Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 1. Leipzig, 1836.

Bild:
<< vorherige Seite

ihm daher um so willkommener seyn. Ich fand ihn
noch wie vor einigen Tagen in seinem Lehnstuhl sitzend;
er reichte mir freundlich die Hand, indem er mit himmli¬
scher Sanftmuth einige Worte sprach. Ein großer Ofen¬
schirm stand ihm zur Seite und gab ihm zugleich Schat¬
ten vor den Lichtern, die weiterhin auf dem Tisch stan¬
den. Auch der Herr Canzler trat herein und gesellte
sich zu uns. Wir setzten uns in Goethe's Nähe und
führten leichte Gespräche, damit er sich nur zuhörend
verhalten könnte. Bald kam auch der Arzt, Hofrath
Rehbein. Er fand Goethe's Puls, wie er sich aus¬
drückte, ganz munter und leichtfertig, worüber wir uns
freuten und Goethe einige Scherze machte. "Wenn nur
der Schmerz von der Seite des Herzens weg wäre!"
klagte er dann. Rehbein schlug vor, ihm ein Pflaster
dahin zu legen; wir sprachen über die guten Wirkungen
eines solchen Mittels, und Goethe ließ sich dazu geneigt
finden. Rehbein brachte das Gespräch auf Marienbad,
wodurch bey Goethe angenehme Erinnerungen erweckt
zu werden schienen. Man machte Pläne, nächsten Som¬
mer wieder hinzugehen und bemerkte, daß auch der
Großherzog nicht fehlen würde, durch welche Aussichten
Goethe in die heiterste Stimmung versetzt wurde. Auch
sprach man über Madame Szymanowska und ge¬
dachte der Tage, wo sie hier war und die Männer
sich um ihre Gunst bewarben.

Als Rehbein gegangen war, las der Canzler die

ihm daher um ſo willkommener ſeyn. Ich fand ihn
noch wie vor einigen Tagen in ſeinem Lehnſtuhl ſitzend;
er reichte mir freundlich die Hand, indem er mit himmli¬
ſcher Sanftmuth einige Worte ſprach. Ein großer Ofen¬
ſchirm ſtand ihm zur Seite und gab ihm zugleich Schat¬
ten vor den Lichtern, die weiterhin auf dem Tiſch ſtan¬
den. Auch der Herr Canzler trat herein und geſellte
ſich zu uns. Wir ſetzten uns in Goethe's Naͤhe und
fuͤhrten leichte Geſpraͤche, damit er ſich nur zuhoͤrend
verhalten koͤnnte. Bald kam auch der Arzt, Hofrath
Rehbein. Er fand Goethe's Puls, wie er ſich aus¬
druͤckte, ganz munter und leichtfertig, woruͤber wir uns
freuten und Goethe einige Scherze machte. „Wenn nur
der Schmerz von der Seite des Herzens weg waͤre!“
klagte er dann. Rehbein ſchlug vor, ihm ein Pflaſter
dahin zu legen; wir ſprachen uͤber die guten Wirkungen
eines ſolchen Mittels, und Goethe ließ ſich dazu geneigt
finden. Rehbein brachte das Geſpraͤch auf Marienbad,
wodurch bey Goethe angenehme Erinnerungen erweckt
zu werden ſchienen. Man machte Plaͤne, naͤchſten Som¬
mer wieder hinzugehen und bemerkte, daß auch der
Großherzog nicht fehlen wuͤrde, durch welche Ausſichten
Goethe in die heiterſte Stimmung verſetzt wurde. Auch
ſprach man uͤber Madame Szymanowska und ge¬
dachte der Tage, wo ſie hier war und die Maͤnner
ſich um ihre Gunſt bewarben.

Als Rehbein gegangen war, las der Canzler die

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0107" n="87"/>
ihm daher um &#x017F;o willkommener &#x017F;eyn. Ich fand ihn<lb/>
noch wie vor einigen Tagen in &#x017F;einem Lehn&#x017F;tuhl &#x017F;itzend;<lb/>
er reichte mir freundlich die Hand, indem er mit himmli¬<lb/>
&#x017F;cher Sanftmuth einige Worte &#x017F;prach. Ein großer Ofen¬<lb/>
&#x017F;chirm &#x017F;tand ihm zur Seite und gab ihm zugleich Schat¬<lb/>
ten vor den Lichtern, die weiterhin auf dem Ti&#x017F;ch &#x017F;tan¬<lb/>
den. Auch der Herr Canzler trat herein und ge&#x017F;ellte<lb/>
&#x017F;ich zu uns. Wir &#x017F;etzten uns in Goethe's Na&#x0364;he und<lb/>
fu&#x0364;hrten leichte Ge&#x017F;pra&#x0364;che, damit er &#x017F;ich nur zuho&#x0364;rend<lb/>
verhalten ko&#x0364;nnte. Bald kam auch der Arzt, Hofrath<lb/><hi rendition="#g">Rehbein</hi>. Er fand Goethe's Puls, wie er &#x017F;ich aus¬<lb/>
dru&#x0364;ckte, ganz munter und leichtfertig, woru&#x0364;ber wir uns<lb/>
freuten und Goethe einige Scherze machte. &#x201E;Wenn nur<lb/>
der Schmerz von der Seite des Herzens weg wa&#x0364;re!&#x201C;<lb/>
klagte er dann. <hi rendition="#g">Rehbein</hi> &#x017F;chlug vor, ihm ein Pfla&#x017F;ter<lb/>
dahin zu legen; wir &#x017F;prachen u&#x0364;ber die guten Wirkungen<lb/>
eines &#x017F;olchen Mittels, und Goethe ließ &#x017F;ich dazu geneigt<lb/>
finden. Rehbein brachte das Ge&#x017F;pra&#x0364;ch auf Marienbad,<lb/>
wodurch bey Goethe angenehme Erinnerungen erweckt<lb/>
zu werden &#x017F;chienen. Man machte Pla&#x0364;ne, na&#x0364;ch&#x017F;ten Som¬<lb/>
mer wieder hinzugehen und bemerkte, daß auch der<lb/>
Großherzog nicht fehlen wu&#x0364;rde, durch welche Aus&#x017F;ichten<lb/>
Goethe in die heiter&#x017F;te Stimmung ver&#x017F;etzt wurde. Auch<lb/>
&#x017F;prach man u&#x0364;ber Madame <hi rendition="#g">Szymanowska</hi> und ge¬<lb/>
dachte der Tage, wo &#x017F;ie hier war und die Ma&#x0364;nner<lb/>
&#x017F;ich um ihre Gun&#x017F;t bewarben.</p><lb/>
          <p>Als Rehbein gegangen war, las der Canzler die<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[87/0107] ihm daher um ſo willkommener ſeyn. Ich fand ihn noch wie vor einigen Tagen in ſeinem Lehnſtuhl ſitzend; er reichte mir freundlich die Hand, indem er mit himmli¬ ſcher Sanftmuth einige Worte ſprach. Ein großer Ofen¬ ſchirm ſtand ihm zur Seite und gab ihm zugleich Schat¬ ten vor den Lichtern, die weiterhin auf dem Tiſch ſtan¬ den. Auch der Herr Canzler trat herein und geſellte ſich zu uns. Wir ſetzten uns in Goethe's Naͤhe und fuͤhrten leichte Geſpraͤche, damit er ſich nur zuhoͤrend verhalten koͤnnte. Bald kam auch der Arzt, Hofrath Rehbein. Er fand Goethe's Puls, wie er ſich aus¬ druͤckte, ganz munter und leichtfertig, woruͤber wir uns freuten und Goethe einige Scherze machte. „Wenn nur der Schmerz von der Seite des Herzens weg waͤre!“ klagte er dann. Rehbein ſchlug vor, ihm ein Pflaſter dahin zu legen; wir ſprachen uͤber die guten Wirkungen eines ſolchen Mittels, und Goethe ließ ſich dazu geneigt finden. Rehbein brachte das Geſpraͤch auf Marienbad, wodurch bey Goethe angenehme Erinnerungen erweckt zu werden ſchienen. Man machte Plaͤne, naͤchſten Som¬ mer wieder hinzugehen und bemerkte, daß auch der Großherzog nicht fehlen wuͤrde, durch welche Ausſichten Goethe in die heiterſte Stimmung verſetzt wurde. Auch ſprach man uͤber Madame Szymanowska und ge¬ dachte der Tage, wo ſie hier war und die Maͤnner ſich um ihre Gunſt bewarben. Als Rehbein gegangen war, las der Canzler die

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe01_1836
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe01_1836/107
Zitationshilfe: Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 1. Leipzig, 1836, S. 87. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe01_1836/107>, abgerufen am 19.04.2024.