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Dühring, Eugen: Der Weg zur höheren Berufsbildung der Frauen und die Lehrweise der Universitäten. 2. Aufl. Leipzig, 1885.

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dem angehenden Docentenvolk selbstverständlich noch weit mehr
als seinen bejahrteren Protectoren an der Fähigkeit fehlt, die
Wissenschaft in freier Initiative selbständig zu formuliren oder
doch wenigstens in Gemässheit der letzten Grundwerke und aus
den bedeutendsten unmittelbaren Quellen zu redigiren. Die Pflege
der autoritären Unmündigkeit, welche schon in der ganzen gym-
nasialen Vorbildung verderblich und in den Universitätsstudien
vollends degradirend wirkte, erklärt zu einem guten Theil jene
Heftzurichtung. Uebrigens ist es aber die Macht der mittel-
alterlichen Gewohnheit, welche bei Lehrenden und Lernenden
den Heftcultus sammt Ablesen, Anhören und Nachschreiben ver-
schuldet. Wie auch der Inhalt dieser Form entspreche und wie
verzopft die Gelehrsamkeit, ja selbst die modern angefrischte
Wissenschaft dabei hervortrete, ist hier nicht möglich, im All-
gemeinen und kurz auseinanderzusetzen; wird aber wohl für den,
welcher das Uebrige durchschaut hat, keinem Zweifel unter-
liegen. Auch kann ich mich für Mathematik und Naturwissen-
schaft auf die Auseinandersetzungen berufen, die sich in der
zweiten Auflage meiner Geschichte der Mechanik in der am
Schluss angegebenen Anleitung zum Studium der mathe-
matischen Wissenschaften bezüglich der universitären Lehrweise finden.
Hiemit sind noch die Kennzeichnungen zu verbinden, die in dem
Werk "Grundmittel zur Analysis u. s. w." speciell für die
mathematischen Gelehrtenzustände und deren monströse Ent-
artungen beigebracht worden. Für die Volkswirthschaftslehre ist
Entsprechendes in der Studienanleitung am Schluss der zweiten Auf-
lage des Cursus der Nationalökonomie dargelegt worden. Die
allgemeinen Gesichtspunkte aber nebst einigen andern speciellen
Anwendungen finden sich über die universitäre Lehrweise im
Cursus der Philosophie geltend gemacht, und reformatorische
Beleuchtungen der Wissenszustände überhaupt sowie im besondern
Hinblick auf die Hindernisse der Wissensentwicklung sind in dem
Buch "Logik und Wissenschaftstheorie" nach allen Richtungen
hin vorgenommen. Auf die Ausführungen dieser Bücher muss
ich mich berufen, um für das, was ich hier im Interesse der
Frauen mehr allgemein gekennzeichnet als im Detail verfolgt
habe, die erforderliche systematische und dem wissenschaftlichen
Gesammtzusammenhang eingefügte Ergänzung voraussetzen zu
können. Die weibliche Welt muss vor allen Dingen darauf halten,
das fragliche gelehrte Unwesen nie ernstlich an sich kommen zu

dem angehenden Docentenvolk selbstverständlich noch weit mehr
als seinen bejahrteren Protectoren an der Fähigkeit fehlt, die
Wissenschaft in freier Initiative selbständig zu formuliren oder
doch wenigstens in Gemässheit der letzten Grundwerke und aus
den bedeutendsten unmittelbaren Quellen zu redigiren. Die Pflege
der autoritären Unmündigkeit, welche schon in der ganzen gym-
nasialen Vorbildung verderblich und in den Universitätsstudien
vollends degradirend wirkte, erklärt zu einem guten Theil jene
Heftzurichtung. Uebrigens ist es aber die Macht der mittel-
alterlichen Gewohnheit, welche bei Lehrenden und Lernenden
den Heftcultus sammt Ablesen, Anhören und Nachschreiben ver-
schuldet. Wie auch der Inhalt dieser Form entspreche und wie
verzopft die Gelehrsamkeit, ja selbst die modern angefrischte
Wissenschaft dabei hervortrete, ist hier nicht möglich, im All-
gemeinen und kurz auseinanderzusetzen; wird aber wohl für den,
welcher das Uebrige durchschaut hat, keinem Zweifel unter-
liegen. Auch kann ich mich für Mathematik und Naturwissen-
schaft auf die Auseinandersetzungen berufen, die sich in der
zweiten Auflage meiner Geschichte der Mechanik in der am
Schluss angegebenen Anleitung zum Studium der mathe-
matischen Wissenschaften bezüglich der universitären Lehrweise finden.
Hiemit sind noch die Kennzeichnungen zu verbinden, die in dem
Werk „Grundmittel zur Analysis u. s. w.“ speciell für die
mathematischen Gelehrtenzustände und deren monströse Ent-
artungen beigebracht worden. Für die Volkswirthschaftslehre ist
Entsprechendes in der Studienanleitung am Schluss der zweiten Auf-
lage des Cursus der Nationalökonomie dargelegt worden. Die
allgemeinen Gesichtspunkte aber nebst einigen andern speciellen
Anwendungen finden sich über die universitäre Lehrweise im
Cursus der Philosophie geltend gemacht, und reformatorische
Beleuchtungen der Wissenszustände überhaupt sowie im besondern
Hinblick auf die Hindernisse der Wissensentwicklung sind in dem
Buch „Logik und Wissenschaftstheorie“ nach allen Richtungen
hin vorgenommen. Auf die Ausführungen dieser Bücher muss
ich mich berufen, um für das, was ich hier im Interesse der
Frauen mehr allgemein gekennzeichnet als im Detail verfolgt
habe, die erforderliche systematische und dem wissenschaftlichen
Gesammtzusammenhang eingefügte Ergänzung voraussetzen zu
können. Die weibliche Welt muss vor allen Dingen darauf halten,
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[52/0061] dem angehenden Docentenvolk selbstverständlich noch weit mehr als seinen bejahrteren Protectoren an der Fähigkeit fehlt, die Wissenschaft in freier Initiative selbständig zu formuliren oder doch wenigstens in Gemässheit der letzten Grundwerke und aus den bedeutendsten unmittelbaren Quellen zu redigiren. Die Pflege der autoritären Unmündigkeit, welche schon in der ganzen gym- nasialen Vorbildung verderblich und in den Universitätsstudien vollends degradirend wirkte, erklärt zu einem guten Theil jene Heftzurichtung. Uebrigens ist es aber die Macht der mittel- alterlichen Gewohnheit, welche bei Lehrenden und Lernenden den Heftcultus sammt Ablesen, Anhören und Nachschreiben ver- schuldet. Wie auch der Inhalt dieser Form entspreche und wie verzopft die Gelehrsamkeit, ja selbst die modern angefrischte Wissenschaft dabei hervortrete, ist hier nicht möglich, im All- gemeinen und kurz auseinanderzusetzen; wird aber wohl für den, welcher das Uebrige durchschaut hat, keinem Zweifel unter- liegen. Auch kann ich mich für Mathematik und Naturwissen- schaft auf die Auseinandersetzungen berufen, die sich in der zweiten Auflage meiner Geschichte der Mechanik in der am Schluss angegebenen Anleitung zum Studium der mathe- matischen Wissenschaften bezüglich der universitären Lehrweise finden. Hiemit sind noch die Kennzeichnungen zu verbinden, die in dem Werk „Grundmittel zur Analysis u. s. w.“ speciell für die mathematischen Gelehrtenzustände und deren monströse Ent- artungen beigebracht worden. Für die Volkswirthschaftslehre ist Entsprechendes in der Studienanleitung am Schluss der zweiten Auf- lage des Cursus der Nationalökonomie dargelegt worden. Die allgemeinen Gesichtspunkte aber nebst einigen andern speciellen Anwendungen finden sich über die universitäre Lehrweise im Cursus der Philosophie geltend gemacht, und reformatorische Beleuchtungen der Wissenszustände überhaupt sowie im besondern Hinblick auf die Hindernisse der Wissensentwicklung sind in dem Buch „Logik und Wissenschaftstheorie“ nach allen Richtungen hin vorgenommen. Auf die Ausführungen dieser Bücher muss ich mich berufen, um für das, was ich hier im Interesse der Frauen mehr allgemein gekennzeichnet als im Detail verfolgt habe, die erforderliche systematische und dem wissenschaftlichen Gesammtzusammenhang eingefügte Ergänzung voraussetzen zu können. Die weibliche Welt muss vor allen Dingen darauf halten, das fragliche gelehrte Unwesen nie ernstlich an sich kommen zu

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Zitationshilfe: Dühring, Eugen: Der Weg zur höheren Berufsbildung der Frauen und die Lehrweise der Universitäten. 2. Aufl. Leipzig, 1885, S. 52. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/duehring_berufsbildung_1885/61>, abgerufen am 19.04.2024.