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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 2. Leipzig, 1836.

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Ich fragte Goethe nach dem Herkommen von Claude
Lorrain und in welcher Schule er sich gebildet. "Sein
nächster Meister, sagte Goethe, war Antonio Tasso;
dieser aber war ein Schüler von Paul Brill, so daß
also dessen Schule und Maximen sein eigentliches Fun¬
dament ausmachten und in ihm gewissermaßen zur
Blüthe kamen; denn dasjenige was bey diesen Meistern
noch ernst und strenge erscheint, hat sich bey Claude
Lorrain zur heitersten Anmuth und lieblichsten Freyheit
entfaltet. Über ihn konnte man nun weiter nicht
hinaus."

"Übrigens ist von einem so großen Talent, das in
einer so bedeutenden Zeit und Umgebung lebte, kaum
zu sagen von wem es gelernt. Es sieht sich um, und
eignet sich an, wo es für seine Intentionen Nahrung
findet. Claude Lorrain verdankt ohne Frage der Schule
der Carracci's eben so viel wie seinen nächsten namhaf¬
ten Meistern."

"So sagt man gewöhnlich: Julius Roman war
ein Schüler von Raphael; aber man könnte eben so
gut sagen: er war ein Schüler des Jahrhunderts. Nur
Guido Reni hatte einen Schüler, der Geist, Gemüth
und Kunst seines Meisters so in sich aufgenommen hatte,
daß er fast dasselbige wurde und dasselbige machte, wel¬
ches indeß ein eigener Fall war, der sich kaum wieder¬
holt hat. Die Schule der Carracci dagegen war be¬
freyender Art, so daß durch sie jedes Talent in seiner

Ich fragte Goethe nach dem Herkommen von Claude
Lorrain und in welcher Schule er ſich gebildet. „Sein
naͤchſter Meiſter, ſagte Goethe, war Antonio Taſſo;
dieſer aber war ein Schuͤler von Paul Brill, ſo daß
alſo deſſen Schule und Maximen ſein eigentliches Fun¬
dament ausmachten und in ihm gewiſſermaßen zur
Bluͤthe kamen; denn dasjenige was bey dieſen Meiſtern
noch ernſt und ſtrenge erſcheint, hat ſich bey Claude
Lorrain zur heiterſten Anmuth und lieblichſten Freyheit
entfaltet. Über ihn konnte man nun weiter nicht
hinaus.“

„Übrigens iſt von einem ſo großen Talent, das in
einer ſo bedeutenden Zeit und Umgebung lebte, kaum
zu ſagen von wem es gelernt. Es ſieht ſich um, und
eignet ſich an, wo es fuͤr ſeine Intentionen Nahrung
findet. Claude Lorrain verdankt ohne Frage der Schule
der Carracci's eben ſo viel wie ſeinen naͤchſten namhaf¬
ten Meiſtern.“

„So ſagt man gewoͤhnlich: Julius Roman war
ein Schuͤler von Raphael; aber man koͤnnte eben ſo
gut ſagen: er war ein Schuͤler des Jahrhunderts. Nur
Guido Reni hatte einen Schuͤler, der Geiſt, Gemuͤth
und Kunſt ſeines Meiſters ſo in ſich aufgenommen hatte,
daß er faſt daſſelbige wurde und daſſelbige machte, wel¬
ches indeß ein eigener Fall war, der ſich kaum wieder¬
holt hat. Die Schule der Carracci dagegen war be¬
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[142/0152] Ich fragte Goethe nach dem Herkommen von Claude Lorrain und in welcher Schule er ſich gebildet. „Sein naͤchſter Meiſter, ſagte Goethe, war Antonio Taſſo; dieſer aber war ein Schuͤler von Paul Brill, ſo daß alſo deſſen Schule und Maximen ſein eigentliches Fun¬ dament ausmachten und in ihm gewiſſermaßen zur Bluͤthe kamen; denn dasjenige was bey dieſen Meiſtern noch ernſt und ſtrenge erſcheint, hat ſich bey Claude Lorrain zur heiterſten Anmuth und lieblichſten Freyheit entfaltet. Über ihn konnte man nun weiter nicht hinaus.“ „Übrigens iſt von einem ſo großen Talent, das in einer ſo bedeutenden Zeit und Umgebung lebte, kaum zu ſagen von wem es gelernt. Es ſieht ſich um, und eignet ſich an, wo es fuͤr ſeine Intentionen Nahrung findet. Claude Lorrain verdankt ohne Frage der Schule der Carracci's eben ſo viel wie ſeinen naͤchſten namhaf¬ ten Meiſtern.“ „So ſagt man gewoͤhnlich: Julius Roman war ein Schuͤler von Raphael; aber man koͤnnte eben ſo gut ſagen: er war ein Schuͤler des Jahrhunderts. Nur Guido Reni hatte einen Schuͤler, der Geiſt, Gemuͤth und Kunſt ſeines Meiſters ſo in ſich aufgenommen hatte, daß er faſt daſſelbige wurde und daſſelbige machte, wel¬ ches indeß ein eigener Fall war, der ſich kaum wieder¬ holt hat. Die Schule der Carracci dagegen war be¬ freyender Art, ſo daß durch ſie jedes Talent in ſeiner

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Zitationshilfe: Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 2. Leipzig, 1836, S. 142. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe02_1836/152>, abgerufen am 23.04.2024.