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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 1. Leipzig, 1836.

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zu lassen. Das ist mir sehr lieb, sagte ich, denn nun
habe ich doch die Hoffnung, daß Sie sie ausführen
werden. "In einem Vierteljahre, sagte er, wäre es
gethan, allein woher will die Ruhe kommen! Der Tag
macht gar zu viele Ansprüche an mich; es hält schwer,
mich so sehr abzusondern und zu isoliren. Diesen Mor¬
gen war der Erbgroßherzog bey mir, auf morgen Mit¬
tag hat sich die Großherzogin melden lassen. Ich habe
solche Besuche als eine hohe Gnade zu schätzen, sie ver¬
schönern mein Leben; allein sie nehmen doch mein In¬
neres in Anspruch, ich muß doch bedenken, was ich
diesen hohen Personen immer Neues vorlegen und wie
ich sie würdig unterhalten will."

Und doch, sagte ich, haben Sie vorigen Winter die
Helena vollendet, und Sie waren doch nicht weniger
gestört als jetzt. "Freylich, sagte Goethe, es geht auch,
und muß auch gehen, allein es ist schwer." Es ist nur
gut, sagte ich, daß Sie ein so ausführliches Schema
haben. "Das Schema ist wohl da, sagte Goethe, allein
das Schwierigste ist noch zu thun; und bey der Aus¬
führung hängt doch Alles gar zu sehr vom Glück ab.
Die classische Walpurgisnacht muß in Reimen geschrie¬
ben werden und doch muß alles einen antiken Character
tragen. Eine solche Versart zu finden ist nicht leicht.
Und nun den Dialog!" -- Ist denn der nicht im
Schema mit erfunden? sagte ich. "Wohl das Was,
antwortete Goethe, aber nicht das Wie. Und dann

I. 19

zu laſſen. Das iſt mir ſehr lieb, ſagte ich, denn nun
habe ich doch die Hoffnung, daß Sie ſie ausfuͤhren
werden. „In einem Vierteljahre, ſagte er, waͤre es
gethan, allein woher will die Ruhe kommen! Der Tag
macht gar zu viele Anſpruͤche an mich; es haͤlt ſchwer,
mich ſo ſehr abzuſondern und zu iſoliren. Dieſen Mor¬
gen war der Erbgroßherzog bey mir, auf morgen Mit¬
tag hat ſich die Großherzogin melden laſſen. Ich habe
ſolche Beſuche als eine hohe Gnade zu ſchaͤtzen, ſie ver¬
ſchoͤnern mein Leben; allein ſie nehmen doch mein In¬
neres in Anſpruch, ich muß doch bedenken, was ich
dieſen hohen Perſonen immer Neues vorlegen und wie
ich ſie wuͤrdig unterhalten will.“

Und doch, ſagte ich, haben Sie vorigen Winter die
Helena vollendet, und Sie waren doch nicht weniger
geſtoͤrt als jetzt. „Freylich, ſagte Goethe, es geht auch,
und muß auch gehen, allein es iſt ſchwer.“ Es iſt nur
gut, ſagte ich, daß Sie ein ſo ausfuͤhrliches Schema
haben. „Das Schema iſt wohl da, ſagte Goethe, allein
das Schwierigſte iſt noch zu thun; und bey der Aus¬
fuͤhrung haͤngt doch Alles gar zu ſehr vom Gluͤck ab.
Die claſſiſche Walpurgisnacht muß in Reimen geſchrie¬
ben werden und doch muß alles einen antiken Character
tragen. Eine ſolche Versart zu finden iſt nicht leicht.
Und nun den Dialog!“ — Iſt denn der nicht im
Schema mit erfunden? ſagte ich. „Wohl das Was,
antwortete Goethe, aber nicht das Wie. Und dann

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[289/0309] zu laſſen. Das iſt mir ſehr lieb, ſagte ich, denn nun habe ich doch die Hoffnung, daß Sie ſie ausfuͤhren werden. „In einem Vierteljahre, ſagte er, waͤre es gethan, allein woher will die Ruhe kommen! Der Tag macht gar zu viele Anſpruͤche an mich; es haͤlt ſchwer, mich ſo ſehr abzuſondern und zu iſoliren. Dieſen Mor¬ gen war der Erbgroßherzog bey mir, auf morgen Mit¬ tag hat ſich die Großherzogin melden laſſen. Ich habe ſolche Beſuche als eine hohe Gnade zu ſchaͤtzen, ſie ver¬ ſchoͤnern mein Leben; allein ſie nehmen doch mein In¬ neres in Anſpruch, ich muß doch bedenken, was ich dieſen hohen Perſonen immer Neues vorlegen und wie ich ſie wuͤrdig unterhalten will.“ Und doch, ſagte ich, haben Sie vorigen Winter die Helena vollendet, und Sie waren doch nicht weniger geſtoͤrt als jetzt. „Freylich, ſagte Goethe, es geht auch, und muß auch gehen, allein es iſt ſchwer.“ Es iſt nur gut, ſagte ich, daß Sie ein ſo ausfuͤhrliches Schema haben. „Das Schema iſt wohl da, ſagte Goethe, allein das Schwierigſte iſt noch zu thun; und bey der Aus¬ fuͤhrung haͤngt doch Alles gar zu ſehr vom Gluͤck ab. Die claſſiſche Walpurgisnacht muß in Reimen geſchrie¬ ben werden und doch muß alles einen antiken Character tragen. Eine ſolche Versart zu finden iſt nicht leicht. Und nun den Dialog!“ — Iſt denn der nicht im Schema mit erfunden? ſagte ich. „Wohl das Was, antwortete Goethe, aber nicht das Wie. Und dann I. 19

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Zitationshilfe: Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 1. Leipzig, 1836, S. 289. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe01_1836/309>, abgerufen am 25.04.2024.