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Droysen, Johann Gustav: Geschichte Alexanders des Großen. Hamburg, [1833].

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er von dem Bestreben seinen Völkern den Frieden zu bewahren,
zu unwürdigen und verbrecherischen Plänen gegen das Leben seines
Feindes verlockt, ohne dadurch mehr zu erreichen, als den traurigen
Trost, nicht unschuldig zu leiden. Und mit der wachsenden Gefahr
mehrte sich die Verwirrung, die Haltungslosigkeit und das Unrecht
in Allem, was er that oder versuchte; immer dunkler umzog sich die
Zukunft für das Persische Königthum und die gerechte Sache; schon
war das Thor gen Asien erbrochen, schon die reichen Satrapien der
Küste des Siegers Beute, schon die Grundfeste der Achämeniden-
pforte erschüttert. Und hätte vielleicht des Königs frommer Sinn
all den Verlust und noch größere Opfer zu ertragen und einst im
stillen Kreise der Seinen zu belächeln gelernt, so trafen die Schläge
des Schicksals die empfindlichste Stelle seines Herzens, das weniger
an Thron und Reich als an Weib und Kind zu hangen schien;
ihn sollte das größte Maaß des Schmerzes, wie er ihn em-
pfand, die Größe seines Sturzes empfinden lassen. Seine Mutter
Sisygambis, seine Kinder, seine Gemahlin Statira, die schönste
der Frauen Asiens, ihm doppelt theuer, da sie ein Kind unter dem
Herzen trug, sie waren in Alexanders Händen. Die Hälfte seines
Reiches und ungeheuere Schätze bot er dem Feinde für die Gefan-
genen, und der stolze Feind forderte Unterwerfung oder neuen
Kampf. Da mochte der Großkönig Asiens noch einmal seiner
Macht, seiner Hoheit, seines einstigen Waffenruhmes gedenken, es
mochten die Großen des Reiches und der Stolz despotischer Herr-
schaft neue Hoffnungen in ihm nähren, es mochte die Gerechtigkeit
der Selbstvertheidigung und das lockende Vielleicht einer letzten Ent-
scheidung ihn erheben, alles Menschliche und sein Verhängniß trieb
ihn, was schon verloren war, zu vergessen, die Schande von Issus
zu vergessen und die Völker von Iran und Turan aufzurufen zum
neuen Kampfe.

Um diese Zeit kam Tireus, der treue Eunuch, der gefangenen Kö-
nigin Hüter, als Flüchtling in die Hofburg von Susa und brachte
dem Könige die Trauerbotschaft, die Königin sei in den Geburts-
wehen gestorben. Da schlug sich Darius die Stirn und jammerte
laut, daß Statira todt sei, daß die Königin der Perser selbst der Ehre
des Grabes entbehren müsse. Und der Eunuch tröstete ihn: weder
im Leben noch im Tode habe es ihr der Macedonische König ver-

er von dem Beſtreben ſeinen Völkern den Frieden zu bewahren,
zu unwürdigen und verbrecheriſchen Plänen gegen das Leben ſeines
Feindes verlockt, ohne dadurch mehr zu erreichen, als den traurigen
Troſt, nicht unſchuldig zu leiden. Und mit der wachſenden Gefahr
mehrte ſich die Verwirrung, die Haltungsloſigkeit und das Unrecht
in Allem, was er that oder verſuchte; immer dunkler umzog ſich die
Zukunft für das Perſiſche Königthum und die gerechte Sache; ſchon
war das Thor gen Aſien erbrochen, ſchon die reichen Satrapien der
Küſte des Siegers Beute, ſchon die Grundfeſte der Achämeniden-
pforte erſchüttert. Und hätte vielleicht des Königs frommer Sinn
all den Verluſt und noch größere Opfer zu ertragen und einſt im
ſtillen Kreiſe der Seinen zu belächeln gelernt, ſo trafen die Schläge
des Schickſals die empfindlichſte Stelle ſeines Herzens, das weniger
an Thron und Reich als an Weib und Kind zu hangen ſchien;
ihn ſollte das größte Maaß des Schmerzes, wie er ihn em-
pfand, die Größe ſeines Sturzes empfinden laſſen. Seine Mutter
Siſygambis, ſeine Kinder, ſeine Gemahlin Statira, die ſchönſte
der Frauen Aſiens, ihm doppelt theuer, da ſie ein Kind unter dem
Herzen trug, ſie waren in Alexanders Händen. Die Hälfte ſeines
Reiches und ungeheuere Schätze bot er dem Feinde für die Gefan-
genen, und der ſtolze Feind forderte Unterwerfung oder neuen
Kampf. Da mochte der Großkönig Aſiens noch einmal ſeiner
Macht, ſeiner Hoheit, ſeines einſtigen Waffenruhmes gedenken, es
mochten die Großen des Reiches und der Stolz despotiſcher Herr-
ſchaft neue Hoffnungen in ihm nähren, es mochte die Gerechtigkeit
der Selbſtvertheidigung und das lockende Vielleicht einer letzten Ent-
ſcheidung ihn erheben, alles Menſchliche und ſein Verhängniß trieb
ihn, was ſchon verloren war, zu vergeſſen, die Schande von Iſſus
zu vergeſſen und die Völker von Iran und Turan aufzurufen zum
neuen Kampfe.

Um dieſe Zeit kam Tireus, der treue Eunuch, der gefangenen Kö-
nigin Hüter, als Flüchtling in die Hofburg von Suſa und brachte
dem Könige die Trauerbotſchaft, die Königin ſei in den Geburts-
wehen geſtorben. Da ſchlug ſich Darius die Stirn und jammerte
laut, daß Statira todt ſei, daß die Königin der Perſer ſelbſt der Ehre
des Grabes entbehren müſſe. Und der Eunuch tröſtete ihn: weder
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[206/0220] er von dem Beſtreben ſeinen Völkern den Frieden zu bewahren, zu unwürdigen und verbrecheriſchen Plänen gegen das Leben ſeines Feindes verlockt, ohne dadurch mehr zu erreichen, als den traurigen Troſt, nicht unſchuldig zu leiden. Und mit der wachſenden Gefahr mehrte ſich die Verwirrung, die Haltungsloſigkeit und das Unrecht in Allem, was er that oder verſuchte; immer dunkler umzog ſich die Zukunft für das Perſiſche Königthum und die gerechte Sache; ſchon war das Thor gen Aſien erbrochen, ſchon die reichen Satrapien der Küſte des Siegers Beute, ſchon die Grundfeſte der Achämeniden- pforte erſchüttert. Und hätte vielleicht des Königs frommer Sinn all den Verluſt und noch größere Opfer zu ertragen und einſt im ſtillen Kreiſe der Seinen zu belächeln gelernt, ſo trafen die Schläge des Schickſals die empfindlichſte Stelle ſeines Herzens, das weniger an Thron und Reich als an Weib und Kind zu hangen ſchien; ihn ſollte das größte Maaß des Schmerzes, wie er ihn em- pfand, die Größe ſeines Sturzes empfinden laſſen. Seine Mutter Siſygambis, ſeine Kinder, ſeine Gemahlin Statira, die ſchönſte der Frauen Aſiens, ihm doppelt theuer, da ſie ein Kind unter dem Herzen trug, ſie waren in Alexanders Händen. Die Hälfte ſeines Reiches und ungeheuere Schätze bot er dem Feinde für die Gefan- genen, und der ſtolze Feind forderte Unterwerfung oder neuen Kampf. Da mochte der Großkönig Aſiens noch einmal ſeiner Macht, ſeiner Hoheit, ſeines einſtigen Waffenruhmes gedenken, es mochten die Großen des Reiches und der Stolz despotiſcher Herr- ſchaft neue Hoffnungen in ihm nähren, es mochte die Gerechtigkeit der Selbſtvertheidigung und das lockende Vielleicht einer letzten Ent- ſcheidung ihn erheben, alles Menſchliche und ſein Verhängniß trieb ihn, was ſchon verloren war, zu vergeſſen, die Schande von Iſſus zu vergeſſen und die Völker von Iran und Turan aufzurufen zum neuen Kampfe. Um dieſe Zeit kam Tireus, der treue Eunuch, der gefangenen Kö- nigin Hüter, als Flüchtling in die Hofburg von Suſa und brachte dem Könige die Trauerbotſchaft, die Königin ſei in den Geburts- wehen geſtorben. Da ſchlug ſich Darius die Stirn und jammerte laut, daß Statira todt ſei, daß die Königin der Perſer ſelbſt der Ehre des Grabes entbehren müſſe. Und der Eunuch tröſtete ihn: weder im Leben noch im Tode habe es ihr der Macedoniſche König ver-

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Zitationshilfe: Droysen, Johann Gustav: Geschichte Alexanders des Großen. Hamburg, [1833], S. 206. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/droysen_alexander_1833/220>, abgerufen am 28.03.2024.