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Dullo, Alice: Krone oder Fundament? In: Die Frauenbewegung (1906), Heft 7. S. 49–50.

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ins Gesicht eines aufgeklärten, freigeistigen Zeitalters! -
durchgehen, wenn wir in Preußen das allgemeine, gleiche,
geheime und direkte Wahlrecht hätten?! -

Wir Frauen vergeuden unsere besten Kräfte in halb-
ohnmächtigen Kämpfen um Mädchengymnasien, um einheitliches
Vereinsrecht, um bestimmte Aenderungen in Ehe- und Strafrecht,
um ausgedehnteren Arbeiterinnenschutz, um Zulassung zur
Schulinspektion und anderen Aemtern, die sich konsequent aus den
modernen weiblicher Leistungen ergeben. Unsere Petitionen füllen
die Papierkörbe, unsere Wünsche verhallen; unsere rasch
vorwärtsströmende Entwicklung stößt sich wund an der
Rückständigkeit der Gesetze. Wie viel schneller, sicherer und
gesünder, wenn auch nicht ohne Kampf, würde sich der ganze
Aufbau der Frauenrechte vollenden, wenn wir die Gesetzgebung
direkt beeinflussen dürften. Erst dann wird sich unsere
Würdigung als den Männern gleichwertige Staatsbürger
durchsetzen können. - Wer aber warten will, bis die Frauen
zum Gebrauch der Freiheit reif sein werden, der gleicht, nach
jener antiken Erzählung "jener Narren, die sich verschworen,
nicht eher ins Wasser zu gehen, als bis sie schwimmen
gelernt hätten".

Also A und O unserer Bestrebungen muß sein: politisches
Wahlrecht der Frauen! Heute müssen wir daran gehen, um
morgen an die Erreichung unserer vielen einzelnen Wünsche
zu gehen. Unser Schluß heißt also: Das Wahlrecht ist
das Fundament des Gebäudes; alle Einzelrechte
bauen sich auf der Beeinflussung der Gesetzgebung
auf; also muß das Streben nach allgemeinem gleichen
Wahlrecht der Hebel jeder sozialen Bewegung sein.

Und die Krönung dieses Gebäudes? - Das wird die
hochentwickelte, dem Manne in jeder Beziehung ebenbürtige
Frau sein, die mit ihm Hand in Hand an der Hebung der
Nation mitarbeitet; das werden ferner Fortschritte und
Perspektiven sein, wie sie gerade die weibliche Psyche in ihrer
Eigenart fördern wird; das wird endlich eine Einheitlichkeit,
eine geistige Harmonie im Staat und Familie sein, die, nicht
zerrissen durch die Kluft zwischen den Geschlechtern, der
nationalen Kultur zum rechten Adel gereichen wird.

Noch ein Wort zum Schluß: Jch meine, wir Frauen
müßten alle die Worte des oben genannten Artikels unter-
schreiben: Wenn die Ablehnung des Frauenstimmrechts als
Aeußerungen der Partei Anerkennung finden sollten, so wird
es den einzelnen Mitgliedern des Deutschen Verbandes für Frauen-
stimmrecht unmöglich gemacht, der freisinnigen Volks-
partei künftig noch anzugehören. Es hieße dies ja sich selbst
untreu werden, sich selbst mit seinen Grundsätzen verneinen.
Je mehr die "freisinnige Volkspartei" sich von ihrem
eigenen Lebenskern, von konsequenten Freisinn und wahrer
Demokratie entfernt, wie sie es doch z. B. mit obiger
Aeußerung tut, je weniger sie die kommenden Strömungen
versteht, - desto mehr werden sich diese starken, vorwärts-
drängenden Strömungen von ihr entfernen. Die Arbeiter in
ihrer Mehrheit hat sie verloren; sie wird auch noch die
Frauen von sich stoßen.

Wir Frauen verlangen von den Vertretern der frei-
sinnigen Volkspartei Aufschluß darüber, ob die Partei das
Frauenstimmrecht anerkennt und ob sie künftighin für dasselbe
offiziell eintreten wird oder nicht. Je nachdem werden wir
unsere Stellung zu dieser Partei zu bestimmen haben.



Anm. der Redaktion. Den obigen treffenden Ausführungen
möchten wir noch einiges hinzufügen, nämlich unserer Ver-
wunderung darüber Ausdruck geben, daß auf der ersten Tagung
des "Verbandes der Westpreußischen Frauenvereine", die kürzlich
in Danzig stattfand, die Frauenstimmrechtsfrage so reaktionär
behandelt worden ist. Frau Eichholz-Hamburg, Vorsitzende des
Verbandes norddeutscher Frauenvereine, Frau Helbfeld-Danzig,
Vorsitzende des Vereins Frauenwohl-Danzig, Fräulein Meyer-
Danzig, Vorsitzende des neuen Westpreußischen Verbandes, Frau
Quitt vom Frauenwohl-Danzig, haben sich, einem Bericht
des "Geselligen" vom 17. März nach, dahin ausgesprochen, das
Frauenstimmrecht dürfe erst in 10-80 Jahren gefordert werden,
die Frauen seien noch nicht reif dafür etc. Wenn diese Frauen
sich noch nicht für reif halten, so protestieren wir im Namen der[Spaltenumbruch] Frauenbewegung dagegen, daß sie dies für alle Frauen aus-
sprechen.

Auf der Generalversammlung des Bundes Deutscher Frauen-
vereine in Wiesbaden im Jahre 1902 wurde auf eine Jnter-
pellation der Fortschrittlichen Frauenvereine hin die folgende
Resolution einstimmig angenommen:

"Es ist dringend zu wünschen, daß die Bundesvereine das
Verständnis für den Gedanken des Frauenstimmrechts nach Kräften
fördern, weil alle Bestrebungen des Bundes erst durch das Frauen-
stimmrecht eines dauernden Erfolges sicher sind."

Die genannten Frauen und die von ihnen vertretenen
Vereine gehören zum Bunde Deutscher Frauenvereine. Resolu-
tionen und Beschlüsse sind dazu da, erfüllt zu werden. Wir
äußern daher unser Befremden, daß die Resolutionen des Bundes
von diesen Bundesangehörigen so wenig respektiert werden.



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ins Gesicht eines aufgeklärten, freigeistigen Zeitalters! –
durchgehen, wenn wir in Preußen das allgemeine, gleiche,
geheime und direkte Wahlrecht hätten?! –

Wir Frauen vergeuden unsere besten Kräfte in halb-
ohnmächtigen Kämpfen um Mädchengymnasien, um einheitliches
Vereinsrecht, um bestimmte Aenderungen in Ehe- und Strafrecht,
um ausgedehnteren Arbeiterinnenschutz, um Zulassung zur
Schulinspektion und anderen Aemtern, die sich konsequent aus den
modernen weiblicher Leistungen ergeben. Unsere Petitionen füllen
die Papierkörbe, unsere Wünsche verhallen; unsere rasch
vorwärtsströmende Entwicklung stößt sich wund an der
Rückständigkeit der Gesetze. Wie viel schneller, sicherer und
gesünder, wenn auch nicht ohne Kampf, würde sich der ganze
Aufbau der Frauenrechte vollenden, wenn wir die Gesetzgebung
direkt beeinflussen dürften. Erst dann wird sich unsere
Würdigung als den Männern gleichwertige Staatsbürger
durchsetzen können. – Wer aber warten will, bis die Frauen
zum Gebrauch der Freiheit reif sein werden, der gleicht, nach
jener antiken Erzählung „jener Narren, die sich verschworen,
nicht eher ins Wasser zu gehen, als bis sie schwimmen
gelernt hätten“.

Also A und O unserer Bestrebungen muß sein: politisches
Wahlrecht der Frauen! Heute müssen wir daran gehen, um
morgen an die Erreichung unserer vielen einzelnen Wünsche
zu gehen. Unser Schluß heißt also: Das Wahlrecht ist
das Fundament des Gebäudes; alle Einzelrechte
bauen sich auf der Beeinflussung der Gesetzgebung
auf; also muß das Streben nach allgemeinem gleichen
Wahlrecht der Hebel jeder sozialen Bewegung sein.

Und die Krönung dieses Gebäudes? – Das wird die
hochentwickelte, dem Manne in jeder Beziehung ebenbürtige
Frau sein, die mit ihm Hand in Hand an der Hebung der
Nation mitarbeitet; das werden ferner Fortschritte und
Perspektiven sein, wie sie gerade die weibliche Psyche in ihrer
Eigenart fördern wird; das wird endlich eine Einheitlichkeit,
eine geistige Harmonie im Staat und Familie sein, die, nicht
zerrissen durch die Kluft zwischen den Geschlechtern, der
nationalen Kultur zum rechten Adel gereichen wird.

Noch ein Wort zum Schluß: Jch meine, wir Frauen
müßten alle die Worte des oben genannten Artikels unter-
schreiben: Wenn die Ablehnung des Frauenstimmrechts als
Aeußerungen der Partei Anerkennung finden sollten, so wird
es den einzelnen Mitgliedern des Deutschen Verbandes für Frauen-
stimmrecht unmöglich gemacht, der freisinnigen Volks-
partei künftig noch anzugehören. Es hieße dies ja sich selbst
untreu werden, sich selbst mit seinen Grundsätzen verneinen.
Je mehr die „freisinnige Volkspartei“ sich von ihrem
eigenen Lebenskern, von konsequenten Freisinn und wahrer
Demokratie entfernt, wie sie es doch z. B. mit obiger
Aeußerung tut, je weniger sie die kommenden Strömungen
versteht, – desto mehr werden sich diese starken, vorwärts-
drängenden Strömungen von ihr entfernen. Die Arbeiter in
ihrer Mehrheit hat sie verloren; sie wird auch noch die
Frauen von sich stoßen.

Wir Frauen verlangen von den Vertretern der frei-
sinnigen Volkspartei Aufschluß darüber, ob die Partei das
Frauenstimmrecht anerkennt und ob sie künftighin für dasselbe
offiziell eintreten wird oder nicht. Je nachdem werden wir
unsere Stellung zu dieser Partei zu bestimmen haben.



Anm. der Redaktion. Den obigen treffenden Ausführungen
möchten wir noch einiges hinzufügen, nämlich unserer Ver-
wunderung darüber Ausdruck geben, daß auf der ersten Tagung
des „Verbandes der Westpreußischen Frauenvereine“, die kürzlich
in Danzig stattfand, die Frauenstimmrechtsfrage so reaktionär
behandelt worden ist. Frau Eichholz-Hamburg, Vorsitzende des
Verbandes norddeutscher Frauenvereine, Frau Helbfeld-Danzig,
Vorsitzende des Vereins Frauenwohl-Danzig, Fräulein Meyer-
Danzig, Vorsitzende des neuen Westpreußischen Verbandes, Frau
Quitt vom Frauenwohl-Danzig, haben sich, einem Bericht
des „Geselligen“ vom 17. März nach, dahin ausgesprochen, das
Frauenstimmrecht dürfe erst in 10-80 Jahren gefordert werden,
die Frauen seien noch nicht reif dafür ꝛc. Wenn diese Frauen
sich noch nicht für reif halten, so protestieren wir im Namen der[Spaltenumbruch] Frauenbewegung dagegen, daß sie dies für alle Frauen aus-
sprechen.

Auf der Generalversammlung des Bundes Deutscher Frauen-
vereine in Wiesbaden im Jahre 1902 wurde auf eine Jnter-
pellation der Fortschrittlichen Frauenvereine hin die folgende
Resolution einstimmig angenommen:

„Es ist dringend zu wünschen, daß die Bundesvereine das
Verständnis für den Gedanken des Frauenstimmrechts nach Kräften
fördern, weil alle Bestrebungen des Bundes erst durch das Frauen-
stimmrecht eines dauernden Erfolges sicher sind.“

Die genannten Frauen und die von ihnen vertretenen
Vereine gehören zum Bunde Deutscher Frauenvereine. Resolu-
tionen und Beschlüsse sind dazu da, erfüllt zu werden. Wir
äußern daher unser Befremden, daß die Resolutionen des Bundes
von diesen Bundesangehörigen so wenig respektiert werden.



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Zitationshilfe: Dullo, Alice: Krone oder Fundament? In: Die Frauenbewegung (1906), Heft 7. S. 49–50, S. 50. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dullo_krone_1906/2>, abgerufen am 18.04.2024.