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Ebbinghaus, Hermann: Über das Gedächtnis. Leipzig, 1885.

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Als ich an die Versuche herantrat, hatte ich keine ent-
schiedene Meinung zu gunsten des schliesslichen Resultats.
Eine Arbeitserleichterung für das Lernen der abgeleiteten
Reihen fand ich nicht wesentlich plausibler als das Gegenteil.
Erst allmählich, nachdem mehr und mehr Zahlen für das
Bestehen einer solchen Arbeitserleichterung sprachen, erschien
mir diese auch als das Richtigere und Naturgemässe. Man
könnte nun denken, nach dem oben (S. 38 f.) Auseinander-
gesetzten, diese Vorstellung habe bei den noch übrigen Ver-
suchen möglicherweise ein aufmerksameres und deshalb schnel-
leres Lernen der abgeleiteten Reihen begünstigt und so die
resultierenden Arbeitsersparnisse, wenn nicht überhaupt ver-
anlasst, so doch mindestens sehr verstärkt.

Für die drei grössten der gefundenen Zahlen, also für
die Arbeitserleichterungen, die sich beim Überspringen von
1, 2 und 3 Zwischengliedern herausstellten, ist dieser Einwand
von geringer Erheblichkeit. Denn diese sind verhältnismässig
so bedeutend, dass man einer unwillkürlichen Anspannung der
willkürlich ohnedies möglichst koncentrierten Aufmerksamkeit
(S. 34, 5) zuviel beimessen würde, wenn man ihr hier einen
wesentlichen Einfluss zuschriebe. Ausserdem aber und nament-
lich würde dadurch die aus den hin- und herfallenden Einzel-
werten schliesslich hervorgehende Abstufung der Zahlen, par-
allel der Anzahl der übersprungenen Zwischenglieder, geradezu
unbegreiflich werden. Denn die vorausgesetzte grössere An-
spannung der Aufmerksamkeit könnte offenbar nur ganz im
allgemeinen wirken. Wie sollte sie es vermögen, noch dazu
für Versuche, die durch Wochen und Monate von einander
getrennt waren, eine so regelmässige Stufenfolge der Zahlen
hervorzubringen?

Einigermassen zweifelhaft durch das angeführte Bedenken
wird nur allerdings das vierte Resultat, die verhältnismässig

Als ich an die Versuche herantrat, hatte ich keine ent-
schiedene Meinung zu gunsten des schlieſslichen Resultats.
Eine Arbeitserleichterung für das Lernen der abgeleiteten
Reihen fand ich nicht wesentlich plausibler als das Gegenteil.
Erst allmählich, nachdem mehr und mehr Zahlen für das
Bestehen einer solchen Arbeitserleichterung sprachen, erschien
mir diese auch als das Richtigere und Naturgemäſse. Man
könnte nun denken, nach dem oben (S. 38 f.) Auseinander-
gesetzten, diese Vorstellung habe bei den noch übrigen Ver-
suchen möglicherweise ein aufmerksameres und deshalb schnel-
leres Lernen der abgeleiteten Reihen begünstigt und so die
resultierenden Arbeitsersparnisse, wenn nicht überhaupt ver-
anlaſst, so doch mindestens sehr verstärkt.

Für die drei gröſsten der gefundenen Zahlen, also für
die Arbeitserleichterungen, die sich beim Überspringen von
1, 2 und 3 Zwischengliedern herausstellten, ist dieser Einwand
von geringer Erheblichkeit. Denn diese sind verhältnismäſsig
so bedeutend, daſs man einer unwillkürlichen Anspannung der
willkürlich ohnedies möglichst koncentrierten Aufmerksamkeit
(S. 34, 5) zuviel beimessen würde, wenn man ihr hier einen
wesentlichen Einfluſs zuschriebe. Auſserdem aber und nament-
lich würde dadurch die aus den hin- und herfallenden Einzel-
werten schlieſslich hervorgehende Abstufung der Zahlen, par-
allel der Anzahl der übersprungenen Zwischenglieder, geradezu
unbegreiflich werden. Denn die vorausgesetzte gröſsere An-
spannung der Aufmerksamkeit könnte offenbar nur ganz im
allgemeinen wirken. Wie sollte sie es vermögen, noch dazu
für Versuche, die durch Wochen und Monate von einander
getrennt waren, eine so regelmäſsige Stufenfolge der Zahlen
hervorzubringen?

Einigermaſsen zweifelhaft durch das angeführte Bedenken
wird nur allerdings das vierte Resultat, die verhältnismäſsig

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[140/0156] Als ich an die Versuche herantrat, hatte ich keine ent- schiedene Meinung zu gunsten des schlieſslichen Resultats. Eine Arbeitserleichterung für das Lernen der abgeleiteten Reihen fand ich nicht wesentlich plausibler als das Gegenteil. Erst allmählich, nachdem mehr und mehr Zahlen für das Bestehen einer solchen Arbeitserleichterung sprachen, erschien mir diese auch als das Richtigere und Naturgemäſse. Man könnte nun denken, nach dem oben (S. 38 f.) Auseinander- gesetzten, diese Vorstellung habe bei den noch übrigen Ver- suchen möglicherweise ein aufmerksameres und deshalb schnel- leres Lernen der abgeleiteten Reihen begünstigt und so die resultierenden Arbeitsersparnisse, wenn nicht überhaupt ver- anlaſst, so doch mindestens sehr verstärkt. Für die drei gröſsten der gefundenen Zahlen, also für die Arbeitserleichterungen, die sich beim Überspringen von 1, 2 und 3 Zwischengliedern herausstellten, ist dieser Einwand von geringer Erheblichkeit. Denn diese sind verhältnismäſsig so bedeutend, daſs man einer unwillkürlichen Anspannung der willkürlich ohnedies möglichst koncentrierten Aufmerksamkeit (S. 34, 5) zuviel beimessen würde, wenn man ihr hier einen wesentlichen Einfluſs zuschriebe. Auſserdem aber und nament- lich würde dadurch die aus den hin- und herfallenden Einzel- werten schlieſslich hervorgehende Abstufung der Zahlen, par- allel der Anzahl der übersprungenen Zwischenglieder, geradezu unbegreiflich werden. Denn die vorausgesetzte gröſsere An- spannung der Aufmerksamkeit könnte offenbar nur ganz im allgemeinen wirken. Wie sollte sie es vermögen, noch dazu für Versuche, die durch Wochen und Monate von einander getrennt waren, eine so regelmäſsige Stufenfolge der Zahlen hervorzubringen? Einigermaſsen zweifelhaft durch das angeführte Bedenken wird nur allerdings das vierte Resultat, die verhältnismäſsig

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Zitationshilfe: Ebbinghaus, Hermann: Über das Gedächtnis. Leipzig, 1885, S. 140. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ebbinghaus_gedaechtnis_1885/156>, abgerufen am 25.04.2024.