen Herzens Schlag,
Faſt war es mir als ſey ich ſchon entſchlafen.
Gedanken tauchten aus Gedanken auf,
Das Kinderſpiel, der friſchen Jahre Lauf,
Geſichter, die mir lange fremd geworden;
Vergeßne Töne ſummten um mein Ohr,
Und endlich trat die Gegenwart hervor,
Da ſtand die Welle, wie an Ufers Borden.
v. Droſte-Hülshof, Gedichte. 7
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[97/0111] Im Mooſe. Als jüngſt die Nacht dem ſonnenmüden Land Der Dämmrung leiſe Boten hat geſandt, Da lag ich einſam noch in Waldes Mooſe. Die dunklen Zweige nickten ſo vertraut, An meiner Wange flüſterte das Kraut, Unſichtbar duftete die Haideroſe. Und flimmern ſah ich, durch der Linde Raum, Ein mattes Licht, das im Gezweig der Baum Gleich einem mächt'gen Glühwurm ſchien zu tragen. Es ſah ſo dämmernd wie ein Traumgeſicht, Doch wuſte ich, es war der Heimath Licht, In meiner eignen Kammer angeſchlagen. Ringsum ſo ſtill, daß ich vernahm im Laub Der Raupe Nagen, und wie grüner Staub Mich leiſe wirbelnd Blätterflöckchen trafen. Ich lag und dachte, ach ſo Manchem nach, Ich hörte meines eignen Herzens Schlag, Faſt war es mir als ſey ich ſchon entſchlafen. Gedanken tauchten aus Gedanken auf, Das Kinderſpiel, der friſchen Jahre Lauf, Geſichter, die mir lange fremd geworden; Vergeßne Töne ſummten um mein Ohr, Und endlich trat die Gegenwart hervor, Da ſtand die Welle, wie an Ufers Borden. v. Droſte-Hülshof, Gedichte. 7

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Zitationshilfe: Droste-Hülshoff, Annette von: Gedichte. Stuttgart u. a., 1844, S. 97. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/droste_gedichte_1844/111>, abgerufen am 16.04.2024.