Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 2. Leipzig, 1836.

Bild:
<< vorherige Seite

angeborenen Richtung entwickelt wurde, und Meister
hervorgingen, von denen keiner dem andern gleich sah.
Die Carracci waren zu Lehrern der Kunst wie geboren;
sie fielen in eine Zeit wo nach allen Seiten hin bereits
das Beste gethan war, und sie daher ihren Schülern
das Musterhafteste aus allen Fächern überliefern konn¬
ten. Sie waren große Künstler, große Lehrer, aber ich
könnte nicht sagen daß sie eigentlich gewesen was man
geistreich nennt. Es ist ein wenig kühn, daß ich so
sage, allein es will mir so vorkommen."

Nachdem ich noch einige Landschaften von Claude
Lorrain betrachtet, schlug ich ein Künstler-Lexicon auf,
um zu sehen, was über diesen großen Meister ausge¬
sprochen. Wir fanden gedruckt: "Sein Hauptverdienst
bestand in der Palette." Wir sahen uns an und lach¬
ten. "Da sehen Sie, sagte Goethe, wie viel man ler¬
nen kann, wenn man sich an Bücher hält und sich
dasjenige aneignet was geschrieben steht."


Als ich diesen Mittag hereintrat, saß Goethe mit
Hofrath Meyer schon bey Tisch, in Gesprächen über
Italien und Gegenstände der Kunst. Goethe ließ einen
Band Claude Lorrain vorlegen, worin Meyer uns
diejenige Landschaft aussuchte und zeigte, von der die

angeborenen Richtung entwickelt wurde, und Meiſter
hervorgingen, von denen keiner dem andern gleich ſah.
Die Carracci waren zu Lehrern der Kunſt wie geboren;
ſie fielen in eine Zeit wo nach allen Seiten hin bereits
das Beſte gethan war, und ſie daher ihren Schuͤlern
das Muſterhafteſte aus allen Faͤchern uͤberliefern konn¬
ten. Sie waren große Kuͤnſtler, große Lehrer, aber ich
koͤnnte nicht ſagen daß ſie eigentlich geweſen was man
geiſtreich nennt. Es iſt ein wenig kuͤhn, daß ich ſo
ſage, allein es will mir ſo vorkommen.“

Nachdem ich noch einige Landſchaften von Claude
Lorrain betrachtet, ſchlug ich ein Kuͤnſtler-Lexicon auf,
um zu ſehen, was uͤber dieſen großen Meiſter ausge¬
ſprochen. Wir fanden gedruckt: „Sein Hauptverdienſt
beſtand in der Palette.“ Wir ſahen uns an und lach¬
ten. „Da ſehen Sie, ſagte Goethe, wie viel man ler¬
nen kann, wenn man ſich an Buͤcher haͤlt und ſich
dasjenige aneignet was geſchrieben ſteht.“


Als ich dieſen Mittag hereintrat, ſaß Goethe mit
Hofrath Meyer ſchon bey Tiſch, in Geſpraͤchen uͤber
Italien und Gegenſtaͤnde der Kunſt. Goethe ließ einen
Band Claude Lorrain vorlegen, worin Meyer uns
diejenige Landſchaft ausſuchte und zeigte, von der die

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="3">
        <div n="4">
          <p><pb facs="#f0153" n="143"/>
angeborenen Richtung entwickelt wurde, und Mei&#x017F;ter<lb/>
hervorgingen, von denen keiner dem andern gleich &#x017F;ah.<lb/>
Die Carracci waren zu Lehrern der Kun&#x017F;t wie geboren;<lb/>
&#x017F;ie fielen in eine Zeit wo nach allen Seiten hin bereits<lb/>
das Be&#x017F;te gethan war, und &#x017F;ie daher ihren Schu&#x0364;lern<lb/>
das Mu&#x017F;terhafte&#x017F;te aus allen Fa&#x0364;chern u&#x0364;berliefern konn¬<lb/>
ten. Sie waren große Ku&#x0364;n&#x017F;tler, große Lehrer, aber ich<lb/>
ko&#x0364;nnte nicht &#x017F;agen daß &#x017F;ie eigentlich gewe&#x017F;en was man<lb/>
gei&#x017F;treich nennt. Es i&#x017F;t ein wenig ku&#x0364;hn, daß ich &#x017F;o<lb/>
&#x017F;age, allein es will mir &#x017F;o vorkommen.&#x201C;</p><lb/>
          <p>Nachdem ich noch einige Land&#x017F;chaften von Claude<lb/>
Lorrain betrachtet, &#x017F;chlug ich ein Ku&#x0364;n&#x017F;tler-Lexicon auf,<lb/>
um zu &#x017F;ehen, was u&#x0364;ber die&#x017F;en großen Mei&#x017F;ter ausge¬<lb/>
&#x017F;prochen. Wir fanden gedruckt: &#x201E;Sein Hauptverdien&#x017F;t<lb/>
be&#x017F;tand in der Palette.&#x201C; Wir &#x017F;ahen uns an und lach¬<lb/>
ten. &#x201E;Da &#x017F;ehen Sie, &#x017F;agte Goethe, wie viel man ler¬<lb/>
nen kann, wenn man &#x017F;ich an Bu&#x0364;cher ha&#x0364;lt und &#x017F;ich<lb/>
dasjenige aneignet was ge&#x017F;chrieben &#x017F;teht.&#x201C;</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
        </div>
        <div n="4">
          <dateline rendition="#right">Dien&#x017F;tag, den 14. April 1829.<lb/></dateline>
          <p>Als ich die&#x017F;en Mittag hereintrat, &#x017F;aß Goethe mit<lb/>
Hofrath <hi rendition="#g">Meyer</hi> &#x017F;chon bey Ti&#x017F;ch, in Ge&#x017F;pra&#x0364;chen u&#x0364;ber<lb/>
Italien und Gegen&#x017F;ta&#x0364;nde der Kun&#x017F;t. Goethe ließ einen<lb/>
Band <hi rendition="#g">Claude Lorrain</hi> vorlegen, worin Meyer uns<lb/>
diejenige Land&#x017F;chaft aus&#x017F;uchte und zeigte, von der die<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[143/0153] angeborenen Richtung entwickelt wurde, und Meiſter hervorgingen, von denen keiner dem andern gleich ſah. Die Carracci waren zu Lehrern der Kunſt wie geboren; ſie fielen in eine Zeit wo nach allen Seiten hin bereits das Beſte gethan war, und ſie daher ihren Schuͤlern das Muſterhafteſte aus allen Faͤchern uͤberliefern konn¬ ten. Sie waren große Kuͤnſtler, große Lehrer, aber ich koͤnnte nicht ſagen daß ſie eigentlich geweſen was man geiſtreich nennt. Es iſt ein wenig kuͤhn, daß ich ſo ſage, allein es will mir ſo vorkommen.“ Nachdem ich noch einige Landſchaften von Claude Lorrain betrachtet, ſchlug ich ein Kuͤnſtler-Lexicon auf, um zu ſehen, was uͤber dieſen großen Meiſter ausge¬ ſprochen. Wir fanden gedruckt: „Sein Hauptverdienſt beſtand in der Palette.“ Wir ſahen uns an und lach¬ ten. „Da ſehen Sie, ſagte Goethe, wie viel man ler¬ nen kann, wenn man ſich an Buͤcher haͤlt und ſich dasjenige aneignet was geſchrieben ſteht.“ Dienſtag, den 14. April 1829. Als ich dieſen Mittag hereintrat, ſaß Goethe mit Hofrath Meyer ſchon bey Tiſch, in Geſpraͤchen uͤber Italien und Gegenſtaͤnde der Kunſt. Goethe ließ einen Band Claude Lorrain vorlegen, worin Meyer uns diejenige Landſchaft ausſuchte und zeigte, von der die

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe02_1836
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe02_1836/153
Zitationshilfe: Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 2. Leipzig, 1836, S. 143. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe02_1836/153>, abgerufen am 20.04.2024.