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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 2. Leipzig, 1836.

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und sodann von der Seele reden." Fichte ging doch
schon ein wenig weiter und zog sich etwas klüger aus der
Sache, indem er sagte: Wir wollen handeln vom Men¬
schen als Leib betrachtet und vom Menschen als Seele
betrachtet. Er fühlte zu wohl, daß sich ein so enge
verbundenes Ganzes nicht trennen lasse. Kant hat un¬
streitig am meisten genützt, indem er die Grenzen zog,
wie weit der menschliche Geist zu dringen fähig sey,
und daß er die unauflöslichen Probleme liegen ließ.
Was hat man nicht alles über Unsterblichkeit philoso¬
phirt! und wie weit ist man gekommen! -- Ich zweifle
nicht an unserer Fortdauer, denn die Natur kann die
Entelechie nicht entbehren. Aber wir sind nicht auf
gleiche Weise unsterblich, und um sich künftig als große
Entelechie zu manifestiren, muß man auch eine seyn."

"Während aber die Deutschen sich mit Auflösung
philosophischer Probleme quälen, lachen uns die Eng¬
länder mit ihrem großen practischen Verstande aus, und
gewinnen die Welt. Jedermann kennt ihre Declama¬
tionen gegen den Sclavenhandel, und während sie uns
weiß machen wollen, was für humane Maximen solchem
Verfahren zu Grunde liegen, entdeckt sich jetzt, daß das
wahre Motiv ein reales Object sey, ohne welches es
die Engländer bekanntlich nie thun, und welches man
hätte wissen sollen. An der westlichen Küste von Afrika
gebrauchen sie die Neger selbst in ihren großen Besitzun¬
gen, und es ist gegen ihr Interesse, daß man sie dort

und ſodann von der Seele reden.“ Fichte ging doch
ſchon ein wenig weiter und zog ſich etwas kluͤger aus der
Sache, indem er ſagte: Wir wollen handeln vom Men¬
ſchen als Leib betrachtet und vom Menſchen als Seele
betrachtet. Er fuͤhlte zu wohl, daß ſich ein ſo enge
verbundenes Ganzes nicht trennen laſſe. Kant hat un¬
ſtreitig am meiſten genuͤtzt, indem er die Grenzen zog,
wie weit der menſchliche Geiſt zu dringen faͤhig ſey,
und daß er die unaufloͤslichen Probleme liegen ließ.
Was hat man nicht alles uͤber Unſterblichkeit philoſo¬
phirt! und wie weit iſt man gekommen! — Ich zweifle
nicht an unſerer Fortdauer, denn die Natur kann die
Entelechie nicht entbehren. Aber wir ſind nicht auf
gleiche Weiſe unſterblich, und um ſich kuͤnftig als große
Entelechie zu manifeſtiren, muß man auch eine ſeyn.“

„Waͤhrend aber die Deutſchen ſich mit Aufloͤſung
philoſophiſcher Probleme quaͤlen, lachen uns die Eng¬
laͤnder mit ihrem großen practiſchen Verſtande aus, und
gewinnen die Welt. Jedermann kennt ihre Declama¬
tionen gegen den Sclavenhandel, und waͤhrend ſie uns
weiß machen wollen, was fuͤr humane Maximen ſolchem
Verfahren zu Grunde liegen, entdeckt ſich jetzt, daß das
wahre Motiv ein reales Object ſey, ohne welches es
die Englaͤnder bekanntlich nie thun, und welches man
haͤtte wiſſen ſollen. An der weſtlichen Kuͤſte von Afrika
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[149/0159] und ſodann von der Seele reden.“ Fichte ging doch ſchon ein wenig weiter und zog ſich etwas kluͤger aus der Sache, indem er ſagte: Wir wollen handeln vom Men¬ ſchen als Leib betrachtet und vom Menſchen als Seele betrachtet. Er fuͤhlte zu wohl, daß ſich ein ſo enge verbundenes Ganzes nicht trennen laſſe. Kant hat un¬ ſtreitig am meiſten genuͤtzt, indem er die Grenzen zog, wie weit der menſchliche Geiſt zu dringen faͤhig ſey, und daß er die unaufloͤslichen Probleme liegen ließ. Was hat man nicht alles uͤber Unſterblichkeit philoſo¬ phirt! und wie weit iſt man gekommen! — Ich zweifle nicht an unſerer Fortdauer, denn die Natur kann die Entelechie nicht entbehren. Aber wir ſind nicht auf gleiche Weiſe unſterblich, und um ſich kuͤnftig als große Entelechie zu manifeſtiren, muß man auch eine ſeyn.“ „Waͤhrend aber die Deutſchen ſich mit Aufloͤſung philoſophiſcher Probleme quaͤlen, lachen uns die Eng¬ laͤnder mit ihrem großen practiſchen Verſtande aus, und gewinnen die Welt. Jedermann kennt ihre Declama¬ tionen gegen den Sclavenhandel, und waͤhrend ſie uns weiß machen wollen, was fuͤr humane Maximen ſolchem Verfahren zu Grunde liegen, entdeckt ſich jetzt, daß das wahre Motiv ein reales Object ſey, ohne welches es die Englaͤnder bekanntlich nie thun, und welches man haͤtte wiſſen ſollen. An der weſtlichen Kuͤſte von Afrika gebrauchen ſie die Neger ſelbſt in ihren großen Beſitzun¬ gen, und es iſt gegen ihr Intereſſe, daß man ſie dort

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Zitationshilfe: Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 2. Leipzig, 1836, S. 149. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe02_1836/159>, abgerufen am 19.04.2024.