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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 2. Leipzig, 1836.

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zähne ein Geist benutzt werde, sey gar nicht wohl er¬
funden, besonders weil der Held sich dabey ganz unthä¬
tig verhalte. Die anmuthige, sinnliche und geistreiche
Ausführung des großen Dichters aber mache das Buch
dem Leser so angenehm, daß er an das eigentliche Fun¬
dament nicht weiter denke und darüber hinauslese.

Wir reden fort über viele Dinge und so kommen
wir auch wieder auf die Entelechie. "Die Hartnäckig¬
keit des Individuums und daß der Mensch abschüttelt
was ihm nicht gemäß ist, sagte Goethe, ist mir ein
Beweis daß so etwas existire." Ich hatte seit einigen
Minuten dasselbige gedacht und sagen wollen, und so
war es mir doppelt lieb, daß Goethe es aussprach,
"Leibnitz, fuhr er fort, hat ähnliche Gedanken über
solche selbstständige Wesen gehabt, und zwar, was wir
mit dem Ausdruck Entelechie bezeichnen, nannte er Mo¬
naden."

Ich nahm mir vor das Weitere darüber in Leibnitz
an Ort und Stelle nachzulesen.


Um zwölf Uhr zu Goethe, den ich heute besonders
frisch und kräftig fand. Er eröffnete mir, daß er seine
classische Walpurgisnacht habe zurücklegen müssen, um

zaͤhne ein Geiſt benutzt werde, ſey gar nicht wohl er¬
funden, beſonders weil der Held ſich dabey ganz unthaͤ¬
tig verhalte. Die anmuthige, ſinnliche und geiſtreiche
Ausfuͤhrung des großen Dichters aber mache das Buch
dem Leſer ſo angenehm, daß er an das eigentliche Fun¬
dament nicht weiter denke und daruͤber hinausleſe.

Wir reden fort uͤber viele Dinge und ſo kommen
wir auch wieder auf die Entelechie. „Die Hartnaͤckig¬
keit des Individuums und daß der Menſch abſchuͤttelt
was ihm nicht gemaͤß iſt, ſagte Goethe, iſt mir ein
Beweis daß ſo etwas exiſtire.“ Ich hatte ſeit einigen
Minuten daſſelbige gedacht und ſagen wollen, und ſo
war es mir doppelt lieb, daß Goethe es ausſprach,
Leibnitz, fuhr er fort, hat aͤhnliche Gedanken uͤber
ſolche ſelbſtſtaͤndige Weſen gehabt, und zwar, was wir
mit dem Ausdruck Entelechie bezeichnen, nannte er Mo¬
naden.“

Ich nahm mir vor das Weitere daruͤber in Leibnitz
an Ort und Stelle nachzuleſen.


Um zwoͤlf Uhr zu Goethe, den ich heute beſonders
friſch und kraͤftig fand. Er eroͤffnete mir, daß er ſeine
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[194/0204] zaͤhne ein Geiſt benutzt werde, ſey gar nicht wohl er¬ funden, beſonders weil der Held ſich dabey ganz unthaͤ¬ tig verhalte. Die anmuthige, ſinnliche und geiſtreiche Ausfuͤhrung des großen Dichters aber mache das Buch dem Leſer ſo angenehm, daß er an das eigentliche Fun¬ dament nicht weiter denke und daruͤber hinausleſe. Wir reden fort uͤber viele Dinge und ſo kommen wir auch wieder auf die Entelechie. „Die Hartnaͤckig¬ keit des Individuums und daß der Menſch abſchuͤttelt was ihm nicht gemaͤß iſt, ſagte Goethe, iſt mir ein Beweis daß ſo etwas exiſtire.“ Ich hatte ſeit einigen Minuten daſſelbige gedacht und ſagen wollen, und ſo war es mir doppelt lieb, daß Goethe es ausſprach, „Leibnitz, fuhr er fort, hat aͤhnliche Gedanken uͤber ſolche ſelbſtſtaͤndige Weſen gehabt, und zwar, was wir mit dem Ausdruck Entelechie bezeichnen, nannte er Mo¬ naden.“ Ich nahm mir vor das Weitere daruͤber in Leibnitz an Ort und Stelle nachzuleſen. Sonntag, den 7. Maͤrz 1830. Um zwoͤlf Uhr zu Goethe, den ich heute beſonders friſch und kraͤftig fand. Er eroͤffnete mir, daß er ſeine claſſiſche Walpurgisnacht habe zuruͤcklegen muͤſſen, um

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Zitationshilfe: Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 2. Leipzig, 1836, S. 194. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe02_1836/204>, abgerufen am 19.04.2024.