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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 1. Leipzig, 1836.

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deutenden Moment, entweder wir haben in diesem
Augenblick ein Erdbeben, oder wir bekommen eins."
Und nun mußte ich mich zu ihm aufs Bette setzen und
er demonstrirte mir, aus welchen Merkmalen er das
abnehme."

Ich fragte den guten Alten, was es für Wetter
gewesen.

"Es war sehr wolkig, sagte er, und dabey regte
sich kein Lüftchen, es war sehr still und schwül."

Ich fragte ihn, ob er denn Goethen jenen Ausspruch
sogleich aufs Wort geglaubt habe.

"Ja, sagte er, ich glaubte ihm aufs Wort, denn
was er vorhersagte, war immer richtig. Am nächsten
Tage, fuhr er fort, erzählte mein Herr seine Beobach¬
tungen bey Hofe, wobey eine Dame ihrer Nachbarin
ins Ohr flisterte: "Höre! Goethe schwärmt!" Der Her¬
zog aber und die übrigen Männer glaubten an Goethe,
und es wies sich auch bald aus, daß er recht gesehen;
denn nach einigen Wochen kam die Nachricht, daß in
derselbigen Nacht ein Theil von Messina durch ein Erd¬
beben zerstört worden."


Gegen Abend sendete Goethe mir eine Einladung,
ihn zu besuchen. Humboldt sey an Hof und ich würde

deutenden Moment, entweder wir haben in dieſem
Augenblick ein Erdbeben, oder wir bekommen eins.“
Und nun mußte ich mich zu ihm aufs Bette ſetzen und
er demonſtrirte mir, aus welchen Merkmalen er das
abnehme.“

Ich fragte den guten Alten, was es fuͤr Wetter
geweſen.

„Es war ſehr wolkig, ſagte er, und dabey regte
ſich kein Luͤftchen, es war ſehr ſtill und ſchwuͤl.“

Ich fragte ihn, ob er denn Goethen jenen Ausſpruch
ſogleich aufs Wort geglaubt habe.

„Ja, ſagte er, ich glaubte ihm aufs Wort, denn
was er vorherſagte, war immer richtig. Am naͤchſten
Tage, fuhr er fort, erzaͤhlte mein Herr ſeine Beobach¬
tungen bey Hofe, wobey eine Dame ihrer Nachbarin
ins Ohr fliſterte: „Hoͤre! Goethe ſchwaͤrmt!“ Der Her¬
zog aber und die uͤbrigen Maͤnner glaubten an Goethe,
und es wies ſich auch bald aus, daß er recht geſehen;
denn nach einigen Wochen kam die Nachricht, daß in
derſelbigen Nacht ein Theil von Meſſina durch ein Erd¬
beben zerſtoͤrt worden.“


Gegen Abend ſendete Goethe mir eine Einladung,
ihn zu beſuchen. Humboldt ſey an Hof und ich wuͤrde

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[86/0106] deutenden Moment, entweder wir haben in dieſem Augenblick ein Erdbeben, oder wir bekommen eins.“ Und nun mußte ich mich zu ihm aufs Bette ſetzen und er demonſtrirte mir, aus welchen Merkmalen er das abnehme.“ Ich fragte den guten Alten, was es fuͤr Wetter geweſen. „Es war ſehr wolkig, ſagte er, und dabey regte ſich kein Luͤftchen, es war ſehr ſtill und ſchwuͤl.“ Ich fragte ihn, ob er denn Goethen jenen Ausſpruch ſogleich aufs Wort geglaubt habe. „Ja, ſagte er, ich glaubte ihm aufs Wort, denn was er vorherſagte, war immer richtig. Am naͤchſten Tage, fuhr er fort, erzaͤhlte mein Herr ſeine Beobach¬ tungen bey Hofe, wobey eine Dame ihrer Nachbarin ins Ohr fliſterte: „Hoͤre! Goethe ſchwaͤrmt!“ Der Her¬ zog aber und die uͤbrigen Maͤnner glaubten an Goethe, und es wies ſich auch bald aus, daß er recht geſehen; denn nach einigen Wochen kam die Nachricht, daß in derſelbigen Nacht ein Theil von Meſſina durch ein Erd¬ beben zerſtoͤrt worden.“ Freitag den 14. November 1823. Gegen Abend ſendete Goethe mir eine Einladung, ihn zu beſuchen. Humboldt ſey an Hof und ich wuͤrde

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Zitationshilfe: Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 1. Leipzig, 1836, S. 86. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe01_1836/106>, abgerufen am 29.03.2024.