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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 1. Leipzig, 1836.

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am besten. So ist Schillers Styl am prächtigsten und
wirksamsten, sobald er nicht philosophirt, wie ich noch
heute an seinen höchst bedeutenden Briefen gesehen, mit
denen ich mich grade beschäftige."

"Gleicherweise giebt es unter deutschen Frauen¬
zimmern
geniale Wesen, die einen ganz vortrefflichen
Styl schreiben, so daß sie sogar manche unserer geprie¬
senen Schriftsteller darin übertreffen."

"Die Engländer schreiben in der Regel alle gut,
als geborene Redner und als practische auf das Reale
gerichtete Menschen."

"Die Franzosen verläugnen ihren allgemeinen
Character auch in ihrem Styl nicht. Sie sind geselliger
Natur und vergessen als solche nie das Publicum zu
dem sie reden; sie bemühen sich klar zu seyn, um ihren
Leser zu überzeugen, und anmuthig, um ihm zu gefallen."

"Im Ganzen ist der Styl eines Schriftstellers ein
treuer Abdruck seines Innern; will jemand einen kla¬
ren
Styl schreiben, so sey es ihm zuvor klar in seiner
Seele, und will jemand einen großartigen Styl
schreiben, so habe er einen großartigen Character."

Goethe sprach darauf über seine Gegner und daß
dieses Geschlecht nie aussterbe. "Ihre Zahl ist Legion,
sagte er, doch ist es nicht unmöglich, sie einigermaßen
zu classificiren."

"Zuerst nenne ich meine Gegner aus Dumm¬
heit
; es sind solche, die mich nicht verstanden, und die

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am beſten. So iſt Schillers Styl am praͤchtigſten und
wirkſamſten, ſobald er nicht philoſophirt, wie ich noch
heute an ſeinen hoͤchſt bedeutenden Briefen geſehen, mit
denen ich mich grade beſchaͤftige.“

„Gleicherweiſe giebt es unter deutſchen Frauen¬
zimmern
geniale Weſen, die einen ganz vortrefflichen
Styl ſchreiben, ſo daß ſie ſogar manche unſerer geprie¬
ſenen Schriftſteller darin uͤbertreffen.“

„Die Englaͤnder ſchreiben in der Regel alle gut,
als geborene Redner und als practiſche auf das Reale
gerichtete Menſchen.“

„Die Franzoſen verlaͤugnen ihren allgemeinen
Character auch in ihrem Styl nicht. Sie ſind geſelliger
Natur und vergeſſen als ſolche nie das Publicum zu
dem ſie reden; ſie bemuͤhen ſich klar zu ſeyn, um ihren
Leſer zu uͤberzeugen, und anmuthig, um ihm zu gefallen.“

„Im Ganzen iſt der Styl eines Schriftſtellers ein
treuer Abdruck ſeines Innern; will jemand einen kla¬
ren
Styl ſchreiben, ſo ſey es ihm zuvor klar in ſeiner
Seele, und will jemand einen großartigen Styl
ſchreiben, ſo habe er einen großartigen Character.“

Goethe ſprach darauf uͤber ſeine Gegner und daß
dieſes Geſchlecht nie ausſterbe. „Ihre Zahl iſt Legion,
ſagte er, doch iſt es nicht unmoͤglich, ſie einigermaßen
zu claſſificiren.“

„Zuerſt nenne ich meine Gegner aus Dumm¬
heit
; es ſind ſolche, die mich nicht verſtanden, und die

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[145/0165] am beſten. So iſt Schillers Styl am praͤchtigſten und wirkſamſten, ſobald er nicht philoſophirt, wie ich noch heute an ſeinen hoͤchſt bedeutenden Briefen geſehen, mit denen ich mich grade beſchaͤftige.“ „Gleicherweiſe giebt es unter deutſchen Frauen¬ zimmern geniale Weſen, die einen ganz vortrefflichen Styl ſchreiben, ſo daß ſie ſogar manche unſerer geprie¬ ſenen Schriftſteller darin uͤbertreffen.“ „Die Englaͤnder ſchreiben in der Regel alle gut, als geborene Redner und als practiſche auf das Reale gerichtete Menſchen.“ „Die Franzoſen verlaͤugnen ihren allgemeinen Character auch in ihrem Styl nicht. Sie ſind geſelliger Natur und vergeſſen als ſolche nie das Publicum zu dem ſie reden; ſie bemuͤhen ſich klar zu ſeyn, um ihren Leſer zu uͤberzeugen, und anmuthig, um ihm zu gefallen.“ „Im Ganzen iſt der Styl eines Schriftſtellers ein treuer Abdruck ſeines Innern; will jemand einen kla¬ ren Styl ſchreiben, ſo ſey es ihm zuvor klar in ſeiner Seele, und will jemand einen großartigen Styl ſchreiben, ſo habe er einen großartigen Character.“ Goethe ſprach darauf uͤber ſeine Gegner und daß dieſes Geſchlecht nie ausſterbe. „Ihre Zahl iſt Legion, ſagte er, doch iſt es nicht unmoͤglich, ſie einigermaßen zu claſſificiren.“ „Zuerſt nenne ich meine Gegner aus Dumm¬ heit; es ſind ſolche, die mich nicht verſtanden, und die I. 10

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Zitationshilfe: Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 1. Leipzig, 1836, S. 145. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe01_1836/165>, abgerufen am 29.03.2024.