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Ebbinghaus, Hermann: Über das Gedächtnis. Leipzig, 1885.

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konnte ich mich direkt vergewissern, dass durch Ausschluss
jedes Wissens der Charakter der Resultate keine Verände-
rung erlitt; wo, in einem anderen Falle, ich selbst einen Zweifel
nicht ausschliessen konnte, habe ich ihn ausdrücklich hervor-
gehoben. Jedenfalls wird derjenige, der a priori geneigt ist,
den unwillkürlichen Einfluss geheimer Wünsche auf die geistige
Gesamthaltung sehr hoch zu veranschlagen, billigerweise auch
berücksichtigen müssen, dass der geheime Wunsch, sachliche
Wahrheiten zu finden und nicht mit unverhältnismässiger
Mühe Geschöpfe der eigenen Phantasie auf thönerne Füsse zu
setzen, in dem verwickelten Getriebe jener möglichen Beein-
flussungen ebenfalls eine Stelle beanspruchen darf.

§ 15.
Messung der gebrauchten Arbeit.

Die Anzahl der Wiederholungen, welche für das Aus-
wendiglernen einer Reihe bis zur erstmöglichen Repro-
duktion erforderlich war, bestimmte ich ursprünglich nicht
direkt durch Nachzählen derselben, sondern indirekt durch
Messung der Zeit in Sekunden, welche für das Lernen ge-
braucht wurde. Ich wollte so die mit dem Nachzählen even-
tuell verbundene Zerstreuung vermeiden und konnte ja andrer-
seits voraussetzen, dass Proportionalität bestehen würde zwi-
schen den Zeiten und der jedesmaligen Anzahl der in be-
stimmtem Rhythmus geschehenden Wiederholungen. Als eine
ganz genaue kann man diese Proportionalität freilich von vorn-
herein nicht erwarten, da bei der Messung der Zeit die
Momente des Stockens und Besinnens mitgemessen werden,
bei dem Zählen der Wiederholungen nicht. Schwierige Reihen,
bei denen ja die Stockungen relativ häufiger sein werden,

konnte ich mich direkt vergewissern, daſs durch Ausschluſs
jedes Wissens der Charakter der Resultate keine Verände-
rung erlitt; wo, in einem anderen Falle, ich selbst einen Zweifel
nicht ausschlieſsen konnte, habe ich ihn ausdrücklich hervor-
gehoben. Jedenfalls wird derjenige, der a priori geneigt ist,
den unwillkürlichen Einfluſs geheimer Wünsche auf die geistige
Gesamthaltung sehr hoch zu veranschlagen, billigerweise auch
berücksichtigen müssen, daſs der geheime Wunsch, sachliche
Wahrheiten zu finden und nicht mit unverhältnismäſsiger
Mühe Geschöpfe der eigenen Phantasie auf thönerne Füſse zu
setzen, in dem verwickelten Getriebe jener möglichen Beein-
flussungen ebenfalls eine Stelle beanspruchen darf.

§ 15.
Messung der gebrauchten Arbeit.

Die Anzahl der Wiederholungen, welche für das Aus-
wendiglernen einer Reihe bis zur erstmöglichen Repro-
duktion erforderlich war, bestimmte ich ursprünglich nicht
direkt durch Nachzählen derselben, sondern indirekt durch
Messung der Zeit in Sekunden, welche für das Lernen ge-
braucht wurde. Ich wollte so die mit dem Nachzählen even-
tuell verbundene Zerstreuung vermeiden und konnte ja andrer-
seits voraussetzen, daſs Proportionalität bestehen würde zwi-
schen den Zeiten und der jedesmaligen Anzahl der in be-
stimmtem Rhythmus geschehenden Wiederholungen. Als eine
ganz genaue kann man diese Proportionalität freilich von vorn-
herein nicht erwarten, da bei der Messung der Zeit die
Momente des Stockens und Besinnens mitgemessen werden,
bei dem Zählen der Wiederholungen nicht. Schwierige Reihen,
bei denen ja die Stockungen relativ häufiger sein werden,

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[41/0057] konnte ich mich direkt vergewissern, daſs durch Ausschluſs jedes Wissens der Charakter der Resultate keine Verände- rung erlitt; wo, in einem anderen Falle, ich selbst einen Zweifel nicht ausschlieſsen konnte, habe ich ihn ausdrücklich hervor- gehoben. Jedenfalls wird derjenige, der a priori geneigt ist, den unwillkürlichen Einfluſs geheimer Wünsche auf die geistige Gesamthaltung sehr hoch zu veranschlagen, billigerweise auch berücksichtigen müssen, daſs der geheime Wunsch, sachliche Wahrheiten zu finden und nicht mit unverhältnismäſsiger Mühe Geschöpfe der eigenen Phantasie auf thönerne Füſse zu setzen, in dem verwickelten Getriebe jener möglichen Beein- flussungen ebenfalls eine Stelle beanspruchen darf. § 15. Messung der gebrauchten Arbeit. Die Anzahl der Wiederholungen, welche für das Aus- wendiglernen einer Reihe bis zur erstmöglichen Repro- duktion erforderlich war, bestimmte ich ursprünglich nicht direkt durch Nachzählen derselben, sondern indirekt durch Messung der Zeit in Sekunden, welche für das Lernen ge- braucht wurde. Ich wollte so die mit dem Nachzählen even- tuell verbundene Zerstreuung vermeiden und konnte ja andrer- seits voraussetzen, daſs Proportionalität bestehen würde zwi- schen den Zeiten und der jedesmaligen Anzahl der in be- stimmtem Rhythmus geschehenden Wiederholungen. Als eine ganz genaue kann man diese Proportionalität freilich von vorn- herein nicht erwarten, da bei der Messung der Zeit die Momente des Stockens und Besinnens mitgemessen werden, bei dem Zählen der Wiederholungen nicht. Schwierige Reihen, bei denen ja die Stockungen relativ häufiger sein werden,

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Zitationshilfe: Ebbinghaus, Hermann: Über das Gedächtnis. Leipzig, 1885, S. 41. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ebbinghaus_gedaechtnis_1885/57>, abgerufen am 23.04.2024.