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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 2. Leipzig, 1836.

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besitzen und auch wiedergeben können, ohne im Ganzen
ein so meisterhafter Übersetzer wie Voß zu seyn."

Ich fand dieses alles sehr gut und wahr und stimmte
vollkommen bey. Da das Wetter schön und die Sonne
noch hoch am Himmel war, so gingen wir ein wenig
in den Garten hinab, wo Goethe zunächst einige Baum¬
zweige in die Höhe binden ließ, die zu tief in die Wege
herabhingen.

Die gelben Crokus blühten sehr kräftig. Wir blick¬
ten auf die Blumen und dann auf den Weg, wo wir
denn vollkommen violette Bilder hatten. "Sie meinten
neulich, sagte Goethe, daß das Grüne und Rothe sich
gegenseitig besser hervorrufe als das Gelbe und Blaue,
indem jene Farben auf einer höherer Stufe standen und
deßhalb vollkommener, gesättigter und wirksamer wären
als diese. -- Ich kann das nicht zugeben. Jede Farbe,
sobald sie sich dem Auge entschieden darstellt, wirkt zur
Hervorrufung der geforderten gleich kräftig; es kommt
bloß darauf an, daß unser Auge in der rechten Stim¬
mung, daß ein zu helles Sonnenlicht nicht hindere, und
daß der Boden zur Aufnahme des geforderten Bildes
nicht ungünstig sey. Überall muß man sich hüten, bey
den Farben zu zarte Unterscheidungen und Bestimmun¬
gen zu machen, indem man gar zu leicht der Gefahr
ausgesetzt wird, vom Wesentlichen ins Unwesentliche,
vom Wahren in die Irre, und vom Einfachen in die
Verwickelung geführt zu werden."

beſitzen und auch wiedergeben koͤnnen, ohne im Ganzen
ein ſo meiſterhafter Überſetzer wie Voß zu ſeyn.“

Ich fand dieſes alles ſehr gut und wahr und ſtimmte
vollkommen bey. Da das Wetter ſchoͤn und die Sonne
noch hoch am Himmel war, ſo gingen wir ein wenig
in den Garten hinab, wo Goethe zunaͤchſt einige Baum¬
zweige in die Hoͤhe binden ließ, die zu tief in die Wege
herabhingen.

Die gelben Crokus bluͤhten ſehr kraͤftig. Wir blick¬
ten auf die Blumen und dann auf den Weg, wo wir
denn vollkommen violette Bilder hatten. „Sie meinten
neulich, ſagte Goethe, daß das Gruͤne und Rothe ſich
gegenſeitig beſſer hervorrufe als das Gelbe und Blaue,
indem jene Farben auf einer hoͤherer Stufe ſtanden und
deßhalb vollkommener, geſaͤttigter und wirkſamer waͤren
als dieſe. — Ich kann das nicht zugeben. Jede Farbe,
ſobald ſie ſich dem Auge entſchieden darſtellt, wirkt zur
Hervorrufung der geforderten gleich kraͤftig; es kommt
bloß darauf an, daß unſer Auge in der rechten Stim¬
mung, daß ein zu helles Sonnenlicht nicht hindere, und
daß der Boden zur Aufnahme des geforderten Bildes
nicht unguͤnſtig ſey. Überall muß man ſich huͤten, bey
den Farben zu zarte Unterſcheidungen und Beſtimmun¬
gen zu machen, indem man gar zu leicht der Gefahr
ausgeſetzt wird, vom Weſentlichen ins Unweſentliche,
vom Wahren in die Irre, und vom Einfachen in die
Verwickelung gefuͤhrt zu werden.“

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[124/0134] beſitzen und auch wiedergeben koͤnnen, ohne im Ganzen ein ſo meiſterhafter Überſetzer wie Voß zu ſeyn.“ Ich fand dieſes alles ſehr gut und wahr und ſtimmte vollkommen bey. Da das Wetter ſchoͤn und die Sonne noch hoch am Himmel war, ſo gingen wir ein wenig in den Garten hinab, wo Goethe zunaͤchſt einige Baum¬ zweige in die Hoͤhe binden ließ, die zu tief in die Wege herabhingen. Die gelben Crokus bluͤhten ſehr kraͤftig. Wir blick¬ ten auf die Blumen und dann auf den Weg, wo wir denn vollkommen violette Bilder hatten. „Sie meinten neulich, ſagte Goethe, daß das Gruͤne und Rothe ſich gegenſeitig beſſer hervorrufe als das Gelbe und Blaue, indem jene Farben auf einer hoͤherer Stufe ſtanden und deßhalb vollkommener, geſaͤttigter und wirkſamer waͤren als dieſe. — Ich kann das nicht zugeben. Jede Farbe, ſobald ſie ſich dem Auge entſchieden darſtellt, wirkt zur Hervorrufung der geforderten gleich kraͤftig; es kommt bloß darauf an, daß unſer Auge in der rechten Stim¬ mung, daß ein zu helles Sonnenlicht nicht hindere, und daß der Boden zur Aufnahme des geforderten Bildes nicht unguͤnſtig ſey. Überall muß man ſich huͤten, bey den Farben zu zarte Unterſcheidungen und Beſtimmun¬ gen zu machen, indem man gar zu leicht der Gefahr ausgeſetzt wird, vom Weſentlichen ins Unweſentliche, vom Wahren in die Irre, und vom Einfachen in die Verwickelung gefuͤhrt zu werden.“

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Zitationshilfe: Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 2. Leipzig, 1836, S. 124. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe02_1836/134>, abgerufen am 23.04.2024.