Heute bey Tisch erzählte mir Goethe, daß er den vierten Act des Faust angefangen habe und so fortzu¬ fahren gedenke, welches mich sehr beglückte.
Sodann sprach er mit großem Lob über Carl Schöne, einen jungen Philologen in Leipzig, der ein Werk über die Costume in den Stücken des Euripides geschrieben, und, bey großer Gelehrsamkeit, doch davon nicht mehr entwickelt habe, als eben zu seinen Zwecken nöthig.
"Ich freue mich, sagte Goethe, wie er mit produc¬ tivem Sinn auf die Sache losgeht, während andere Philologen der letzten Zeit sich gar zu viel mit dem Technischen und mit langen und kurzen Sylben zu schaffen gemacht haben."
"Es ist immer ein Zeichen einer unproductiven Zeit, wenn sie so ins Kleinliche des Technischen geht, und eben so ist es ein Zeichen eines unproductiven Indivi¬ duums, wenn es sich mit dergleichen befaßt."
"Und dann sind auch wieder andere Mängel hinder¬ lich. So finden sich z. B. im Grafen Platen fast alle Haupterfordernisse eines guten Poeten: Einbildungs¬ kraft, Erfindung, Geist, Productivität besitzt er im ho¬ hen Grade; auch findet sich bey ihm eine vollkommene technische Ausbildung, und ein Studium und ein Ernst wie bey wenigen Andern; allein ihn hindert seine unse¬ lige polemische Richtung."
Freytag, den 11. Februar 1831.
Heute bey Tiſch erzaͤhlte mir Goethe, daß er den vierten Act des Fauſt angefangen habe und ſo fortzu¬ fahren gedenke, welches mich ſehr begluͤckte.
Sodann ſprach er mit großem Lob uͤber Carl Schoͤne, einen jungen Philologen in Leipzig, der ein Werk uͤber die Coſtume in den Stuͤcken des Euripides geſchrieben, und, bey großer Gelehrſamkeit, doch davon nicht mehr entwickelt habe, als eben zu ſeinen Zwecken noͤthig.
„Ich freue mich, ſagte Goethe, wie er mit produc¬ tivem Sinn auf die Sache losgeht, waͤhrend andere Philologen der letzten Zeit ſich gar zu viel mit dem Techniſchen und mit langen und kurzen Sylben zu ſchaffen gemacht haben.“
„Es iſt immer ein Zeichen einer unproductiven Zeit, wenn ſie ſo ins Kleinliche des Techniſchen geht, und eben ſo iſt es ein Zeichen eines unproductiven Indivi¬ duums, wenn es ſich mit dergleichen befaßt.“
„Und dann ſind auch wieder andere Maͤngel hinder¬ lich. So finden ſich z. B. im Grafen Platen faſt alle Haupterforderniſſe eines guten Poeten: Einbildungs¬ kraft, Erfindung, Geiſt, Productivitaͤt beſitzt er im ho¬ hen Grade; auch findet ſich bey ihm eine vollkommene techniſche Ausbildung, und ein Studium und ein Ernſt wie bey wenigen Andern; allein ihn hindert ſeine unſe¬ lige polemiſche Richtung.“
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Freytag, den 11. Februar 1831.
Heute bey Tiſch erzaͤhlte mir Goethe, daß er den
vierten Act des Fauſt angefangen habe und ſo fortzu¬
fahren gedenke, welches mich ſehr begluͤckte.
Sodann ſprach er mit großem Lob uͤber Carl
Schoͤne, einen jungen Philologen in Leipzig, der ein
Werk uͤber die Coſtume in den Stuͤcken des Euripides
geſchrieben, und, bey großer Gelehrſamkeit, doch davon
nicht mehr entwickelt habe, als eben zu ſeinen Zwecken
noͤthig.
„Ich freue mich, ſagte Goethe, wie er mit produc¬
tivem Sinn auf die Sache losgeht, waͤhrend andere
Philologen der letzten Zeit ſich gar zu viel mit dem
Techniſchen und mit langen und kurzen Sylben zu
ſchaffen gemacht haben.“
„Es iſt immer ein Zeichen einer unproductiven Zeit,
wenn ſie ſo ins Kleinliche des Techniſchen geht, und
eben ſo iſt es ein Zeichen eines unproductiven Indivi¬
duums, wenn es ſich mit dergleichen befaßt.“
„Und dann ſind auch wieder andere Maͤngel hinder¬
lich. So finden ſich z. B. im Grafen Platen faſt
alle Haupterforderniſſe eines guten Poeten: Einbildungs¬
kraft, Erfindung, Geiſt, Productivitaͤt beſitzt er im ho¬
hen Grade; auch findet ſich bey ihm eine vollkommene
techniſche Ausbildung, und ein Studium und ein Ernſt
wie bey wenigen Andern; allein ihn hindert ſeine unſe¬
lige polemiſche Richtung.“
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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 2. Leipzig, 1836, S. 261. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe02_1836/271>, abgerufen am 25.04.2024.
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