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Droste-Hülshoff, Annette von: Gedichte. Stuttgart u. a., 1844.

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Recht, wo der Sand sich dämmt,
Da lagert es am Hügel;
Es badet sich und schwemmt,
Stäubt Asche durch die Flügel
Bis jede Feder grau;
Dann rasten sie im Bade,
Und horchen der Suade
Der alten Krähenfrau,
Die sich im Sande reckt,
Das Bein lang ausgeschossen,
Ihr eines Aug' gefleckt,
Das andre ist geschlossen;
Zweihundert Jahr und mehr
Gehetzt mit allen Hunden,
Schnarrt sie nun ihre Kunden
Dem jungen Volke her:
"Ja, ritterlich und kühn all sein Gebahr!
Wenn er so herstolzirte vor der Schaar,
Und ließ sein bäumend Roß so drehn und schwenken,
Da mußt ich immer an Sanct Görgen denken,
Den Wettermann, der -- als am Schlot ich saß,
Ließ mir die Sonne auf den Rücken brennen --
Vom Wind getrillt mich schlug so hart, daß baß
Ich es dem alten Raben möchte gönnen,
Der dort von seiner Hopfenstange schaut,
Als sey ein Baum er und wir andern Kraut! --
"Kühn war der Halberstadt, das ist gewiß!
Wenn er die Braue zog, die Lippe biß,
v. Droste-Hülshof, Gedichte. 5
Recht, wo der Sand ſich dämmt,
Da lagert es am Hügel;
Es badet ſich und ſchwemmt,
Stäubt Aſche durch die Flügel
Bis jede Feder grau;
Dann raſten ſie im Bade,
Und horchen der Suade
Der alten Krähenfrau,
Die ſich im Sande reckt,
Das Bein lang ausgeſchoſſen,
Ihr eines Aug' gefleckt,
Das andre iſt geſchloſſen;
Zweihundert Jahr und mehr
Gehetzt mit allen Hunden,
Schnarrt ſie nun ihre Kunden
Dem jungen Volke her:
„Ja, ritterlich und kühn all ſein Gebahr!
Wenn er ſo herſtolzirte vor der Schaar,
Und ließ ſein bäumend Roß ſo drehn und ſchwenken,
Da mußt ich immer an Sanct Görgen denken,
Den Wettermann, der — als am Schlot ich ſaß,
Ließ mir die Sonne auf den Rücken brennen —
Vom Wind getrillt mich ſchlug ſo hart, daß baß
Ich es dem alten Raben möchte gönnen,
Der dort von ſeiner Hopfenſtange ſchaut,
Als ſey ein Baum er und wir andern Kraut! —
„Kühn war der Halberſtadt, das iſt gewiß!
Wenn er die Braue zog, die Lippe biß,
v. Droſte-Hülshof, Gedichte. 5
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[65/0079] Recht, wo der Sand ſich dämmt, Da lagert es am Hügel; Es badet ſich und ſchwemmt, Stäubt Aſche durch die Flügel Bis jede Feder grau; Dann raſten ſie im Bade, Und horchen der Suade Der alten Krähenfrau, Die ſich im Sande reckt, Das Bein lang ausgeſchoſſen, Ihr eines Aug' gefleckt, Das andre iſt geſchloſſen; Zweihundert Jahr und mehr Gehetzt mit allen Hunden, Schnarrt ſie nun ihre Kunden Dem jungen Volke her: „Ja, ritterlich und kühn all ſein Gebahr! Wenn er ſo herſtolzirte vor der Schaar, Und ließ ſein bäumend Roß ſo drehn und ſchwenken, Da mußt ich immer an Sanct Görgen denken, Den Wettermann, der — als am Schlot ich ſaß, Ließ mir die Sonne auf den Rücken brennen — Vom Wind getrillt mich ſchlug ſo hart, daß baß Ich es dem alten Raben möchte gönnen, Der dort von ſeiner Hopfenſtange ſchaut, Als ſey ein Baum er und wir andern Kraut! — „Kühn war der Halberſtadt, das iſt gewiß! Wenn er die Braue zog, die Lippe biß, v. Droſte-Hülshof, Gedichte. 5

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Zitationshilfe: Droste-Hülshoff, Annette von: Gedichte. Stuttgart u. a., 1844, S. 65. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/droste_gedichte_1844/79>, abgerufen am 29.03.2024.