Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 1. Leipzig, 1836.

Bild:
<< vorherige Seite

gegengeht und über den Glanz der Sonne erstaunt,
wenn diese hervorleuchtet."

Unter den Deutschen nannte Goethe bey dieser Ge¬
legenheit die Namen: Carus, d'Alton, Meyer in
Königsberg, mit Bewunderung.

"Wenn nur die Menschen, fuhr Goethe fort, das
Rechte, nachdem es gefunden, nicht wieder umkehrten
und verdüsterten, so wäre ich zufrieden; denn es thäte
der Menschheit ein Positives noth, das man ihr von
Generation zu Generation überlieferte, und es wäre doch
gut, wenn das Positive zugleich das Rechte und Wah¬
re wäre. In dieser Hinsicht sollte es mich freuen,
wenn man in den Naturwissenschaften aufs Reine käme,
und sodann im Rechten beharrte und nicht wieder trans¬
cendirte, nachdem im Faßlichen alles gethan worden.
Aber die Menschen können keine Ruhe halten und ehe
man es sich versieht, ist die Verwirrung wieder oben
auf."

"So rütteln sie jetzt an den fünf Büchern Moses,
und wenn die vernichtende Critik irgend schädlich ist, so
ist sie es in Religionssachen; denn hiebey beruhet alles
auf dem Glauben, zu welchem man nicht zurückkehren
kann, wenn man ihn einmal verloren hat."

"In der Poesie ist die vernichtende Critik nicht so
schädlich. Wolf hat den Homer zerstört, doch dem
Gedicht hat er nichts anhaben können; denn dieses Ge¬
dicht hat die Wunderkraft wie die Helden Walhalla's,

22*

gegengeht und uͤber den Glanz der Sonne erſtaunt,
wenn dieſe hervorleuchtet.“

Unter den Deutſchen nannte Goethe bey dieſer Ge¬
legenheit die Namen: Carus, d'Alton, Meyer in
Koͤnigsberg, mit Bewunderung.

„Wenn nur die Menſchen, fuhr Goethe fort, das
Rechte, nachdem es gefunden, nicht wieder umkehrten
und verduͤſterten, ſo waͤre ich zufrieden; denn es thaͤte
der Menſchheit ein Poſitives noth, das man ihr von
Generation zu Generation uͤberlieferte, und es waͤre doch
gut, wenn das Poſitive zugleich das Rechte und Wah¬
re waͤre. In dieſer Hinſicht ſollte es mich freuen,
wenn man in den Naturwiſſenſchaften aufs Reine kaͤme,
und ſodann im Rechten beharrte und nicht wieder trans¬
cendirte, nachdem im Faßlichen alles gethan worden.
Aber die Menſchen koͤnnen keine Ruhe halten und ehe
man es ſich verſieht, iſt die Verwirrung wieder oben
auf.“

„So ruͤtteln ſie jetzt an den fuͤnf Buͤchern Moſes,
und wenn die vernichtende Critik irgend ſchaͤdlich iſt, ſo
iſt ſie es in Religionsſachen; denn hiebey beruhet alles
auf dem Glauben, zu welchem man nicht zuruͤckkehren
kann, wenn man ihn einmal verloren hat.“

„In der Poeſie iſt die vernichtende Critik nicht ſo
ſchaͤdlich. Wolf hat den Homer zerſtoͤrt, doch dem
Gedicht hat er nichts anhaben koͤnnen; denn dieſes Ge¬
dicht hat die Wunderkraft wie die Helden Walhalla's,

22*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0359" n="339"/>
gegengeht und u&#x0364;ber den Glanz der Sonne er&#x017F;taunt,<lb/>
wenn die&#x017F;e hervorleuchtet.&#x201C;</p><lb/>
          <p>Unter den Deut&#x017F;chen nannte Goethe bey die&#x017F;er Ge¬<lb/>
legenheit die Namen: <hi rendition="#g">Carus</hi>, <hi rendition="#g">d'Alton</hi>, <hi rendition="#g">Meyer</hi> in<lb/>
Ko&#x0364;nigsberg, mit Bewunderung.</p><lb/>
          <p>&#x201E;Wenn nur die Men&#x017F;chen, fuhr Goethe fort, das<lb/>
Rechte, nachdem es gefunden, nicht wieder umkehrten<lb/>
und verdu&#x0364;&#x017F;terten, &#x017F;o wa&#x0364;re ich zufrieden; denn es tha&#x0364;te<lb/>
der Men&#x017F;chheit ein Po&#x017F;itives noth, das man ihr von<lb/>
Generation zu Generation u&#x0364;berlieferte, und es wa&#x0364;re doch<lb/>
gut, wenn das Po&#x017F;itive zugleich das Rechte und Wah¬<lb/>
re wa&#x0364;re. In die&#x017F;er Hin&#x017F;icht &#x017F;ollte es mich freuen,<lb/>
wenn man in den Naturwi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaften aufs Reine ka&#x0364;me,<lb/>
und &#x017F;odann im Rechten beharrte und nicht wieder trans¬<lb/>
cendirte, nachdem im Faßlichen alles gethan worden.<lb/>
Aber die Men&#x017F;chen ko&#x0364;nnen keine Ruhe halten und ehe<lb/>
man es &#x017F;ich ver&#x017F;ieht, i&#x017F;t die Verwirrung wieder oben<lb/>
auf.&#x201C;</p><lb/>
          <p>&#x201E;So ru&#x0364;tteln &#x017F;ie jetzt an den fu&#x0364;nf Bu&#x0364;chern Mo&#x017F;es,<lb/>
und wenn die vernichtende Critik irgend &#x017F;cha&#x0364;dlich i&#x017F;t, &#x017F;o<lb/>
i&#x017F;t &#x017F;ie es in Religions&#x017F;achen; denn hiebey beruhet alles<lb/>
auf dem Glauben, zu welchem man nicht zuru&#x0364;ckkehren<lb/>
kann, wenn man ihn einmal verloren hat.&#x201C;</p><lb/>
          <p>&#x201E;In der Poe&#x017F;ie i&#x017F;t die vernichtende Critik nicht &#x017F;o<lb/>
&#x017F;cha&#x0364;dlich. Wolf hat den Homer zer&#x017F;to&#x0364;rt, doch dem<lb/>
Gedicht hat er nichts anhaben ko&#x0364;nnen; denn die&#x017F;es Ge¬<lb/>
dicht hat die Wunderkraft wie die Helden Walhalla's,<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">22*<lb/></fw>
</p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[339/0359] gegengeht und uͤber den Glanz der Sonne erſtaunt, wenn dieſe hervorleuchtet.“ Unter den Deutſchen nannte Goethe bey dieſer Ge¬ legenheit die Namen: Carus, d'Alton, Meyer in Koͤnigsberg, mit Bewunderung. „Wenn nur die Menſchen, fuhr Goethe fort, das Rechte, nachdem es gefunden, nicht wieder umkehrten und verduͤſterten, ſo waͤre ich zufrieden; denn es thaͤte der Menſchheit ein Poſitives noth, das man ihr von Generation zu Generation uͤberlieferte, und es waͤre doch gut, wenn das Poſitive zugleich das Rechte und Wah¬ re waͤre. In dieſer Hinſicht ſollte es mich freuen, wenn man in den Naturwiſſenſchaften aufs Reine kaͤme, und ſodann im Rechten beharrte und nicht wieder trans¬ cendirte, nachdem im Faßlichen alles gethan worden. Aber die Menſchen koͤnnen keine Ruhe halten und ehe man es ſich verſieht, iſt die Verwirrung wieder oben auf.“ „So ruͤtteln ſie jetzt an den fuͤnf Buͤchern Moſes, und wenn die vernichtende Critik irgend ſchaͤdlich iſt, ſo iſt ſie es in Religionsſachen; denn hiebey beruhet alles auf dem Glauben, zu welchem man nicht zuruͤckkehren kann, wenn man ihn einmal verloren hat.“ „In der Poeſie iſt die vernichtende Critik nicht ſo ſchaͤdlich. Wolf hat den Homer zerſtoͤrt, doch dem Gedicht hat er nichts anhaben koͤnnen; denn dieſes Ge¬ dicht hat die Wunderkraft wie die Helden Walhalla's, 22*

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe01_1836
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe01_1836/359
Zitationshilfe: Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 1. Leipzig, 1836, S. 339. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe01_1836/359>, abgerufen am 25.04.2024.