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Droysen, Johann Gustav: Geschichte Alexanders des Großen. Hamburg, [1833].

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rung seines hochherzigen Charakters; seine Zeitgenossen priesen die-
sen, weil sie oder so lange sie jene nicht begriffen; fast keine That
Alexanders haben sie mehr bewundert, als diese Milde, wo er den
stolzen Sieger, diese Ehrerbietung, wo er den Griechen und den
König hätte zeigen können; bewunderungswürdiger als Alles schien
ihnen diese Tugend des Jünglings, daß er, diesmal größer als sein
großes Vorbild Achilles, den süßesten Preis des Sieges verschmähete,
da doch Darius Gemahlin für die schönste aller Asiatischen Frauen
galt; von ihrer Schönheit auch nur zu sprechen, wo er nahe war,
verbot er, damit auch nicht ein Wort den Gram der edlen Frau
vermehre. Gern und mit Begeisterung erzählten sich die Macedo-
nier von ihrem König, der, so menschlich, wo er siegte und doppelt
siegreich, wenn er seinem Herzen folgte, selbst die Feinde zu Freun-
den gewann; und manche Sage hat, wenn auch nicht den Werth
des Faktums, doch den höheren, ein Ausdruck der gerechten Be-
wunderung für den König zu sein und zu zeigen, was man als
seiner würdig glaubte. So erzählte man sich in jenen Tagen: der
König sei, nur von seinem Lieblinge Hephästion begleitet, in das
Zelt der Fürstinnen gekommen, dann habe die Königin Mutter,
ungewiß, wer von beiden gleich glänzend gekleideten Männern der
König sei, sich vor Hephästion, der höher von Gestalt war, in den
Staub geworfen, nach Persischer Sitte anzubeten; aber da sie durch
Hephästions Zurücktreten über ihren Irrthum belehrt, in der höch-
sten Bestürzung ihr Leben verwirkt geglaubt, habe Alexander lä-
chelnd gesagt: "Du hast nicht geirrt, o Mutter, auch der ist Ale-
xander." Dann habe er den sechsjährigen Knaben des Darius auf
den Arm genommen und ihn geherzt und geküßt 23). -- Wie
sehr solche Herzlichkeit im Sinne des jungen Königs war, zeigte
vor allen auch seine Sorge für die am Tage der Schlacht Ver-
wundeten; obschon selbst verwundet, besuchte er sie und dankte ih-

23) Diese Erzählung, die sehr oft in den alten Autoren erwähnt
wird, wäre besonders darum zweifelhaft, weil Alexander in einem,
wahrscheinlich etwas später geschriebenen Briefe (Plut. c. 23.) versichert,
nie die Gemahlin des Darius gesehen zu haben; eine Angabe des
Plut. de Curios. und Athen. XIII. p. 603. wiederholt es; doch ist die
Aechtheit dieses Briefes nicht zu verbürgen.

rung ſeines hochherzigen Charakters; ſeine Zeitgenoſſen prieſen die-
ſen, weil ſie oder ſo lange ſie jene nicht begriffen; faſt keine That
Alexanders haben ſie mehr bewundert, als dieſe Milde, wo er den
ſtolzen Sieger, dieſe Ehrerbietung, wo er den Griechen und den
König hätte zeigen können; bewunderungswürdiger als Alles ſchien
ihnen dieſe Tugend des Jünglings, daß er, diesmal größer als ſein
großes Vorbild Achilles, den ſüßeſten Preis des Sieges verſchmähete,
da doch Darius Gemahlin für die ſchönſte aller Aſiatiſchen Frauen
galt; von ihrer Schönheit auch nur zu ſprechen, wo er nahe war,
verbot er, damit auch nicht ein Wort den Gram der edlen Frau
vermehre. Gern und mit Begeiſterung erzählten ſich die Macedo-
nier von ihrem König, der, ſo menſchlich, wo er ſiegte und doppelt
ſiegreich, wenn er ſeinem Herzen folgte, ſelbſt die Feinde zu Freun-
den gewann; und manche Sage hat, wenn auch nicht den Werth
des Faktums, doch den höheren, ein Ausdruck der gerechten Be-
wunderung für den König zu ſein und zu zeigen, was man als
ſeiner würdig glaubte. So erzählte man ſich in jenen Tagen: der
König ſei, nur von ſeinem Lieblinge Hephäſtion begleitet, in das
Zelt der Fürſtinnen gekommen, dann habe die Königin Mutter,
ungewiß, wer von beiden gleich glänzend gekleideten Männern der
König ſei, ſich vor Hephäſtion, der höher von Geſtalt war, in den
Staub geworfen, nach Perſiſcher Sitte anzubeten; aber da ſie durch
Hephäſtions Zurücktreten über ihren Irrthum belehrt, in der höch-
ſten Beſtürzung ihr Leben verwirkt geglaubt, habe Alexander lä-
chelnd geſagt: „Du haſt nicht geirrt, o Mutter, auch der iſt Ale-
xander.“ Dann habe er den ſechsjährigen Knaben des Darius auf
den Arm genommen und ihn geherzt und geküßt 23). — Wie
ſehr ſolche Herzlichkeit im Sinne des jungen Königs war, zeigte
vor allen auch ſeine Sorge für die am Tage der Schlacht Ver-
wundeten; obſchon ſelbſt verwundet, beſuchte er ſie und dankte ih-

23) Dieſe Erzählung, die ſehr oft in den alten Autoren erwähnt
wird, wäre beſonders darum zweifelhaft, weil Alexander in einem,
wahrſcheinlich etwas ſpäter geſchriebenen Briefe (Plut. c. 23.) verſichert,
nie die Gemahlin des Darius geſehen zu haben; eine Angabe des
Plut. de Curios. und Athen. XIII. p. 603. wiederholt es; doch iſt die
Aechtheit dieſes Briefes nicht zu verbürgen.
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[172/0186] rung ſeines hochherzigen Charakters; ſeine Zeitgenoſſen prieſen die- ſen, weil ſie oder ſo lange ſie jene nicht begriffen; faſt keine That Alexanders haben ſie mehr bewundert, als dieſe Milde, wo er den ſtolzen Sieger, dieſe Ehrerbietung, wo er den Griechen und den König hätte zeigen können; bewunderungswürdiger als Alles ſchien ihnen dieſe Tugend des Jünglings, daß er, diesmal größer als ſein großes Vorbild Achilles, den ſüßeſten Preis des Sieges verſchmähete, da doch Darius Gemahlin für die ſchönſte aller Aſiatiſchen Frauen galt; von ihrer Schönheit auch nur zu ſprechen, wo er nahe war, verbot er, damit auch nicht ein Wort den Gram der edlen Frau vermehre. Gern und mit Begeiſterung erzählten ſich die Macedo- nier von ihrem König, der, ſo menſchlich, wo er ſiegte und doppelt ſiegreich, wenn er ſeinem Herzen folgte, ſelbſt die Feinde zu Freun- den gewann; und manche Sage hat, wenn auch nicht den Werth des Faktums, doch den höheren, ein Ausdruck der gerechten Be- wunderung für den König zu ſein und zu zeigen, was man als ſeiner würdig glaubte. So erzählte man ſich in jenen Tagen: der König ſei, nur von ſeinem Lieblinge Hephäſtion begleitet, in das Zelt der Fürſtinnen gekommen, dann habe die Königin Mutter, ungewiß, wer von beiden gleich glänzend gekleideten Männern der König ſei, ſich vor Hephäſtion, der höher von Geſtalt war, in den Staub geworfen, nach Perſiſcher Sitte anzubeten; aber da ſie durch Hephäſtions Zurücktreten über ihren Irrthum belehrt, in der höch- ſten Beſtürzung ihr Leben verwirkt geglaubt, habe Alexander lä- chelnd geſagt: „Du haſt nicht geirrt, o Mutter, auch der iſt Ale- xander.“ Dann habe er den ſechsjährigen Knaben des Darius auf den Arm genommen und ihn geherzt und geküßt 23). — Wie ſehr ſolche Herzlichkeit im Sinne des jungen Königs war, zeigte vor allen auch ſeine Sorge für die am Tage der Schlacht Ver- wundeten; obſchon ſelbſt verwundet, beſuchte er ſie und dankte ih- 23) Dieſe Erzählung, die ſehr oft in den alten Autoren erwähnt wird, wäre beſonders darum zweifelhaft, weil Alexander in einem, wahrſcheinlich etwas ſpäter geſchriebenen Briefe (Plut. c. 23.) verſichert, nie die Gemahlin des Darius geſehen zu haben; eine Angabe des Plut. de Curios. und Athen. XIII. p. 603. wiederholt es; doch iſt die Aechtheit dieſes Briefes nicht zu verbürgen.

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Zitationshilfe: Droysen, Johann Gustav: Geschichte Alexanders des Großen. Hamburg, [1833], S. 172. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/droysen_alexander_1833/186>, abgerufen am 16.04.2024.