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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 1. Leipzig, 1836.

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Ich brauche nur zum Fenster hinauszusehen, um in
straßenkehrenden Besen und herumlaufenden Kindern
die Symbole der sich ewig abnutzenden und immer sich
verjüngenden Welt beständig vor Augen zu haben.
Kinderspiele und Jugend-Vergnügungen erhalten sich
daher und pflanzen sich von Jahrhundert zu Jahrhun¬
dert fort; denn so absurd sie auch einem reiferen Alter
erscheinen mögen, Kinder bleiben doch immer Kinder
und sind sich zu allen Zeiten ähnlich. Deßhalb soll
man auch die Johannisfeuer nicht verbieten und den
lieben Kindern die Freude daran nicht verderben."

Unter solchen und ähnlichen heiteren Unterhaltungen
gingen die Stunden des Tisches schnell vorüber. Wir
jüngeren Leute gingen sodann hinauf in die obern Zim¬
mer, während der Canzler bey Goethe blieb.


Auf diesen Abend hatte Goethe mir den Schluß der
Novelle versprochen. Ich ging halb sieben Uhr zu ihm
und fand ihn in seiner traulichen Arbeitsstube allein.
Ich setzte mich zu ihm an den Tisch und nachdem wir die
nächsten Tagesereignisse besprochen hatten, stand Goethe
auf und gab mir die erwünschten letzten Bogen. "Da
lesen Sie den Schluß", sagte er. Ich begann. Goethe
ging derweile im Zimmer auf und ab und[...] stand

Ich brauche nur zum Fenſter hinauszuſehen, um in
ſtraßenkehrenden Beſen und herumlaufenden Kindern
die Symbole der ſich ewig abnutzenden und immer ſich
verjuͤngenden Welt beſtaͤndig vor Augen zu haben.
Kinderſpiele und Jugend-Vergnuͤgungen erhalten ſich
daher und pflanzen ſich von Jahrhundert zu Jahrhun¬
dert fort; denn ſo abſurd ſie auch einem reiferen Alter
erſcheinen moͤgen, Kinder bleiben doch immer Kinder
und ſind ſich zu allen Zeiten aͤhnlich. Deßhalb ſoll
man auch die Johannisfeuer nicht verbieten und den
lieben Kindern die Freude daran nicht verderben.“

Unter ſolchen und aͤhnlichen heiteren Unterhaltungen
gingen die Stunden des Tiſches ſchnell voruͤber. Wir
juͤngeren Leute gingen ſodann hinauf in die obern Zim¬
mer, waͤhrend der Canzler bey Goethe blieb.


Auf dieſen Abend hatte Goethe mir den Schluß der
Novelle verſprochen. Ich ging halb ſieben Uhr zu ihm
und fand ihn in ſeiner traulichen Arbeitsſtube allein.
Ich ſetzte mich zu ihm an den Tiſch und nachdem wir die
naͤchſten Tagesereigniſſe beſprochen hatten, ſtand Goethe
auf und gab mir die erwuͤnſchten letzten Bogen. „Da
leſen Sie den Schluß“, ſagte er. Ich begann. Goethe
ging derweile im Zimmer auf und ab und[…] ſtand

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[298/0318] Ich brauche nur zum Fenſter hinauszuſehen, um in ſtraßenkehrenden Beſen und herumlaufenden Kindern die Symbole der ſich ewig abnutzenden und immer ſich verjuͤngenden Welt beſtaͤndig vor Augen zu haben. Kinderſpiele und Jugend-Vergnuͤgungen erhalten ſich daher und pflanzen ſich von Jahrhundert zu Jahrhun¬ dert fort; denn ſo abſurd ſie auch einem reiferen Alter erſcheinen moͤgen, Kinder bleiben doch immer Kinder und ſind ſich zu allen Zeiten aͤhnlich. Deßhalb ſoll man auch die Johannisfeuer nicht verbieten und den lieben Kindern die Freude daran nicht verderben.“ Unter ſolchen und aͤhnlichen heiteren Unterhaltungen gingen die Stunden des Tiſches ſchnell voruͤber. Wir juͤngeren Leute gingen ſodann hinauf in die obern Zim¬ mer, waͤhrend der Canzler bey Goethe blieb. Donnerstag Abend den 18. Januar 1827. Auf dieſen Abend hatte Goethe mir den Schluß der Novelle verſprochen. Ich ging halb ſieben Uhr zu ihm und fand ihn in ſeiner traulichen Arbeitsſtube allein. Ich ſetzte mich zu ihm an den Tiſch und nachdem wir die naͤchſten Tagesereigniſſe beſprochen hatten, ſtand Goethe auf und gab mir die erwuͤnſchten letzten Bogen. „Da leſen Sie den Schluß“, ſagte er. Ich begann. Goethe ging derweile im Zimmer auf und ab und ſtand

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Zitationshilfe: Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 1. Leipzig, 1836, S. 298. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe01_1836/318>, abgerufen am 28.03.2024.