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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 1. Leipzig, 1836.

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von meinem Bein und Fleisch von meinem Fleisch, und
es war schon etwas damit zu machen."

"Beym Werther und Faust mußte ich dagegen
wieder in meinen eigenen Busen greifen, denn das
Überlieferte war nicht weit her. Das Teufels- und
Hexen-Wesen machte ich nur einmal; ich war froh,
mein nordisches Erbtheil verzehrt zu haben und wandte
mich zu den Tischen der Griechen. Hätte ich aber so
deutlich wie jetzt gewußt, wie viel Vortreffliches seit
Jahrhunderten und Jahrtausenden da ist, ich hätte keine
Zeile geschrieben, sondern etwas anderes gethan."


Goethe war heute bey Tisch in der heitersten, herz¬
lichsten Stimmung. Ein ihm sehr werthes Blatt war
ihm heute zugekommen, nämlich Lord Byrons Hand¬
schrift der Dedication seines Sardanapal. Er zeigte sie
uns zum Nachtisch, indem er zugleich seine Tochter
quälte, ihm Byrons Brief aus Genua wieder zu geben.
"Du siehst, liebes Kind, sagte er, ich habe jetzt alles
beysammen, was auf mein Verhältniß zu Byron Bezug
hat, selbst dieses merkwürdige Blatt gelangt heute wun¬
derbarer Weise zu mir und es fehlt mir nun weiter
nichts als jener[ ]Brief."

Die liebenswürdige Verehrerin von Byron wollte

von meinem Bein und Fleiſch von meinem Fleiſch, und
es war ſchon etwas damit zu machen.“

„Beym Werther und Fauſt mußte ich dagegen
wieder in meinen eigenen Buſen greifen, denn das
Überlieferte war nicht weit her. Das Teufels- und
Hexen-Weſen machte ich nur einmal; ich war froh,
mein nordiſches Erbtheil verzehrt zu haben und wandte
mich zu den Tiſchen der Griechen. Haͤtte ich aber ſo
deutlich wie jetzt gewußt, wie viel Vortreffliches ſeit
Jahrhunderten und Jahrtauſenden da iſt, ich haͤtte keine
Zeile geſchrieben, ſondern etwas anderes gethan.“


Goethe war heute bey Tiſch in der heiterſten, herz¬
lichſten Stimmung. Ein ihm ſehr werthes Blatt war
ihm heute zugekommen, naͤmlich Lord Byrons Hand¬
ſchrift der Dedication ſeines Sardanapal. Er zeigte ſie
uns zum Nachtiſch, indem er zugleich ſeine Tochter
quaͤlte, ihm Byrons Brief aus Genua wieder zu geben.
„Du ſiehſt, liebes Kind, ſagte er, ich habe jetzt alles
beyſammen, was auf mein Verhaͤltniß zu Byron Bezug
hat, ſelbſt dieſes merkwuͤrdige Blatt gelangt heute wun¬
derbarer Weiſe zu mir und es fehlt mir nun weiter
nichts als jener[ ]Brief.“

Die liebenswuͤrdige Verehrerin von Byron wollte

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[247/0267] von meinem Bein und Fleiſch von meinem Fleiſch, und es war ſchon etwas damit zu machen.“ „Beym Werther und Fauſt mußte ich dagegen wieder in meinen eigenen Buſen greifen, denn das Überlieferte war nicht weit her. Das Teufels- und Hexen-Weſen machte ich nur einmal; ich war froh, mein nordiſches Erbtheil verzehrt zu haben und wandte mich zu den Tiſchen der Griechen. Haͤtte ich aber ſo deutlich wie jetzt gewußt, wie viel Vortreffliches ſeit Jahrhunderten und Jahrtauſenden da iſt, ich haͤtte keine Zeile geſchrieben, ſondern etwas anderes gethan.“ Am Oſtertage den 26. Maͤrz 1826. Goethe war heute bey Tiſch in der heiterſten, herz¬ lichſten Stimmung. Ein ihm ſehr werthes Blatt war ihm heute zugekommen, naͤmlich Lord Byrons Hand¬ ſchrift der Dedication ſeines Sardanapal. Er zeigte ſie uns zum Nachtiſch, indem er zugleich ſeine Tochter quaͤlte, ihm Byrons Brief aus Genua wieder zu geben. „Du ſiehſt, liebes Kind, ſagte er, ich habe jetzt alles beyſammen, was auf mein Verhaͤltniß zu Byron Bezug hat, ſelbſt dieſes merkwuͤrdige Blatt gelangt heute wun¬ derbarer Weiſe zu mir und es fehlt mir nun weiter nichts als jener Brief.“ Die liebenswuͤrdige Verehrerin von Byron wollte

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Zitationshilfe: Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 1. Leipzig, 1836, S. 247. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe01_1836/267>, abgerufen am 16.04.2024.