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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 1. Leipzig, 1836.

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vollkommen ist, und daß das [Ä]ußere, alle Zeichnung
von Localitäten und dergleichen, gegen die großen inne¬
ren Eigenschaften um kein Haar zurücksteht. Das will
etwas heißen." Ich war verwundert und erfreut, die¬
ses zu hören. "Der Eindruck beym Lesen, fuhr Goethe
fort, ist der Art, daß man immer von der Rührung in
die Bewunderung fällt, und von der Bewunderung
wieder in die Rührung, so daß man aus einer von
diesen beyden großen Wirkungen gar nicht herauskommt.
Ich dächte, höher könnte man es nicht treiben. In
diesem Roman sieht man erst recht, was Manzoni ist.
Hier kommt sein vollendetes Innere zum Vorschein,
welches er bey seinen dramatischen Sachen zu ent¬
wickeln keine Gelegenheit hatte. Ich will nun gleich
hinterher den besten Roman von Walter Scott lesen,
etwa den Waverley, den ich noch nicht kenne, und
ich werde sehen, wie Manzoni sich gegen diesen großen
englischen Schriftsteller ausnehmen wird. Manzoni's
innere Bildung erscheint hier auf einer solchen Höhe,
daß ihm schwerlich etwas gleich kommen kann; sie be¬
glückt uns als eine durchaus reife Frucht. Und eine
Klarheit in der Behandlung und Darstellung des Ein¬
zelnen wie der italienische Himmel selber." Sind auch
Spuren von Sentimentalität in ihm? fragte ich. "Durch¬
aus nicht, antwortete Goethe. Er hat Sentiment, aber
er ist ohne alle Sentimentalität; die Zustände sind
männlich und rein empfunden. Ich will heute nichts

vollkommen iſt, und daß das [Ä]ußere, alle Zeichnung
von Localitaͤten und dergleichen, gegen die großen inne¬
ren Eigenſchaften um kein Haar zuruͤckſteht. Das will
etwas heißen.“ Ich war verwundert und erfreut, die¬
ſes zu hoͤren. „Der Eindruck beym Leſen, fuhr Goethe
fort, iſt der Art, daß man immer von der Ruͤhrung in
die Bewunderung faͤllt, und von der Bewunderung
wieder in die Ruͤhrung, ſo daß man aus einer von
dieſen beyden großen Wirkungen gar nicht herauskommt.
Ich daͤchte, hoͤher koͤnnte man es nicht treiben. In
dieſem Roman ſieht man erſt recht, was Manzoni iſt.
Hier kommt ſein vollendetes Innere zum Vorſchein,
welches er bey ſeinen dramatiſchen Sachen zu ent¬
wickeln keine Gelegenheit hatte. Ich will nun gleich
hinterher den beſten Roman von Walter Scott leſen,
etwa den Waverley, den ich noch nicht kenne, und
ich werde ſehen, wie Manzoni ſich gegen dieſen großen
engliſchen Schriftſteller ausnehmen wird. Manzoni's
innere Bildung erſcheint hier auf einer ſolchen Hoͤhe,
daß ihm ſchwerlich etwas gleich kommen kann; ſie be¬
gluͤckt uns als eine durchaus reife Frucht. Und eine
Klarheit in der Behandlung und Darſtellung des Ein¬
zelnen wie der italieniſche Himmel ſelber.“ Sind auch
Spuren von Sentimentalitaͤt in ihm? fragte ich. „Durch¬
aus nicht, antwortete Goethe. Er hat Sentiment, aber
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[375/0395] vollkommen iſt, und daß das Äußere, alle Zeichnung von Localitaͤten und dergleichen, gegen die großen inne¬ ren Eigenſchaften um kein Haar zuruͤckſteht. Das will etwas heißen.“ Ich war verwundert und erfreut, die¬ ſes zu hoͤren. „Der Eindruck beym Leſen, fuhr Goethe fort, iſt der Art, daß man immer von der Ruͤhrung in die Bewunderung faͤllt, und von der Bewunderung wieder in die Ruͤhrung, ſo daß man aus einer von dieſen beyden großen Wirkungen gar nicht herauskommt. Ich daͤchte, hoͤher koͤnnte man es nicht treiben. In dieſem Roman ſieht man erſt recht, was Manzoni iſt. Hier kommt ſein vollendetes Innere zum Vorſchein, welches er bey ſeinen dramatiſchen Sachen zu ent¬ wickeln keine Gelegenheit hatte. Ich will nun gleich hinterher den beſten Roman von Walter Scott leſen, etwa den Waverley, den ich noch nicht kenne, und ich werde ſehen, wie Manzoni ſich gegen dieſen großen engliſchen Schriftſteller ausnehmen wird. Manzoni's innere Bildung erſcheint hier auf einer ſolchen Hoͤhe, daß ihm ſchwerlich etwas gleich kommen kann; ſie be¬ gluͤckt uns als eine durchaus reife Frucht. Und eine Klarheit in der Behandlung und Darſtellung des Ein¬ zelnen wie der italieniſche Himmel ſelber.“ Sind auch Spuren von Sentimentalitaͤt in ihm? fragte ich. „Durch¬ aus nicht, antwortete Goethe. Er hat Sentiment, aber er iſt ohne alle Sentimentalitaͤt; die Zuſtaͤnde ſind maͤnnlich und rein empfunden. Ich will heute nichts

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Zitationshilfe: Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 1. Leipzig, 1836, S. 375. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe01_1836/395>, abgerufen am 24.04.2024.