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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 1. Leipzig, 1836.

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mokratie drehe und daß dieses kein allgemein menschliches
Interesse habe.

Ich lobte dagegen, was ich von Kotzebue gesehen,
nämlich seine Verwandtschaften und die Versöh¬
nung
. Ich lobte daran den frischen Blick ins wirkliche
Leben, den glücklichen Griff für die interessanten Seiten
desselben und die mitunter sehr kernige wahre Darstellung.
Goethe stimmte mir bey. "Was zwanzig Jahre sich
erhält, sagte er, und die Neigung des Volkes hat, das
muß schon etwas seyn. Wenn er in seinem Kreise blieb
und nicht über sein Vermögen hinausging, so machte
Kotzebue in der Regel etwas Gutes. Es ging ihm wie
Chodowiecky; die bürgerlichen Scenen gelangen auch
diesem vollkommen, wollte er aber römische oder grie¬
chische Helden zeichnen, so ward es nichts."

Goethe nannte mir noch einige gute Stücke von
Kotzebue, besonders die beyden Klingsberge. "Es
ist nicht zu läugnen, fügte er hinzu, er hat sich im
Leben umgethan und die Augen offen gehabt."

"Geist und irgend Poesie, fuhr Goethe fort, kann
man den neueren tragischen Dichtern nicht absprechen;
allein den meisten fehlt das Vermögen der leichten le¬
bendigen Darstellung; sie streben nach etwas, das über
ihre Kräfte hinausgeht, und ich möchte sie in dieser Hin¬
sicht forcirte Talente nennen."

Ich zweifle, sagte ich, daß solche Dichter ein Stück
in Prosa schreiben können, und bin der Meinung, daß

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mokratie drehe und daß dieſes kein allgemein menſchliches
Intereſſe habe.

Ich lobte dagegen, was ich von Kotzebue geſehen,
naͤmlich ſeine Verwandtſchaften und die Verſoͤh¬
nung
. Ich lobte daran den friſchen Blick ins wirkliche
Leben, den gluͤcklichen Griff fuͤr die intereſſanten Seiten
deſſelben und die mitunter ſehr kernige wahre Darſtellung.
Goethe ſtimmte mir bey. „Was zwanzig Jahre ſich
erhaͤlt, ſagte er, und die Neigung des Volkes hat, das
muß ſchon etwas ſeyn. Wenn er in ſeinem Kreiſe blieb
und nicht uͤber ſein Vermoͤgen hinausging, ſo machte
Kotzebue in der Regel etwas Gutes. Es ging ihm wie
Chodowiecky; die buͤrgerlichen Scenen gelangen auch
dieſem vollkommen, wollte er aber roͤmiſche oder grie¬
chiſche Helden zeichnen, ſo ward es nichts.“

Goethe nannte mir noch einige gute Stuͤcke von
Kotzebue, beſonders die beyden Klingsberge. „Es
iſt nicht zu laͤugnen, fuͤgte er hinzu, er hat ſich im
Leben umgethan und die Augen offen gehabt.“

„Geiſt und irgend Poeſie, fuhr Goethe fort, kann
man den neueren tragiſchen Dichtern nicht abſprechen;
allein den meiſten fehlt das Vermoͤgen der leichten le¬
bendigen Darſtellung; ſie ſtreben nach etwas, das uͤber
ihre Kraͤfte hinausgeht, und ich moͤchte ſie in dieſer Hin¬
ſicht forcirte Talente nennen.“

Ich zweifle, ſagte ich, daß ſolche Dichter ein Stuͤck
in Proſa ſchreiben koͤnnen, und bin der Meinung, daß

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[67/0087] mokratie drehe und daß dieſes kein allgemein menſchliches Intereſſe habe. Ich lobte dagegen, was ich von Kotzebue geſehen, naͤmlich ſeine Verwandtſchaften und die Verſoͤh¬ nung. Ich lobte daran den friſchen Blick ins wirkliche Leben, den gluͤcklichen Griff fuͤr die intereſſanten Seiten deſſelben und die mitunter ſehr kernige wahre Darſtellung. Goethe ſtimmte mir bey. „Was zwanzig Jahre ſich erhaͤlt, ſagte er, und die Neigung des Volkes hat, das muß ſchon etwas ſeyn. Wenn er in ſeinem Kreiſe blieb und nicht uͤber ſein Vermoͤgen hinausging, ſo machte Kotzebue in der Regel etwas Gutes. Es ging ihm wie Chodowiecky; die buͤrgerlichen Scenen gelangen auch dieſem vollkommen, wollte er aber roͤmiſche oder grie¬ chiſche Helden zeichnen, ſo ward es nichts.“ Goethe nannte mir noch einige gute Stuͤcke von Kotzebue, beſonders die beyden Klingsberge. „Es iſt nicht zu laͤugnen, fuͤgte er hinzu, er hat ſich im Leben umgethan und die Augen offen gehabt.“ „Geiſt und irgend Poeſie, fuhr Goethe fort, kann man den neueren tragiſchen Dichtern nicht abſprechen; allein den meiſten fehlt das Vermoͤgen der leichten le¬ bendigen Darſtellung; ſie ſtreben nach etwas, das uͤber ihre Kraͤfte hinausgeht, und ich moͤchte ſie in dieſer Hin¬ ſicht forcirte Talente nennen.“ Ich zweifle, ſagte ich, daß ſolche Dichter ein Stuͤck in Proſa ſchreiben koͤnnen, und bin der Meinung, daß 5*

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Zitationshilfe: Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 1. Leipzig, 1836, S. 67. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe01_1836/87>, abgerufen am 29.03.2024.